Regierungschef Nikol Paschinjan geriet nach der Niederlage im Bergkarabach-Krieg schwer unter Druck.

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Noch keine zwei Wochen war das Jahr 2022 alt, und schon gab es wieder schlechte Nachrichten aus dem Kaukasus: An der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan waren einmal mehr Kämpfe aufgeflammt, insgesamt vier Soldaten wurden dabei getötet.

Es war nur der jüngste Vorfall in einer Serie von Gewaltausbrüchen zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken. Wochenlang hatten diese im Herbst 2020 um die seit Jahrzehnten umkämpfte Region Bergkarabach Krieg geführt, mehr als 6.500 Menschen verloren dabei ihr Leben. Ein von Russland vermittelter Waffenstillstand sorgte zwar für ein Ende der schweren Kämpfe, doch kommt es seither immer wieder zu Gefechten mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten.

Der zweitägige Armenien-Besuch, den Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg am Mittwoch beginnt, gilt in vielerlei Hinsicht einem Land an der Bruchlinie geopolitischer Interessenkonflikte. Diese gehen auch an den Machtverhältnissen in der Hauptstadt Eriwan nicht spurlos vorüber. Vorletztes Wochenende etwa hat Präsident Armen Sarkissjan überraschend seinen Rücktritt angekündigt.

Der lange Schatten des Kriegs

Zur Begründung sagte Sarkissjan unter anderem, der Präsident verfüge "nicht über die nötigen Instrumente, um die grundlegenden Prozesse der Innen- und Außenpolitik in der schwierigen Zeit für das Land zu beeinflussen". Hinter dieser etwas sperrigen Formulierung verbirgt sich auch Kritik an Regierungschef Nikol Paschinjan im Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Krieg von 2020.

Armenien hatte damals die Kontrolle über große Teile der Region verloren, während das von der Türkei unterstützte Aserbaidschan einen Sieg verbuchen konnte. Paschinjan musste nach der Niederlage heftige Kritik im eigenen Land einstecken – unter anderem von Präsident Sarkissjan, der beklagte, dass er in die Verhandlungen zur Beendigung der Kämpfe nicht einbezogen worden sei.

Doch gibt es auch Signale der Entspannung: Mitte Jänner trafen sich Vertreter Armeniens und der Türkei in Moskau zu Gesprächen, nachdem die bilateralen Beziehungen jahrelang auf Eis gelegen waren. Von einer "positiven und konstruktiven Atmosphäre" war nun die Rede. Beide Seiten zeigten sich bereit, die Verhandlungen fortzusetzen und ihre Beziehungen zu normalisieren.

Genozid im Ersten Weltkrieg

Vor dem Hintergrund der bisherigen Spannungen ist das keine Kleinigkeit – nicht nur, weil die Türkei im Konflikt um Bergkarabach als Schutzmacht Aserbaidschans gilt. Die Zerwürfnisse zwischen Ankara und Eriwan fußen auch im Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs. Die Türkei will die systematischen Tötungen hunderttausender Menschen durch das Osmanische Reich bis heute nicht als Genozid einstufen.

Schallenberg wiederum könnte bei seiner Visite in Eriwan an Gespräche anknüpfen, die er vor knapp zwei Wochen mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Jeyhun Bayramov geführt hat. Bayramov hatte in Wien den Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) besucht, in der auch Armenien Mitglied ist. Auf dem Besprechungsprogramm des österreichischen Außenministers stehen zudem die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. (Gerald Schubert, 1.2.2022)