Noch Mitten drin in den Koalitionsverhandlungen am 1.1.2020.

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Es gibt einen frappanten Unterschied zwischen den beiden geheimen Sidelettern, also den koalitionären Abmachungen abseits des regulären Regierungsprogramms, die am Wochenende an die Öffentlichkeit gelangt sind. In beiden Dokumenten werden minutiös Posten in der Republik aufgeteilt, vom Verfassungsgerichtshof bis zur Nationalbank. Aber anders als ÖVP und Grüne einigten sich die Freiheitlichen mit ihrem damaligen türkisen Koalitionspartner zusätzlich gleich auf konkrete Namen, die auch vermerkt wurden.

Das mindert den türkis-grünen Tauschhandel aber am Ende nur geringfügig. Das Dokument zeigt, wie die Regierung plante, sich relevante Posten aufzuteilen. In einigen Fällen wurde das auch bereits so umgesetzt (siehe Grafik). Die festgelegten Verteilungsschlüssel waren schon beschlossen, bevor die Koalition überhaupt ihre Arbeit aufnahm – das Ganze unter absoluter Verschwiegenheit.

Klare Aufteilung

Der türkis-grüne Sideletter richtet sich in vielen Positionen klar nach den Stärkeverhältnissen in der Koalition. Auffällig ist das beispielsweise bei den hohen Ämtern in den Gerichten. Vom Verwaltungsgerichtshof bis zum Bundesfinanzgericht hat sich die ÖVP das Nominierungsrecht für den Präsidenten ausbedungen. Bei den EU-Jobs ist es einmal so, einmal so. So steht beispielsweise der Volkspartei 2024 wieder der EU-Kommissar zu, die Grünen haben wiederum im kommenden Jahr das Nominierungsrecht für einen Posten am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Nach einem klaren Schlüssel verteilt wurde auch in den Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist. Die ÖVP "erhält" demnach bis zu ein Drittel der Aufsichtsratsmandate im für die Grünen und deren Klimaministerin Leonore Gewessler hochsensiblen Bereich Infrastruktur, wie es in dem Sideletter heißt. Dazu gehören beispielsweise die ÖBB oder die Asfinag. Im Gegenzug dürften die Grünen bis zu ein Drittel der Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte in den übrigen Unternehmensbeteiligungen der Republik stellen. Dort hat allerdings die Österreichische Beteiligungs AG (Öbag) ein gewichtiges Wort mitzureden. Ein "Umfärben" ist dort nicht ohne Weiteres möglich, insbesondere weil die wichtigsten Beteiligungen an der Börse notiert sind.

Eigener Krisenmodus

ÖVP und Grüne haben in ihrem geheimen Dokument nicht nur Postenvergaben arrangiert, sondern auch grundsätzliche Regeln für die koalitionäre Zusammenarbeit vereinbart. Es wurde festgehalten, dass wichtige Entscheidungen "gemeinsam getroffen und gemeinsam in der Öffentlichkeit vertreten" werden sollen. Sollte ein Koalitionspartner den anderen gegen dessen Willen überstimmen, wäre das das Ende der Zusammenarbeit, heißt es in dem Dokument. Mit einer Ausnahme, die auch im Regierungsprogramm festgelegt ist und aus der Feder der ÖVP stammen soll: Wenn die Koalition bei einer Migrations- und Asylkrise uneins ist, kann einer der Koalitionspartner auf eigene Faust ein Gesetz als Initiativantrag einbringen. Auch ein unterschiedliches Abstimmen in der Koalition ist dann möglich. (Lara Hagen, Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, 1.2.2022)