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Anthony Fauci bei einer Anhörung im US-Kongress. In der Hand hat der 81-Jährige ein Hetzschreiben, das Gegner seiner Arbeit über ihn aufgesetzt haben.

Foto: AP / Greg Nash

Anthony Fauci, Amerikas renommiertester Epidemiologe, medizinischer Chefberater des Präsidenten Joe Biden, ist weder für Schwarzmalerei bekannt noch dafür, sich die rosarote Brille aufzusetzen. Die Markenzeichen des 81-Jährigen sind klare Sätze, die auf jegliche Wortgirlanden verzichten. Mit seiner schnörkellosen Art wurde er einst zum Gegenspieler Donald Trumps, der ihn zwar in die Corona-Taskforce des Weißen Hauses holte, ihn aber bald seinen Unmut spüren ließ, weil Fauci sich weigerte, die Realität schönzureden. Kurz, wenn dieser stocknüchterne Mann sagt, er sei vorsichtig optimistisch, was die Pandemie angehe, dann klingt das tatsächlich ein wenig nach Entwarnung.

Ob es an der Zeit sei, Covid-19 wie eine gewöhnliche Grippewelle zu behandeln, wurde er dieser Tage von Michael Barbaro gefragt, einem Journalisten, der "The Daily" verantwortet, einen Podcast der "New York Times". Unter bestimmten Voraussetzungen, erwiderte Fauci, könne er sich vorstellen, dass das Coronavirus in der Wahrnehmung der Menschen in den Hintergrund trete, vergleichbar mit anderen Viren, mit denen man zu leben gelernt habe. Bedingung sei allerdings, dass man weiterhin impfe und häufig teste, dass Masken getragen würden, wo es ratsam sei, und antivirale Medikamente in ausreichender Menge zur Verfügung stünden. "Sind wir schon an dem Punkt, an dem wir sagen, wir können mit dem Virus leben?" Nein, antwortete Fauci auf die Frage, die er sich selbst gestellt hatte, die aktuelle Statistik lasse eine solche Aussage heute noch nicht zu.

Das "politische Stammesdenken" macht krank

150.000 an Covid-19 erkrankte Amerikanerinnen und Amerikaner, die pro Tag in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Täglich rund 600.000 bestätigte Neuinfektionen. Täglich etwa 2.200 Todesfälle, die Tendenz in den letzten Jännertagen noch steigend. Die Todesrate ist in den USA zudem weitaus höher als in anderen reichen, westlichen Staaten.

"Von einer Rückkehr zur Normalität sind wir noch ein ganzes Stück entfernt." Landstriche mit relativ hoher Impfbereitschaft, auch das anfangs so hart getroffene New York, hätten den Höhepunkt der Krise offenbar durchschritten, dort entspanne sich die Lage allmählich. Nur gelte das eben keineswegs für das gesamte Land. "Was wir brauchen, sind deutlich mehr Drittimpfungen."

Faucis beharrliches Werben für das Vakzin ändert nichts daran, dass sich die Quote nur langsam nach oben bewegt. Momentan sind 64 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens doppelt und 75 Prozent wenigstens einmal geimpft, 26 Prozent haben einen Booster bekommen. Am höchsten ist die Bereitschaft, sich den Piks in den Oberarm geben zu lassen, im Nordosten der USA, am niedrigsten im Süden und im Gebiet der Rocky Mountains. Ganz vorn liegt der Neuengland-Staat Vermont mit 79 Prozent mindestens zweifach Geimpften, die Schlusslichter bilden Alabama mit 49 sowie Mississippi und Wyoming mit jeweils 50 Prozent.

Und Fauci weiß nur zu gut, dass "politisches Stammesdenken", wie er es nennt, die Haltung zur Impfung zumindest beeinflusst, wenn nicht bestimmt. Seine Faustregel: Wer die Demokraten wählt, neigt zur Vorsicht, wer die Republikaner bevorzugt, winkt bei der Impfung eher ab. Besonders Vorsichtigen, fügt er hinzu, sollte man, falls sich sein leiser Optimismus bestätige, irgendwann signalisieren, dass für allzu große Angst vor dem epidemischen Risiko kein Grund mehr bestehe.

Unbehandelte Kranke

Wie auch anderswo führt die Omikron-Welle in den Vereinigten Staaten seltener zu schweren Verläufen, als dies bei der Delta-Variante der Fall war. Dennoch klagen viele Krankenhäuser über extrem angespannte Verhältnisse, vor allem, weil es an Personal fehlt. Erschöpfte Ärztinnen und Pfleger haben das Handtuch geworfen, überall Engpässe, was der Mediziner Clayton Dalton am Beispiel der Klinik in New Mexico schildert, in deren Notaufnahme er arbeitet.

Im Dezember, blendet Dalton zurück, habe sein kleines Spital im Durchschnitt noch 38 andere Häuser kontaktieren müssen, um ein freies Bett für einen Patienten zu finden. Heute rufe man vierzig, fünfzig, manchmal sogar sechzig an – ohne Erfolg zu haben. Was er beobachte, sei ein Ansturm von Kranken, die im ersten Jahr der Pandemie noch abgewartet hätten, nun aber umso dringender behandelt werden müssten. "Krebszellen haben sich ausgebreitet, aus Brustschmerzen ist Herzversagen geworden, Menschen mit Nierenproblemen brauchen jetzt eine Dialyse."

Was die in manchen Regionen ausgeprägt niedrige Impfbereitschaft für die Krankenhäuser bedeutet, hat die "Financial Times" gerade erst in einer Analyse vorgerechnet. Demnach ließe sich fast die Hälfte aller Einlieferungen vermeiden, kämen die USA auf eine so hohe Impfquote wie Dänemark. Genauer: Die höchste Tagesmarke im Jänner hätte bei 91.000 neu zu betreuenden Patienten gelegen, nicht bei 161.000, die tatsächlich aufgenommen werden mussten. (Frank Herrmann, 2.2.2022)