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Angesichts von Berichten über massive Menschenrechtsverstöße gegen Uiguren in Westchina wird Baumwolle aus dieser Region zum Stein des Anstoßes in Europa. So werden Modekonzerne angezeigt.

Foto: AP / Marc Schiefelbein

Die Nachhaltigkeit von Wertschöpfungsketten gerät weltweit immer stärker in Diskussion. In Europa scheint sich ein Trend zu etablieren, heimische Konzerne für die Verletzung von Menschenrechten oder die Zerstörung der Umwelt entlang der gesamten Lieferkette zur Verantwortung zu ziehen.

Die dabei von den einzelnen europäischen Staaten gewählten Maßstäbe sind durchaus unterschiedlich: In Frankreich ist bereits seit 2017 ein Aufsichtspflichtengesetz in Kraft, das Konzerne für Fehlverhalten ihrer ausländischen Töchter und Sublieferanten haften lässt. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sieht ab 2023 für die Verletzung von Sorgfaltspflichten unter anderem verwaltungsbehördliche Sanktionen vor.

In der Schweiz ist ein Entwurf für ein Lieferkettengesetz 2020 zwar gescheitert, hat aber zu maßgeblichen Anpassungen im Obligationenrecht geführt, das Berichtspflichten über die Lieferkette vorsieht. Und nicht zuletzt arbeitet die EU-Kommission an einem Vorschlag für ein europäisches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Österreich wartet offenbar die Entwicklungen in Brüssel ab. Es reicht jedoch nicht aus, auf ein europäisches Lieferkettengesetz zu warten. An der stark steigenden Anzahl der Verfahren in Europa kann man nämlich ablesen, dass die Verantwortung für die Lieferkette bereits jetzt eingeklagt wird: Unabhängig von gesetzlich verankerten Sorgfaltspflichten wird die Verletzung von Menschenrechten durch Lieferanten und Tochterunternehmen zunehmend zum Gegenstand von Gerichtsverfahren und behördlichen Ermittlungen.

Aldi, Boss, Lidl angezeigt

Obwohl in Deutschland das besagte Lieferkettengesetz noch nicht in Kraft ist, wurden jüngst Aldi, Hugo Boss und Lidl wegen der mutmaßlichen Förderung von Zwangsarbeit in China bei der Generalbundesanwaltschaft angezeigt. Basis ist das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das auch die Verfolgung von im Ausland erfolgten Menschenrechtsverletzungen ermöglicht.

In den Niederlanden sah jüngst ein Zivilgericht die von Royal Dutch Shell konzernweit verursachten CO2-Emissionen als Verletzung von Menschenrechten an. Ein ähnliches Verfahren ist auch in Deutschland gegen RWE anhängig. Dem französischen Ölkonzern Total werden Verletzungen von Umwelt und Bevölkerung in Uganda vorgeworfen. Und nicht zuletzt wurde der brasilianische Präsident von einer österreichischen NGO aufgrund seines Beitrags zur Abholzung des Regenwalds beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt.

Ausreichende Grundlage

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in Österreich die Einhaltung heimischer Wertvorstellungen und Vorschriften entlang der Lieferkette zivil- und strafgerichtlich eingefordert wird. Denn das österreichische Strafgesetzbuch bietet grundsätzlich bereits eine ausreichende Grundlage für Strafanzeigen wegen im Ausland erfolgter Menschenrechtsverletzungen – und zwar selbst dann, wenn die im Ausland begangene Tat nach dem ausländischen Recht gar nicht unter Strafe steht.

Für die inländische Strafbarkeit als Beitragstäter reicht es nämlich aus, dass der unmittelbare Täter eine Tathandlung setzt, die nach dem österreichischen Strafgesetzbuch mit Strafe bedroht ist.

Österreichische Konzerne agieren häufig am Ende der Lieferkette, beispielsweise als Distributoren an den Endverbraucher. Alltagstypische unternehmerische Handlungen wie beispielsweise Bestellungen können auf Basis der derzeitigen österreichischen Rechtslage bereits strafbare Beitragshandlungen zu Menschenrechtsverstößen oder sonstigen Verletzungen von ESG-Normen (Environmental, Social, Governance) darstellen.

Damit ist es bereits jetzt für österreichische Unternehmen notwendig, entsprechende Vorkehrungen zu treffen und insbesondere ihre Compliance-Management-Systeme anzupassen. Klare und allgemeingültige Vorgaben für in der globalen Lieferkette einzuhaltende Sorgfaltsmaßstäbe lassen sich aus der derzeitigen Gesetzeslage aber nicht ableiten.

Aufgabe für die Politik

Doch es sollten nicht die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sein, die erstmals den Sorgfaltsmaßstab definieren, der entlang globaler Wertschöpfungsketten einzuhalten ist. Es ist die Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft zu definieren, welche Verletzungen von Menschen- oder Umweltrechten in der Lieferkette hierzulande sanktioniert werden sollen. Es ist daher wichtig, den Dialog zu starten, welche unserer europäischen Vorstellungen wir in einer globalisierten Welt als Mindeststandard allerorts gesichert und eingehalten sehen wollen.

Eine gezielte gesetzliche Definition ist für alle Teile der Gesellschaft, also die Zivilgesellschaft und auch die Unternehmen, notwendig, damit es wechselseitig klare Erwartungen gibt. Erwartungen, die dann auch eingefordert, aber auch eingehalten werden können. Bis dahin muss von Gerichten und Staatsanwaltschaften erwartet werden, nicht von sich aus neue Standards zu setzen. Andernfalls drohen Überraschungen im Gerichtssaal.(Simone Pettsche-Demmel, Andreas Pollak, 31.1.2022)