Die Arme hinter dem Rücken verschränken? Oder doch lieber vor der Brust? Jojo Gronostay steht inmitten seiner Ausstellung in der Galerie Hubert Winter, fragender Blick zur Fotografin. Er wählt doch die Haltung, die ihm am geläufigsten ist: Arme hinter den Rücken, typische Fußballerpose eben. Der Deutsche, 1987 geboren in Hamburg, aufgewachsen in Berlin, hat lange gekickt. So gut, dass er als Profi unterwegs war.

Mafalda Rakoš hat den Künstler Jojo Gronostay in der Galerie Hubert Winter in Wien fotografiert. Hier zeigt er seine erste Einzelausstellung.
Foto: Mafalda Rakoš; Jojo Gronostay, DWMC; Jojo Gronostay, (Re-)Creation 2021 Video (12:27 min), Courtesy of the artist und Galerie Hubert Winter, Wien

Mit 18 war Schluss, losgelassen hat ihn das Thema nicht. Im vergangenen Jahr ist er nach Accra aufgebrochen. Gronostay kennt die Metropole, die Familie seines Vaters lebt dort. Seit er 2017 sein Label Dead White Men’s Clothes, kurz DWMC, gegründet hat, kommt er regelmäßig in die Hauptstadt Ghanas.

Normalerweise streift er dann über den Kantamanto-Markt und sucht nach Kleidungsstücken für sein Modelabel. Diesmal aber hat er an der Küste Accras ein Video gedreht, zwölf Minuten lang, in der Galerie läuft es im Loop. Mithilfe einer Casting-Agentur engagierte Gronostay vor Ort zwölf Fußballspieler, alle zwischen 16 und 18.

Einen Tag lang, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, kickten sie da, wo früher Wellblechhütten standen und der Architekt David Adjaye die Stadt neu erfinden wird. Im Video taucht im Hintergrund der Independence Arch auf, jene imposante Bogenarchitektur, die 1957 anlässlich der Unabhängigkeit Ghanas errichtet wurde.

Was wie eine beiläufige Aufnahme fußballspielender Jugendlicher aussieht, wurde von Gronostay durch und durch inszeniert. Am Körper tragen die jungen Männer Trikots europäischer Fußballmannschaften (im Bild).

In der Videoarbeit "(Re-)Creation" spielen junge Fußballer aus Ghana in Trikots auf, die der Künstler mit Zeichnungen bedruckt hat.
Foto: Mafalda Rakoš; Jojo Gronostay, DWMC; Jojo Gronostay, (Re-)Creation 2021 Video (12:27 min), Courtesy of the artist und Galerie Hubert Winter, Wien

Gronostay hat sie bedruckt, im Detail kann man sich das im ersten Raum der Galerie ansehen. Da liegen immer drei Shirts feinsäuberlich in Vitrinen übereinandergestapelt.

Wüsste man es nicht besser, glaubte man sich in einem Concept-Store: Ohne weiteres könnten die Trikots unter dem Glas von einem angesagten Modelabel wie Vetements stammen. Doch als Designer-Shirts werden sie in der Galerie Winter nicht verkauft.

Zwischen den Welten

Jojo Gronostay stellt in seinen Arbeiten Identitätsfragen, es geht um das Verhältnis von Europa und Afrika, um Machtstrukturen, um ökologische Fragen. Er spielt aber auch mit den Codes von Mode und Kunst. Seine Arbeiten gleichen eleganten Täuschungsmanövern. Kein Wunder, der Künstler kennt beide Welten.

Mehr denn je suchen sie die Nähe zueinander und ticken doch so unterschiedlich, das macht es für ihn spannend. Der 34-Jährige hat Fotografie an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert, dort habe ihn früh die Schnittstelle zwischen Kunst und Mode interessiert, erklärt er. Zuvor hat Gronostay es mit einem Modemanagement-Studium versucht, drei Semester, dann reichte es ihm: "Danach wollte ich nie wieder was mit Mode zu tun haben."

Umgeben von Fotografien vergrößerter High Heels: Jojo Gronostay inmitten seiner Ausstellung in der Galerie Hubert Winter.
Foto: Mafalda Rakoš; Jojo Gronostay, DWMC; Jojo Gronostay, (Re-)Creation 2021 Video (12:27 min), Courtesy of the artist und Galerie Hubert Winter, Wien

Doch das Interesse blieb, verändert hat sich Gronostays Perspektive. Er selbst besitze nur noch wenig Kleidung, sagt der Künstler. Das limitierte, gelb bedruckte T-Shirt aus der eigenen Kollektion trage er nur für den Fototermin, dazu eine schwarze Wanderhose, Sneaker, fertig. Nach Koketterie klingt das nicht. Was Gronostay an der Mode reizt? "Die Mode hat immer etwas Politisches, dem kann man sich nicht entziehen. Egal was man anzieht, man positioniert sich in der Welt."

Gigantischer Umschlagplatz

Begonnen hat alles vor fünf Jahren mit seinem Label Dead White Men’s Clothes. Als "Kleidung toter weißer Menschen" wird in Ghana seit den 1970er-Jahren gespendete Kleidung aus dem Globalen Norden bezeichnet.

Für sein Projekt reiste Jojo Gronostay zum dritten Mal in seinem Leben nach Accra. Das Ziel: der Kantamanto-Markt, ein gigantischer Umschlagplatz für gespendete Kleidung, "ungefähr zwanzigmal so groß wie der Naschmarkt". Überwältigt von der Größe des Marktes, begab er sich auf die Suche nach Stücken für seine Kollektion. Der Kunststudent baute das Konzeptlabel zu einer Plattform mit einem Onlineshop auf.

Heute kennt er den Markt wie seine Westentasche: "Wie in einem Kaufhaus gibt es da verschiedene Abteilungen, für viele Menschen ist er Lebensgrundlage." Der erste Besuch in der Heimat seiner Familie sei für ihn "wichtig, aber auch ernüchternd" gewesen, erklärt Gronostay. "Mir wurde klar, dass ich zu ,weiß‘ bin, um ganz dazuzugehören." Sich hier wie dort nicht vollkommen zugehörig zu fühlen, damit habe er lernen müssen klarzukommen.

Postkoloniale Verstrickungen

Gronostay reist trotzdem immer wieder hin. Er kauft Hoodies, Cargohosen, Jeans (Bild links unten) und Funktionsjacken auf, bearbeitet sie mit Bleichmitteln. Die Stücke landen in seinem Onlineshop. Eine Jeans kostet rund 800 Euro, so viel wie das Stück eines High-Fashion-Labels. Der Preis kann als zynischer Kommentar zu den Mechanismen einer Modeindustrie gelesen werden, die nicht mehr weiß, wie dem Überfluss zu Leibe zu rücken ist.

In Ghana auf dem Kantamanto-Markt gekauft, dann von Jojo Gronostay aufbereitet: eine Hose von Dead White Men’s Clothes.
Foto: Mafalda Rakoš; Jojo Gronostay, DWMC; Jojo Gronostay, (Re-)Creation 2021 Video (12:27 min), Courtesy of the artist und Galerie Hubert Winter, Wien

Der Künstler legt mit seinem Label die postkolonialen Verstrickungen und die verrückten Verwertungsmechanismen einer globalisierten Textilindustrie offen. Doch die Moralkeule zu schwingen liegt Gronostay fern. Ob eine Hose von DWMC denn nun ein Kunstwerk oder ein Gebrauchsgegenstand ist? Der Künstler entgegnet: Sei es notwendig, das zu klären? Die Antwort liegt wohl ganz im Auge der Käufer. Rund 400 Kleidungsstücke hat er in den vergangenen Jahren verarbeitet, in Zukunft will er weg vom Onlineshop, DWMC soll kein großes Modelabel werden.

Er fotografiert jetzt wieder mehr, so wie die High Heels aus Kunststoff, die er ebenfalls in Accra auf dem Markt gefunden hat, sie werden dort einzeln verkauft. Vier Modelle sind in der Schau zu sehen, sie wurden zu riesigen Bildern aufgeblasen und wirken an den Wänden wie brutalistische Skulpturen aus Beton. Das Museum für moderne Kunst (Mumok) hat letztens eine Fotoarbeit von Gronostay angekauft, demnächst ist er in einer Gruppenausstellung in der Kunsthalle zu sehen. Dass der Künstler Ende vergangenen Jahres mit dem "Modepreis der Stadt Wien" ausgezeichnet wurde? Das passt einmal mehr zum Konzept. (Anne Feldkamp, RONDO, 7.2.2022)

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