Helga Tieben war bisher beim Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) für den Bereich Zulassung und Innovation zuständig und wechselt jetzt zur Medizinmarktaufsicht der Ages.

Foto: Stefan Csaky

Wien – Eine Personalentscheidung bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) hat am Wochenende für Aufsehen gesorgt. Im Sommer wird die Leitung der Medizinmarktaufsicht, die für die Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen zuständig ist, neu besetzt. Wie nun bekannt wurde, ist dafür Helga Tieben, eine langjährige Mitarbeiterin des Verbands der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), vorgesehen. Die Pharmig lobbyiert für die Interessen der Pharmaindustrie in Österreich. Seitens der Ages kann man den Vorwurf, es lägen Interessenkonflikte vor, aber nicht nachvollziehen – DER STANDARD erhielt am Montag eine ausführliche Stellungnahme.

Worum geht es im Detail? Die aktuelle Chefin der Medizinmarktaufsicht mit ihren rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Christa Wirthumer-Hoche, geht in Pension. Ihre Nachfolgerin soll mit 1. Juni dieses Jahres Helga Tieben werden.

Aktuell ist Tieben beim Pharma-Verband Direktorin für Zulassungsbereich und Innovation. Sie habe in dem durch eine externe Personalberatungsfirma unterstützten Hearingverfahren, durch ihre fachliche und persönliche Kompetenz am meisten überzeugt, heißt es vonseiten der Ages. Tieben verfüge über umfangreiches Wissen in den Bereichen Arzneimittelrecht und Medizinprodukte und sei fachlich als Expertin anerkannt. Das Verfahren sei im Herbst 2021 gestartet worden.

Für Transparency "unglaublich"

Bei Transparency Österreich findet man diese Besetzung allerdings "unglaublich". Man ignoriere "auf der Hand liegende Interessenkonflikte", sagte Transparency-Gesundheitsexpertin Claudia Wild am Wochenende gegenüber Ö1. Das wäre so, als ob jemand aus der Tabakindustrie Leiter der Tabakaufsichtsbehörde werden würde, ergänzte Antikorruptionsexperte Martin Kreutner. Kritik kam auch von den Neos und der SPÖ. Letztere kündigte auch eine parlamentarische Anfrage zu der Causa an.

Wiens Patientenanwältin Sigrid Pilz hielt im STANDARD-Gespräch fest, dass es gerade jetzt in der Pandemie besonders wichtig für die Ages sei, unabhängig und transparent zu sein. Die Besetzung mit einer Vertreterin der Pharmaindustrie gefährde diese Unabhängigkeit und bestätige Impfskeptiker in ihren Warnungen, findet Pilz.

Ausschreibung nicht verpflichtend

Die Ages – eine GmbH in hundertprozentigem Eigentum der Republik Österreich – verweist darauf, dass für interne Positionen keine rechtliche Verpflichtung zur Ausschreibung bestehe. Dennoch würden die Stellen einer Geschäfts- und Bereichsleitung bei Neubesetzung immer extern ausgeschrieben. Die besten Bewerberinnen würden dann einem Hearing vor einer Kommission aus internen und externen Teilnehmern unterzogen. Außerdem seien alle Bewerberinnen Compliance-Prüfungen unterzogen worden. Die Tatsache, dass Interessenten aus der Pharmaindustrie und anderen Interessenverbänden darunter waren, sei an sich noch kein Ausschließungsgrund, heißt es in der Stellungnahme.

Für Ages-Mitarbeiterinnen bestehe generell eine gesetzliche Verpflichtung zur Objektivität und Unabhängigkeit nach dem Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz (GESG). Daher müssten sie jährlich eine Unbefangenheitserklärung abgeben und den Ages-Verhaltenskodex erfüllen, dazu gebe es auch jährliche Schulungen.

"Die Prüfung aller genannten Bedingungen haben zum Ergebnis geführt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen", fasst man die Entscheidung seitens der Ages zusammen. Aus rechtlicher Sicht sei keine verpflichtende Cooling-off-Phase vorgeschrieben, außer die Person komme direkt aus einem Unternehmen. In diesem Fall handelt es sich aber eben um den Interessenverband.

Helga Tieben selbst war am Montag für den STANDARD nicht erreichbar. Das Gesundheitsministerium verweist in der Sache darauf, dass die Ages beim Auswahlprozess mittels Ausschreibung und Hearingkommission den Vorgaben entsprochen habe. (jop, spri, 31.1.2022)