Junge Menschen, Frauen und Personen mit niedrigem Einkommen sind von den psychischen Folgen der Pandemie am stärksten betroffen. Impulse von außen helfen, sind aber teuer.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Katarzyna Bialasiewicz

Müde. Ausgelaugt. Depressiv. Diese negativen Gefühle kennen viele. Und wie auch nicht? Je länger die Pandemie dauert, desto stärker werden Stress, Druck und damit psychische Belastung. Ängste, Schlafstörungen und Anzeichen für Depression nehmen zu. Damit einhergehend steigt die Nachfrage nach psychotherapeutischer Hilfe. Das zeigt auch eine Studie der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin an der Med-Uni Wien zu den Folgen der Krise für die seelische Gesundheit.

Besonders betroffen sind junge Menschen, Frauen und Personen mit niedrigem Einkommen. Gerade Frauen leiden unter Mehrfachbelastungen, mit der Pandemie wurden traditionelle Rollenbilder wieder spürbarer. Geschlossene Schulen und Clubs belasten die junge Generation. Auch wer finanziell nicht abgesichert ist, hat ein höheres Risiko, unter Angstzuständen zu leiden.

Ist das noch normal?

Verschwinden die negativen Gedanken nicht mehr oder entwickeln sich sogar zu einer Abwärtsspirale, ist Hilfe von außen ratsam. Nur: Von wem? Viele Menschen, die sich damit noch nie auseinandergesetzt haben, wissen nicht, welche Angebote es gibt. Sie unterscheiden auch nicht zwischen Coaching und Psychotherapie. Barbara Haid vom Österreichischen Dachverband für Psychotherapie erklärt: "Salopp gesagt geht es um Frage, ob jemand gesund oder krank ist. Ist man prinzipiell gesund, geht man eher zum Coaching. Gibt es bereits ein Krankheitsbild, ist Psychotherapie besser."

Aber woher weiß man ohne Diagnose, ob man gesund oder krank ist? Die Frage ist, ob man die Verstimmung an einem Problem festmachen kann oder ob sich negative Gefühle wie ein grauer Schleier über mehrere Lebensbereiche legen. Coaches arbeiten mit konkret benennbaren Krisensituationen: "In einem geschützten Rahmen nimmt man eine Vogelperspektive ein, gewinnt Abstand und kann wieder klarer sehen", erklärt Michael Tomaschek, Obmann des Österreichischen Dachverbands für Coaching. Das kann ein berufliches oder ein privates Thema sein. Das ist wie beim Sport: "Der Coach nimmt eine Auszeit und holt die Mannschaft aus dem Spiel raus, um gemeinsam den nächsten Zug zu besprechen."

Die Grenzen des Coachings

Das sei eine wichtige Abgrenzung zur Therapie. Coaching ist zukunfts- und lösungsorientiert. In der Regel ist es eine Kurzzeitberatung, fünf bis zehn Stunden etwa. Bei Therapie kommt dagegen das Element der Vergangenheit dazu und die Frage, wie es zu den heutigen Gefühlen gekommen ist, sagt Barbara Haid. Diese Unterstützung ist dann wichtig, wenn der Leidensdruck so groß ist, dass man den Alltag nicht mehr gut bewältigen kann.

Ist der Alltag noch nicht eingeschränkt, verliert man sich aber trotzdem in Gedanken und dreht sich bei Entscheidungsfindungen im Kreis, hilft Coaching. Aber einen guten Coach zu finden kann schwierig sein, weil der Begriff nicht geschützt ist. Laut Gewerbeordnung ist Coaching allerdings eine definierte Dienstleistung, die verschiedenen Gewerberichtungen wie Unternehmensberatung oder Lebens- und Sozialberatung zugeordnet ist. Der Beruf der Lebensberaterinnen und Lebensberater ist gesetzlich zwar mit einem festgelegten Curriculum aus Ausbildungs- und Praxisstunden geregelt, es bleiben aber Grauzonen: Viele Coaches würden ohne entsprechende Qualifikation auch als Lebens- und Sozialberater im Einzelcoaching agieren.

Tomaschek appelliert deshalb, Coaching-Angebote kritisch zu hinterfragen. Es gibt immer wieder Angebote, in denen Lebenserfahrung als medizinische Qualifikation verkauft werde. Die in den Datenbanken der Dachverbände gelisteten Beraterinnen und Berater seien eine gute Orientierung. Aber auch hier gebe es Social-Media-Gurus, die das Blaue vom Himmel versprechen: "Das ist eine missbräuchliche Anwendung eines Beratungsverhältnisses und hat mit Coaching nichts zu tun", stellt Tomaschek klar.

Mental Health als Privileg

Seriöse Beratung basiere auf einer klaren Zielvereinbarung. Coaching geht davon aus, dass man schon alles hat, was man für die Problemlösung braucht: "Jetzt heißt es, den Menschen wieder in seine Eigenverantwortung zu bringen."

Auch Therapie ist Hilfe zur Selbsthilfe, aber offener im Ziel. Therapeutin Haid erklärt das mit einem Sinnbild: "Meine Patientin sitzt in einem Boot, als Therapeutin steige ich für eine gewisse Zeit mit ins Boot. Ich begleite und unterstütze auf hoher See, übernehme Verantwortung, aber am Ende bleibt es das Boot meiner Patientin." Therapie ist allumfassender als Coaching.

Günstig ist das leider nicht: "In Österreich gibt es zu wenig kassenfinanzierte Psychotherapieplätze", kritisiert Haid. Hat man nicht genug Geld, eine Therapie selbst zu bezahlen, bleibe einem aktuell nichts anderes übrig als zu warten. In anderen Gesundheitsbereichen völlig unvorstellbar, wie Haid mit einem Vergleich veranschaulicht: "Es ist so, als hätte eine Unfallchirurgie ein Kontingent für Beinbrüche. Wenn der hundertste Skifahrer mit einem gebrochenen Bein kommt, heißt es: ‚Sie können leider erst in einem halben Jahr wiederkommen.‘"

Therapie muss enttabuisiert werden

Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie hat deshalb die Kampagne #MehrPsychotherapieJetzt gestartet und fordert die Abschaffung der Kontingentierung. Es müsse selbstverständlich werden, dass man bei Leidensdruck Psychotherapie bekommt und das von der Kasse finanziert wird – besonders in Zeiten, in denen die mentale Gesundheit ganz besonders leidet: "Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern eigentlich fünf nach zwölf."

Bei Kopfschmerzen geht man zum Arzt. Wenn die Stimmung im Keller ist, sollte es genauso normal sein, zur Therapeutin zu gehen, appelliert Haid. Und sie räumt mit noch einem Problem auf: Therapie ist für viele immer noch ein Tabuthema. Dabei könnten alle von Therapiestunden profitieren. Als mentale Vorsorge quasi, wie die jährliche Gesundenuntersuchung: "Es ist schließlich kein Problem zu klein, um nicht darüber reden zu können." (Magdalena Pötsch, 1.2.2022)