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Der UN-Sicherheitsrat bei einer Tagung im November 2021.

Foto: AP/Manuel Elías

New York/Kiew/Moskau – Die USA und Russland haben sich im Uno-Sicherheitsrat einen heftigen Schlagabtausch zum Ukraine-Konflikt geliefert. Der russische Uno-Botschafter Wassili Nebenzia warf dem Westen in der Sitzung am Montagvormittag vor, Kriegshysterie zu verbreiten. US-Vertreterin Linda Thomas-Greenfield entgegnete, dass der internationale Frieden gefährdet sei: "Stellen Sie sich vor, wie unwohl Sie sich fühlen würden, wenn 100.000 Soldaten an Ihrer Grenze stehen würden."

Russland fühlt sich provoziert

"Die Diskussionen um eine drohende Kriegsgefahr sind an und für sich provokativ. Sie rufen fast danach. Sie wollen, dass es passiert", sagte Nebenzia. Russland habe die Vorwürfe, es plane eine Invasion, kategorisch zurückgewiesen – "und ich werde dies jetzt (auch) tun." Die öffentliche Sitzung des Uno-Sicherheitsrats zur aktuellen Krise verurteilte Nebenzia als "Megafon-Diplomatie". Es ist das erste Mal, dass sich das mächtigste Uno-Gremium mit dem Konflikt befasst.

USA sehen "gefährlichen Pfad"

Dagegen sehen die USA die Region angesichts des russischen Aufmarsches auf einem "gefährlichen Pfad" in einen Krieg. "Das ist die größte – hören sie mich laut und deutlich – Mobilisierung von Truppen in Europa seit Jahrzehnten", sagte Uno-Botschafterin Thomas-Greenfield. Es handle sich um Kampfeinheiten, "die bereit sind, Offensivaktionen in der Ukraine durchzuführen." Washington wolle keine Konfrontation, aber im Falle einer Invasion der Ukraine würden die USA schnell handeln.

US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield warnt Russland vor einer Eskalation in der Ukraine.
Foto: AFP Fotograf: SPENCER PLATT

Die USA hatten das Treffen im Sicherheitsrat angefragt, weil sie und ihre westlichen Verbündeten eine russische Invasion in der Ukraine befürchten. Washington verlangt einen Rückzug der an der ukrainischen Grenze versammelten rund 100.000 russischen Soldaten ins Hinterland. US-Regierungsmitarbeitern zufolge hofften die Vereinigten Staaten darauf, dass Russland seinen Truppenaufmarsch vor dem mächtigsten Uno-Gremium erklären würde. Die USA hatten die Debatte mit zehn zu fünf Stimmen gegen den Willen der Uno-Vetomacht Russland erzwungen.

Uneinigkeit über Truppenstärke

Stationierte Soldaten befänden sich im Hoheitsgebiet Russlands, was bei ähnlichen Vorgängen in der Vergangenheit nicht zu einer Hysterie geführt hätte, sagte Nebenzia. Stattdessen würden die Ukrainer gegenwärtig einer Gehirnwäsche unterzogen und mit Russlandphobie und radikalem Denken gefüttert. Der Uno-Botschafter bestritt, dass tatsächlich 100.000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen worden seien. Er machte keine Zugeständnisse für eine Entspannung der Lage.

Dagegen erhob der ukrainische Uno-Botschafter Sergij Kyslyzja schwere Vorwürfe gegen das Nachbarland. Die Ukraine werde von etwa 130.000 russischem Militärpersonal bedroht, sagte er. Auch im Donbass befänden sich etwa 3.000 russische Soldaten. Mit Blick auf die russischen Dementis betonte der Diplomat, dass er selbst nur Taten wie einem Truppenabzug Glauben schenken könne.

Die Ukraine habe jedenfalls keine aggressiven Pläne und sei dem Frieden verpflichtet, schloss Kyslyzja eine Militäroffensive gegen die Separatistengebiete im Osten des Landes oder auch die – von Russland völkerrechtswidrig annektierte – Halbinsel Krim aus.

Nebenzia hatte die Sitzung verlassen, ehe sein ukrainischer Kollege das Wort ergriff. Die Umstände der Sitzung zeigten, wie isoliert Russland mit seiner Position international ist. Neben drei Enthaltungen hatte nur China mit seinem Partner Russland gegen die Beratungen gestimmt. Angesichts von Moskaus Dementi bezüglich der Vorwürfe gebe es keine Grundlage für das öffentliche Treffen, sagte Uno-Botschafter Zhang Jun. "Was wir jetzt dringend brauchen, ist stille Diplomatie."

Weitere Gespräche

Eine neue Gesprächsserie soll neuen Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen zur Lösung der Ukraine-Krise bringen. Die Außenminister von den USA und Russland, Antony Blinken und Sergej Lawrow, beraten am Dienstag erneut am Telefon über die Lage, wie die beiden Außenministerien am Montag bestätigten. Die USA und die Nato hatten vergangene Woche ihre Antwort auf die Forderung Russlands nach Sicherheitsgarantien gegeben. Die russische Führung hat zu verstehen gegeben, dass sie damit nicht zufrieden ist.

Der britische Premier Boris Johnson reist am Dienstag nach Kiew, unterdessen wird Ungarns Regierungschef Viktor Orbán von Russlands Präsident Wladimir Putin empfangen. Er reist als erster Regierungschef eines Nato-Mitgliedstaats seit der Eskalation im Ukraine-Konflikt nach Moskau. Auf dem Programm stehe ein Austausch über aktuelle Probleme der europäischen Sicherheit, teilte der Kreml mit. Auch Johnson und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan planen in dieser Woche Gespräche mit Putin.

Macron bemüht sich um Vermittlung

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron intensiviert seine Vermittlungsbemühungen. Er telefonierte amMontag neuerlich mit Putin. Dabei sei auch die Möglichkeit eines direkten Treffens erörtert worden.

Macron teilte mit, dass er mit Putin eine Fortsetzung des Dialogs über die Umsetzung der Minsker Ukraine-Vereinbarung vereinbart habe. Die beiden Präsidenten hätten auch die "Fortschritte" bei den Gesprächen im Normandie-Format (Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich) begrüßt. Laut dem Kreml wurde auch über die von Russland erbetenen Sicherheitsgarantien gesprochen. Es handelte sich um das zweite Telefonat der beiden Präsidenten innerhalb von drei Tagen.

EU-Unterstützung für Ukraine

Zugleich wollen europäische Staaten der Ukraine Signale der Unterstützung senden. Johnson, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sowie EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis reisen dazu am Dienstag in die Ukraine. Die britische Regierung kündigte im Falle eines russischen Angriffs Sanktionen gegen Kreml-Mitarbeiter an, was die ukrainische Führung begrüßte.

Westliche Staaten und die Ukraine werfen Russland vor, angesichts der Truppenkonzentration von 100.000 Soldaten vor der Grenze zur Ukraine einen Angriff vorzubereiten. Russland dementiert dies. Der polnische Außenminister und amtierende Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Zbigniew Rau, verwies am Montag bei einem Besuch in der estnischen Hauptstadt Tallinn auf Signale, dass Russland seine Truppen in Belarus verstärke. (APA, red, 31.1.2022)