CO2-frei aber nicht in dem Ausmaß verfügbar, wie das Industrieland Frankreich es brauchen würde: der in Atomkraftwerken produzierte Strom.

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Wien – Für die Energiewende dürfte die Atomenergie von nachrangiger Bedeutung sein. Zwar hat Frankreich mit Blick auf die CO2-freien Emissionen von AKWs massiv Druck aufgebaut zugunsten des Ausbaus der Nuklearenergie, die jüngsten Produktionszahlen der französischen Reaktoren sprechen aber eine andere Sprache.

2020 brach der Produktionswert auf 335,5 Terawattstunden ein, das ist so wenig wie zuletzt in den frühen 1990er-Jahren, sagt Mycle Schneider vom gleichnamigen Beratungsunternehmen, der auf Einladung des grünen Klubs im Nationalrat am Montag eigene Auswertungen präsentierte.

Zum Vergleich: Der historische Produktionsrekord stammt aus dem Jahr 2005, also aus der Hochkonjunktur, als die Nuklearenergie mit 430 TWh mehr als 78 Prozent ausmachte. Der dramatische Rückgang scheint nicht allein auf die Corona-Krise zurückzuführen zu sein. Denn auch 2021, als die Wirtschaft bereits wieder Fahrt aufgenommen hatte, blieb die von den mehr als 40 französischen Meilern produzierte Elektrizität mit 360,7 Terawattstunden deutlich hinter der Vorkrisenzeit. 2018 war noch noch die Marke von 40 TWh überschritten worden.

Kosten steigen

"Die Atomkraft ist am Aussterben", postuliert Schneider, und diese Zukunft auf dem absteigenden Ast solle offenbar mittels Laufzeitverlängerungen bestehender AKWs hinausgeschoben werden. Dabei verliere die Nuklearenergie zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit, die Kosten pro produzierte Kilowattstunde Strom stiegen gegenüber Erneuerbaren aus Wind und Sonne stetig. AKW-Strom sei zunehmend nicht mehr konkurrenzfähig.

Hier kommt die umstrittene Taxonomie der EU-Kommission ins Spiel, durch die Investitionen klassifiziert werden, ob sie grün, also CO2-frei und somit klimaschutzkonform, sind. Sie solle offensichtlich dazu beitragen, Investitionen in Laufzeitverlängerungen und Sicherheitsauflagen mit einem Ökolabel zu attraktivieren. Sicherheitsnachbesserungen sollten nicht mit einem Klimamascherl versehen werden im Rahmen der Taxonomie, sagen die Grünen. "Es scheint eine skurrile Idee, Laufzeitverlängerungen von an ihrem Designalter angekommenen Hochrisikoanlagen im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einzustufen" , warnt Schneider. Hinzu komme die Thematik der Wiederaufbereitung von Brennstäben.

Frankreichs Nuklearindustrie sei offensichtlich in einer tiefen Krise, technische Probleme inklusive. Teils würde überlegt, Kohlemeiler wieder in Betrieb zu nehmen, um winterliche Spitzenlasten im Stromnetz erbringen zu können.

Strom aus dem Ausland

Der Anteil am Strommix sei teils so niedrig wie in den 1970er-Jahren, weil die als CO2-frei gepriesene Technologie nicht liefern könne. Die Unzuverlässigkeit gefährde inzwischen die Stromversorgung in Frankreich, warnte der Atomsprecher der Grünen, Martin Litschauer. Zuletzt habe man im Winter 13.000 Megawatt im Ausland zukaufen müssen, vor allem in Deutschland. Trotzdem würde Windparkbetreibern in Frankreich der Netzzugang verwehrt. Allein um Altersschwäche und andere technische Neuerungen im bestehenden AKW-Park hinzubekommen, wären beim staatlich kontrollierten französischen Versorger EdF bis 2050 geschätzte 100 Milliarden Euro an Investitionen notwendig, rechnet Schneider unter Verweis auf Angaben des französischen Rechnungshofs vor.

Wie auch immer der Streit um die Taxonomie ausgeht – am Mittwoch könnte die EU-Kommission ihre Entscheidung bekanntgeben – für die Energiewende dürften die weltweit in Bau befindlichen 55 Atomkraftwerke schon allein aufgrund der langen Bauzeiten reichlich spät kommen. (ung, 1.2.2022)