Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #167 (Februar 2022) – Seit 28. Jänner im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

SCHWERPUNKT: BRIAN CLOUGH

DER GRÖSSTE

Brian Clough gewann mit kleinen Teams, war charismatisch, aufbrausend und alkoholkrank

TRAINER DER TRÄUME

Clough wurde nie Teamchef

NOTTINGHAMS FLÜGELZANGE

Brian Cloughs Taktik

RÄCHER DER ENTERBTEN

Clough eiferte in Nottingham Robin Hood nach

44 TAGE DES SCHEITERNS

"The Damned United" wiedergelesen

Außerdem im neuen ballesterer:

"TRAINER WERDE ICH KEINER"

Jakob Jantscher über seine Karriere

DER MANN DES FRAUENFUSSBALLS

Nachruf auf Gerhard Traxler

AFRIKAS TURNIER, EUROPAS TERMINE

Streit um den Afrika-Cup

EIN SPIEL, VIER ELFER

Helmut Duckadam über Sevilla, Tschernobyl und Ceausescu

AUS DER KURVE IN DEN SITZUNGSSAAL

Wie Fans in Deutschland mitbestimmen

UMZUGSPLÄNE IN SALZBURG

Die Austria sucht ein neues Stadion

GRÜN-WEISSE GLÜCKWÜNSCHE

Der Katalog zu zehn Jahren Rapid-Museum

VON KÜNSTLERN UND KLEEBLÄTTERN

Irlands Fußball lebt im Dubliner Derby

STRUKTURWANDEL IN LINZ

Aus Stickstoff wurde Franckviertel

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Deutschland, Italien und der Schweiz

Duncan Hamilton war 16 Jahre alt, als Brian Clough den Trainerposten bei Nottingham Forest übernahm. Als Reporter der Nottingham Evening Post begleitete er Cloughs Werdegang bis zu seinem tränenreichen Abschied 1993. Hamilton besuchte täglich die Trainingseinheiten, reiste mit der Mannschaft zu den siegreichen Europacupfinale von 1979 und 1980 und baute ein tiefes Vertrauensverhältnis zu Clough auf. "Duncan, eines Tages wirst du ein Buch über diesen Klub schreiben", soll ihm Clough irgendwann einmal gesagt haben. "Beziehungsweise eher über mich. Also sollst du wissen, was ich denke, und es für später aufheben, wenn es niemandem mehr schadet." Nach Cloughs Tod veröffentlichte Hamilton 2007 die Biografie "Provided You Don’t Kiss Me".

ballesterer: Wann haben Sie Brian Clough zum ersten Mal gesehen?

Hamilton: Als er Derby County 1969 in die erste Liga geführt hat, habe ich ihn im Fernsehen gesehen. Die Trainer sind damals wie Menschen aus den 1950er Jahren aufgetreten, Brian war ganz anders. Er war eine fantastische, frische Persönlichkeit. Er hat Meinungen zu allem gehabt – und sie offensiv geäußert. Egal, ob es um Fußball, Politik oder die königliche Familie gegangen ist. Es war unmöglich, ihn nicht wahrzunehmen.

ballesterer: Haben sich diese TV-Eindrücke beim ersten persönlichen Treffen bestätigt?

Hamilton: Ja, Brian war genau so, wie er gewirkt hat. Unsere ersten Treffen waren bei Pressekonferenzen. Wenn man ihm eine Frage gestellt hat, hat man eine Antwort und noch sechs, sieben Meinungen zu völlig anderen Themen bekommen. Bei einer Frage über den Tormann hat er auch noch etwas zum Linksverteidiger gesagt oder zum Zustand des Platzes.

ballesterer: Klingt wie der perfekte Trainer für einen Journalisten.

Hamilton: Absolut, er hat wie ein Journalist gedacht. Brian hat genau gewusst, was eine Geschichte ist und wie man sie verkauft. Manchmal hat er mir gesagt: "Ich gebe dir jetzt ein gutes Zitat, aus dem du dann diese oder jene Geschichte spinnen kannst." Und damit ist er immer richtig gelegen. Wenn er aus irgendeinem Grund wütend war, konnte er schon unangenehm werden, aber zu 95 Prozent war er für einen Journalisten der perfekte Trainer. Er hat ja auch Kolumnen geschrieben, eine Zeit lang wollte er sogar Journalist werden.

ballesterer: Wann war das?

Hamilton: Als er gegen Ende seiner aktiven Karriere verletzt war, hat er ernsthaft darüber nachgedacht. Er war der geborene Journalist. Er hätte nur lernen müssen, wie man eine Schreibmaschine bedient. Letztlich hat er sich aber für die Trainerlaufbahn entschieden.

ballesterer: Clough war berüchtigt für sein selbstbewusstes Auftreten. War er nie unsicher?

Hamilton: Brian hat oft Dinge gesagt oder gemacht, von denen er nicht ganz überzeugt war. Aber das hat er sich nicht anmerken lassen. Bei seiner Ankunft in Nottingham hat er große Zweifel gehabt, ob er mit dem Klub wirklich aufsteigen kann. Und nach Peter Taylors Abschied hat er nicht gewusst, ob er auch alleine erfolgreich sein kann. Bei zwei Dingen war er sich aber zu 100 Prozent sicher: Dass nicht Liverpool, sondern Derby der große Klub der 1970er Jahre geworden wäre, wenn er nicht hingeschmissen hätte. Und dass er der perfekte englische Teamchef gewesen wäre. Er war sehr traurig, dass er diese Chance nie bekommen hat.

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Brian Clough ist bei Nottingham Forest noch immer präsent.
Foto: Reuters/Recine

ballesterer: Wie hat der normale Arbeitstag von Clough als Trainer von Nottingham Forest ausgesehen?

Hamilton: Das war völlig unterschiedlich. Er hat keinen festen Zeitplan und keine Alltagsroutinen gehabt. Er ist gekommen, wann er wollte. Manchmal ist er um neun Uhr aufgetaucht, manchmal um 14 Uhr, manchmal eine Woche lang gar nicht. Meistens ist er aber in der Früh gekommen, hat um zehn Uhr das Training geleitet und dann administrative Aufgaben erledigt. Zu Mittag war er oft in einem italienischen Restaurant, dann hat er mit bürokratischen Dingen weitergemacht. Gegen 16 Uhr ist er heimgefahren nach Derby, wo er während seiner Zeit bei Forest gewohnt hat.

ballesterer: Wie hat er sich während der Trainingseinheiten verhalten?

Hamilton: Das war von seiner Laune abhängig. War er im Angriffsmodus, hat er herumgeschrien. Manchmal ist er aber auch im Hintergrund gestanden und hat zugeschaut. Ihm war aber immer wichtig, seinen Spielern viel Feedback zu geben. Einmal habe ich am Parkplatz mit ihm gesprochen, als ein junger Stürmer zu seinem Auto gegangen ist. w Brian hat ihn hergerufen und gesagt: "Beim Spiel letzten Samstag bist du viel herum gelaufen, aber das hat dir nichts gebracht. Manchmal musst du einfach stehen bleiben, verschwinden und dann auf einmal vor dem Tor auftauchen. So wie früher Jimmy Greaves." Der Spieler hat genickt und ist weggegangen, Brian hat sich zu mir umgedreht und gesagt: "Das ist Coaching." Sein Coaching sollte immer so überraschend und informell wie möglich sein. Vorträge mit Taktiktafeln hat er gehasst. Mit solchen Dingen hat ihn Teamchef Walter Winterbottom bei den wenigen Einberufungen ins Nationalteam zu Tode gelangweilt.

ballesterer: Haben die jungen Spieler Angst vor Clough gehabt?

Hamilton: Nicht nur die jungen. Keiner hat erahnen können, was er vorhat. Brian hat gewusst, wie er einen Spieler brechen kann. Aber auch, wie er ihn wieder aufbauen kann.

ballesterer: Haben sich Spieler bei Ihnen über Clough beschwert?

Hamilton: Ja, aber im Schnitt nur zweimal pro Woche. Sie haben sich über seine launischen Umgangsformen beklagt. Oder darüber, dass er in seinen Kolumnen unfair gewesen sei.

ballesterer: 1984 hat Clough seinen Sohn Nigel in die Mannschaft geholt. Hat es dazu Diskussionen gegeben?

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Brian Clough und Peter Taylor vor dem Stadion von Derby County.
Foto: Reuters/Recine

Hamilton: Brian hat das unnötig verkompliziert, weil er am Anfang nicht über seinen Sohn sprechen wollte. Das hat für Verwunderung gesorgt. Nigel hat sich als Verstärkung bewährt. Auch in der Kabine ist er gut angenommen worden. Er hat sich als eigenständige Persönlichkeit positioniert, nicht als Trainersohn.

ballesterer: War Clough auch für Transfers zuständig?

Hamilton: Er hat gerne mit anderen Klubs verhandelt. Im Laufe der 1980er Jahre sind aber immer mehr Spielerberater aufgetaucht, die haben ihn genervt. Ob ein Spieler verpflichtet oder verkauft wird, hat Brian immer alleine entschieden. Ohne seine Zustimmung wäre damals bei Forest ohnehin nichts passiert. Es wäre nicht einmal eine Wand am Gang neu gestrichen worden. Brian hat machen können, was er wollte. Wenn er gewollt hätte, hätte er seinen Mercedes im Mittelkreis des Stadions parken oder sich im Büro einen Löwen als Haustier halten können.

ballesterer: Hat es gegen diese Allmacht eine klubinterne Opposition gegeben?

Hamilton: Forest war damals der einzige englische Profiklub, der nicht als Kapitalgesellschaft organisiert war. Stattdessen hat es rund 200 Mitglieder gegeben, die mit je einer Stimme den Vorstand und den Präsidenten gewählt haben. Es war eigentlich eine perfekte Demokratie, die Brian in eine Diktatur verwandelt hat. Die Leute haben gewusst, wohin er den Klub geführt hat. Brian war ein guter Politiker. Er hat die Leute für seine Zwecke begeistern und gleichzeitig zufriedenstellen können. Hin und wieder hat ihn jemand loswerden wollen, aber seine Unterstützer haben die Kritiker immer bei Weitem überstimmt.

ballesterer: Nach seinem Karriereende ist Clough beschuldigt worden, bei Transfers in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Beispielsweise beim Wechsel von Teddy Sheringham zu Tottenham Hotspur. War das während seiner Zeit als Trainer ein Thema?

Hamilton: Das war in Insiderkreisen bekannt und ist akzeptiert worden. Damals haben viele Trainer bei Transfers einen Teil der Ablösesumme als Provision eingestrichen. Brisanz hat dieses Thema erst später bekommen.

ballesterer: Clough war 18 Jahre lang Forest-Trainer. Was hat ihn angetrieben?

Hamilton: Gegen Ende seiner Karriere ist es ihm darum gegangen, nicht austauschbar zu sein. Er wollte außergewöhnlich sein. Er wollte, dass seine Mannschaft außer gewöhnlichen Fußball spielt. Bei den Spielen ist es ihm um die Leistung gegangen. Er hat kein Problem mit Niederlagen gehabt, wenn seine Mannschaft schön gespielt hat.

ballesterer: Einer der Gründe für den Abschied 1993 war sein Alkoholismus. Wann haben Sie dieses Problem wahrgenommen?

Hamilton: Er hat schon immer viel getrunken, aber nicht so viel, dass man es ihm angemerkt oder dass es seine Arbeit beeinträchtigt hätte. Ich habe ihn oft trinken gesehen, aber kaum betrunken. Erst sehr spät, vielleicht zwei Jahre vor seinem Abschied, habe ich den Eindruck gehabt, dass er es nicht mehr unter Kontrolle hat. Dann hat er auch zugegeben, dass der Alkohol ihn zu einem schlechteren Trainer gemacht hat.

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Brian Clough, die Legende.
Foto: Reuters/O'Brien

ballesterer: Warum hat er getrunken?

Hamilton: Das habe ich mich schon oft gefragt, weiß aber keine Antwort. Er hat keinen Anlass gebraucht. Er hat sich zum Frühstück einen Drink genehmigt, zum Mittagessen einen, am Nachmittag einen. Beim Klub waren immer Leute zum Anstoßen da. Alkohol war immer präsent. Das war damals nicht ungewöhnlich, auch meine Kollegen von der Zeitung sind zu Mittag für zwei Stunden ins Pub gegangen, ich bin währenddessen bei Brian im Büro gesessen.

ballesterer: Womit hat er am liebsten angestoßen?

Hamilton: Am Anfang mit Weißwein, später mit Whiskey, am Ende mit Wodka.

ballesterer: Ist im Klub irgendetwas gegen seinen Alkoholkonsum unternommen worden?

Hamilton: Erst in seiner letzten Saison. Davor war es allen egal, was und wie viel er getrunken hat.

ballesterer: Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Hamilton: Im Scherz war das immer wieder Thema, aber ich habe kein ernsthaftes Gespräch mit ihm darüber geführt.

ballesterer: Wie haben die Fans auf seinen Abschied 1993 reagiert?

Hamilton: Obwohl Forest abgestiegen ist, ist ihm beim letzten Heimspiel gegen Sheffield United unglaublich viel Liebe entgegengebracht worden. So etwas habe ich noch nie gesehen. Die Fans sind auf den Platz gerannt, haben seinen Namen gesungen und ihm Blumen und Geschenke überreicht. Er war in Tränen aufgelöst.

ballesterer: Wann haben Sie Clough zum letzten Mal gesehen?

Hamilton: Im April oder Mai 1995 habe ich ihn für ein Interview besucht. Wir sind gemeinsam durch seinen Garten spaziert, das war wunderschön. Er hat gut in Form gewirkt, es ist ihm super gegangen. Er hat zu dem Zeitpunkt zwar einige Angebote gehabt, aber keine Lust mehr auf den Trainerjob. Danach haben wir uns noch ein paarmal geschrieben, getroffen habe ich ihn aber nicht mehr. (Interview: Nino Duit, 1.2.2022)