Wer durchsucht für uns die Datenberge? Und mit welcher Agenda? Im Bild: Peter Sellers schaut als Inspektor Clouseau in "Ein Schuss im Dunkeln" ganz genau hin.
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Der Besuch einer Bibliothek war einst mit der Nutzung eines Zettelkatalogs verbunden. Man suchte in einem Kasten mit vielen kleinen Laden nach jenem Zettel, der auf den Standort des Wunschbuchs verweist. Dieses Prinzip sollte noch große Karriere machen.

Zwar ohne Papier und verstaut in Algorithmen wurde der Zettelkasten zum Index der digitalen Suchmaschinen, die gigantische Informationsmengen zugänglich machen. Doch der Vermittlungsdienst hat einen Preis: Je mehr ein Nutzer dank des Index über die Welt herausfindet, desto mehr findet der Betreiber des Index über den Nutzer heraus.

Für die meisten Internetnutzer heißt dieser datenhungrige Indexbetreiber Google. Anders als viele der früheren Bibliotheken ist es kein gemeinnütziger Dienstleister, der aus öffentlichen Geldern gespeist wird. Es stehen die Interessen eines gewinnorientierten Konzerns dahinter – was sich in den Suchalgorithmen abbildet.

Bahnbrechende Idee

"Wie jede Technologie sind auch Suchmaschinen nicht neutral. Soziale Werte sind darin eingeschrieben und werden über sie erneut in der Gesellschaft verankert", sagt Astrid Mager vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Mager forscht in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt an jenen Ideologien und gesellschaftlichen Werten, die die Google-Suche mittransportiert, aber auch zu Regulierungsansätzen und Alternativen.

"Google wurde ursprünglich von Studierenden an der Universität Stanford entwickelt – es resultiert aus einem akademischen Umfeld, das mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Die damals bahnbrechende Idee: Wird sehr oft auf eine Seite verlinkt, muss diese wichtig sein", sagt die Soziologin. "Mit der minimalistischen Oberfläche wollte man in Kontrast zu der damals üblichen Bannerwerbung sauber, technisch und objektiv wirken."

Konzerne im Vorteil

Die Geschäftsmodelle, die auf der Suche aufsetzen, erlangten enorme Bedeutung, sagt Mager. "Die Mechanismen von Kapitalismus und politischer Ökonomie wurden verinnerlicht. Betreiber von Websites müssen sich für eine gute Positionierung in den Suchergebnissen ,anbiedern‘ und ihre Inhalte entsprechend strukturieren oder schlichtweg für Anzeigen bezahlen, was zur weiteren Kapitalakkumulation beiträgt."

"Kommerziell betriebene Portale sind tendenziell besser gereiht als kleine, individuell betriebene Seiten", sagt die Soziologin Astrid Mager.
Foto: ÖAW / Walter Peissl

Die Konsequenz in Hinblick auf die Suchergebnisse ist, dass große, kommerzielle Organisationen bevorzugt werden. "Beim Thema Gesundheit hat sich zum Beispiel gezeigt, dass kommerziell betriebene Portale tendenziell besser gereiht sind als kleine, individuell betriebene Seiten, wie jene von Selbsthilfegruppen", gibt Mager ein Beispiel.

"Gleichzeitig lernen Website-Betreiber, strategische Allianzen mit anderen Akteuren einzugehen, um sich auf verschiedenen Seiten gegenseitig zu promoten. In einer schwedischen Studie haben wir gesehen, dass industrielle, politische und akademische Akteure das Thema Biokraftstoff gemeinsam pushen und so für ihre Interessen nutzen." Der Suchalgorithmus bildet soziale Machtverhältnisse also nicht nur ab, sondern prägt diese auch selbst mit.

Verzerrungen und Stereotype

Suchmaschinen spiegeln aber nicht nur kapitalistische und soziale Machtverhältnisse wider, sondern reproduzieren auch Verzerrungen, Diskriminierungen und Stereotype, die in den Datenstrukturen selbst vorhanden sind. "Suchte man nach 'black girls', kam viel Pornografie, gab man 'white boys' ein, spuckte die Suchmaschine geschniegelte College-Typen aus", verweist die Soziologin auf ein extremes Beispiel, das durch das Buch "Algorithms of Oppression" von Safiya Noble Bekanntheit erlangt hat. Auch wenn Pornografie heute nicht mehr zu den prominenten Suchergebnissen gehört, würden Stereotype verfestigt und in die Zukunft projiziert.

In einer aktuellen Studie vertieft sich Mager in Fallbeispiele zu Suchmaschinen aus Europa, die Gegenmodelle zu Google und seiner Marktmacht entwickeln. Eines der bekanntesten Beispiele ist Startpage aus den Niederlanden.

"Startpage ist keine radikale Alternative, sondern versucht, zwei Welten zu vereinen", sagt Mager. "Einerseits gibt es einen Deal mit Google, da das Unternehmen über keinen eigenen Index verfügt. Suchergebnisse werden also von dort bezogen. Andererseits garantiert Startpage, dass keine personalisierten Nutzerdaten abgefragt werden."

Zudem gibt es Features zum anonymen Surfen, das Tracker und Cookies blockt. Der Dienst, der den aufwendigen Zertifizierungsprozess für das Europäische Datenschutzsiegel durchlaufen hat, muss aber – wie Google – auf Werbeaufträge zählen, um sich finanzieren und wachsen zu können.

Community-Projekt

Nur wenige Digitalkonzerne haben die Ressourcen, dank automatisierter Programme, die das Netz durchsuchen, einen eigenen, "hinreichend vollständigen" Index für das Word Wide Web zu schaffen. Neben Google und Microsoft gehören eine russische und eine chinesische Suchmaschine dazu. Einen tatsächlich radikal anderen Weg geht das Community-Projekt Yacy, das als Peer-to-Peer-Netzwerk gestaltet ist. Jeder Teilnehmer baut einen eigenen Index auf, der den anderen bei der Suche zur Verfügung gestellt wird.

Gerade in Europa wird oft die Frage gestellt, ob Suchmaschinen nicht wie Bibliotheken von der öffentlichen Hand organisiert sein sollten. "Das Projekt Open Web Index geht in diese Richtung – es möchte einen öffentlich finanzierten Index aufbauen, den dann verschiedene Suchmaschinen nutzen können", sagt Mager. "Damit könnte eine große Infrastruktur geschaffen werden, die dem europäischen Wertesystem entspricht." (Alois Pumhösel, 3.2.2022)

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