Die seit Monaten von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten besetzte Baustelle der Stadtstraße im 22. Wiener Gemeindebezirk wurde am Dienstag polizeilich geräumt. "Ja, es stimmt. Es ist kein falscher Alarm. Es wird geräumt", sagte die Aktivistin Lena Schilling Dienstagfrüh zum STANDARD. "Wir mobilisieren und schauen, dass so viele Leute wie möglich hinkommen", erklärte Schilling, die für die "Lobau bleibt"-Bewegung spricht.

Um 13.23 Uhr meldete die Landespolizeidirektion Wien auf Twitter, dass das Camp vollständig geräumt sei. Der grüne Nationalratsabgeordnete Lukas Hammer postete ein Video der Abrissarbeiten – inklusive der Ansage #Lobaubleibt.

Zuvor hatten sich am Vormittag immer mehr Unterstützer eingefunden, etwa 200 an der Zahl. Am Rande des Camps, das von der Polizei abgesperrt wurde, kletterten Personen auf Bäume und Bagger. Um 10.25 Uhr gab die Polizei dann via Lautsprecher bekannt, dass diese Versammlung nun auch aufgelöst werde, weil sie nicht angemeldet worden sei. Den Demonstranten wurden zehn Minuten Zeit gegeben, um die Örtlichkeit zu verlassen. Auch die Absperrung des Camps wurde am späten Vormittag teilweise durchbrochen.

DER STANDARD

Die Aktivistinnen und Aktivisten reagierten bereits in der Früh auf die Räumung: "Wir stehen friedlich für eine klimagerechte Mobilitätswende ein und kämpfen für eine lebenswerte Zukunft für alle. Statt über Lösungen zu diskutieren, schickt Bürgermeister Ludwig die Polizei und lässt uns gewaltsam räumen. Es ist unglaublich, wie SPÖ und Neos die Interessen der Jugend mit ihrer autofixierten Verkehrsplanung ignorieren und unseren Protest unterdrücken. Sie können uns vielleicht von dieser Baustelle wegtragen, aber unser Widerstand wird nur stärker werden. Wir geben nicht auf!", erklärte Schilling in einer Aussendung.

Foto: Christian Fischer

Während des Polizeieinsatzes wurden Öffi-Haltestellen rund um das besetzte Areal wie die U2-Station Hausfeldstraße sowie Bim- und Bus-Stationen nicht angefahren.

Demo vor der SPÖ-Zentrale

Angekündigt wurde auch eine Demonstration. "Bürgermeister Ludwig hält inmitten der Klimakrise am Autobahnbau fest, anstatt endlich klimaneutrale und leistbare Mobilität für alle zu schaffen. Durch die Räumung zeigt er, dass er das Ziel des Klimafahrplans, den Autoverkehr zu halbieren, nicht ernst nimmt", kritisierte der Klimaaktivist Gerrit Osabal von Fridays for Future Wien. "Deshalb rufen wir für heute um 18 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung vor der SPÖ-Zentrale auf."

Polizei bestätigt Festnahmen

Die Polizei bestätigte "einen größeren Einsatz im Bezirk Donaustadt, im Bereich der Hausfeldstraße. Bei dem Einsatz handelt es sich um die Auflösung einer Versammlung", hieß es in einer Aussendung.

Laut Polizei habe es bis Mittag zwölf verwaltungsrechtliche Festnahmen gegeben. Zwei Personen hätten sich laut Polizei noch über einen längeren Zeitraum in der Pyramide befunden, die im Zentrum des Camps steht. Die beiden Männer sollen sich an mit Zement in der Erde fixierte Rohre gekettet haben. Die Bergungsmaßnahmen gestalteten sich sehr komplex und technisch aufwendig. Sie beschäftigten die Einsatzkräfte mehrere Stunden.

Lena Schilling, Sprecherin von "Lobau bleibt", bei der Räumung.
Foto: Karl Schöndorfer /toppress

Auch die Stadt bestätigte die Räumung. Die für Straßenbau zuständige Magistratsabteilung 28 als Projektbetreiberin wolle jetzt rasch mit den Bauarbeiten fortfahren: "Wir haben als Stadt Wien auf sämtlichen Ebenen seit Oktober versucht, in Gespräche mit den Besetzerinnen und Besetzern zu kommen. Es gab dazu unzählige Angebote, leider ohne Erfolg. Auch wir hätten uns eine friedliche Lösung gewünscht", sagte Thomas Keller, Abteilungsleiter der MA 28.

Im Laufe des Vormittags spitzte sich die Lage zu, es gab mehrere Festnahmen.
Foto: Christian Fischer

Parallel zur Räumung wurden bereits erste Bäume entlang der Stadtstraßen-Trasse gefällt. Insgesamt müssen 380 weichen, erklärte Keller. Es sei jedoch geplant, eine Ersatzpflanzung von insgesamt 1.000 Bäumen vorzunehmen – unter anderem in den neuen Stadtteilen, die dort errichtet würden.

FPÖ-Gemeinderat Toni Mahdalik radelte wie fast jeden Tag vom 22. Bezirk in Richtung Innenstadt.
Foto: Krutzler

Vor Ort fanden sich am Dienstagmorgen auch Vertreter der Opposition ein: der grüne Klubobmann David Ellensohn und FPÖ-Gemeinderat Toni Mahdalik. Letzterer sei wie fast jeden Tag mit dem Fahrrad auf seinem Arbeitsweg vom 22. Bezirk ins Rathaus gewesen, als er an der Baustelle vorbeikam und die Polizeipräsenz sah. Dann habe er sich davon ein Bild machen wollen. Die Räumung freue ihn, sie passiere aber viel zu spät, so der Freiheitliche. Für den Schaden durch die Verzögerungen sollen Mahdalik zufolge Umweltorganisationen, aber auch die Grünen finanziell Verantwortung übernehmen.

Apropos Grüne: Nicht nur Ellensohn, auch die Wiener Doppelspitze der Partei war mit Judith Pühringer und Peter Kraus vor Ort. Pühringer habe die Räumung nicht überrascht, nun beobachte man die Situation vor Ort. Die Polizei sei aber deeskalierend unterwegs, so ihr Eindruck. Der grüne Abgeordnete Hammer postete ein Video des massiven Polizeiaufgebots. Er merkte außerdem an, dass er nicht zur Pyramide gelassen wurde. Als Nationalratsabgeordneter habe er die Amtshandlung beobachten wollen.

Monatelanger Konflikt

Der Konflikt um die Besetzung der Baustellen für die Wiener Stadtstraße – das Camp wurde Ende des Sommers aufgestellt – spitzte sich in den vergangenen Monaten immer mehr zu. Im Dezember sah sich die Stadt dazu genötigt, Anwaltsbriefe mit Schadenersatzandrohungen an Aktivisten und Unterstützerinnen zu verschicken – eine Aktion, die für viel Kritik sorgte, weil einerseits Jugendliche und sogar Minderjährige angeschrieben wurden, andererseits Personen, die nie vor Ort gewesen waren. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) beschrieb eine Räumung stets als "letzte Konsequenz".

Die Stadt will den Bau der Straße nun fortsetzen. Fünf Monate lang wurde die Baustelle besetzt.
Foto: Christian Fischer

Die Aktivistinnen beschwerten sich, dass die Politik nicht auf Gesprächsangebote reagiert habe. Zuletzt kam es dann doch am 23. Jänner zu einem Gespräch zwischen Aktivisten und der Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) – allerdings ohne Ergebnis. Sima kritisierte nach dem Treffen, dass die Besetzer nicht bereit gewesen seien, über einen "Abzug von der Baustelle für ein in allen Instanzen genehmigtes Projekt" zu sprechen.

Grafik: Der Standard

Unterstützung aus Niederösterreich

Nach dem von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) verkündeten Aus für den Lobautunnel hatte die Stadt festgehalten, dass die Stadtstraße jedenfalls gebaut werde. Unterstützung gibt es dafür aus Niederösterreich. Die Straße in Aspern – sie soll vierspurig und fast zur Hälfte untertunnelt die Südosttangente mit der Seestadt Aspern verbinden und Ortskerne in der Donaustadt entlasten – sei die Voraussetzung für alle großen Stadterweiterungsprojekte in der Donaustadt, erklärten Sima und ihr niederösterreichischer Kollege Ludwig Schleritzko (ÖVP).

Foto: Christian Fischer

Die Aktivistinnen forderten hingegen Gespräche über "klimagerechte Alternativen zur Stadtautobahn". Ende Dezember brannte es im Camp Hirschstettner Straße – die Polizei ermittelt und geht von einem gelegten Brand aus. Verletzt wurde dabei niemand. (Lara Hagen, David Krutzler, APA, red, 1.2.2022)