Höhlen waren für unsere Vorfahren wichtige Orte. Für die Wissenschaft stellen sie wertvolle Zeitkapseln dar – als Archiv und wissenschaftliche Schatzkiste.
Foto: Mirjam Widmer

Seit jeher haben Höhlen die Fantasie der Menschen beflügelt: Fast überall auf der Welt ranken sich Sagen um die Hohlräume im Erdinneren. In unseren Breiten zählen dazu unter anderem die Legenden um die Kaiser Friedrich Barbarossa und Karl der Große, die im Kyffhäuser respektive dem Untersberg auf ihre Wiederkehr warten sollen, oder auch die Sage vom Drachentöter von Mixnitz, deren Ursprung wohl in Knochen des Höhlenbären zu suchen ist.

Die besondere Faszination für die Menschen ist keine Überraschung, schließlich waren Höhlen überall auf der Welt schon für unsere frühesten Vorfahren ein Ort der Zuflucht und des Schutzes. Der hohe kulturelle Stellenwert, den diese Orte für die Urmenschen hatten, wird anhand von hochwertigen Wandmalereien wie zum Beispiel in Lascaux oder Chauvet sichtbar.

Diese Bilder seien nicht das Werk von Amateuren gewesen, sagt der Geologe und Höhlenforscher des Naturhistorischen Museums in Wien (NHM) Lukas Plan: "Diese Menschen haben mit gekonntem Schwung Bär und Löwe an die Wand gemalt." Dies ist eine wertvolle Quelle für das Aussehen ausgestorbener Arten, die sonst nur durch ihre Knochen bekannt sind. So wissen wir, dass der Höhlenlöwe keine Mähne hatte. Aus allen besiedelten Kontinenten seien derartige Funde bekannt.

Ein Skelett eines Höhlenbären mit zwei Jungtieren in der Schausammlung des NHM.
Foto: NHM Wien, Christina Rittmannsperger

Lange Forschungstradition

Die Speläologie, also die Erforschung der Höhlen, hat in Österreich eine lange Tradition: Der älteste Höhlenverein der Welt wurde im Jahr 1879 in Wien gegründet. Mit dabei war damals Ferdinand von Hochstetter, Direktor des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums.

In der Nachfolgeinstitution – dem NHM – wurde nun anlässlich des von der Internationalen Union für Speläologie organisierten Internationalen Jahres für Höhlen und Karst unter Lukas Plans Ägide ein Lehrpfad durch die Schausammlung eingerichtet. Unter dem Motto "Höhlen – Schatzkammern der Wissenschaft" werden die Besucher gezielt zu Ausstellungsstücken gelotst, die im Zusammenhang mit Höhlen stehen. Dabei handelt es sich um ein interdisziplinäres Projekt quer durch diverse Fächer der Wissenschaften, von Geologie über Paläontologie, Zoologie bis zu Archäologie.

Höhlen weisen oft eine bizarre Schönheit auf.
Foto: NHM Wien, Lukas Plan

Zu den Exponaten zählt das Skelett eines eiszeitlichen Höhlenbären nebst den Überresten von Jungtieren ebenso wie Tropfsteine aus Slowenien und altsteinzeitliche Artefakte aus der Gudenushöhle in Niederösterreich. Auch in der zoologischen Sammlung des Museums finden sich einige Exemplare mit Höhlenbezug: Tausendfüßer, Grottenolme und Fledermäuse sind perfekt an die schwierigen Lebensbedingungen in der ewigen Dunkelheit im Berginneren angepasst.

Höhlenvogel namens Fettschwalm

Doch nicht nur Fledermäuse können in der Finsternis navigieren, diese Technik hat auch ein ganz besonderer Vogel gelernt: Der südamerikanische Guácharo, auch Fettschwalm genannt, orientiert sich im Dunkeln mit durchdringenden Klicklauten und kann Höhlen auf diese Weise bis fast einen Kilometer tief besiedeln. Beschrieben wurde der Guácharo als Steatornis caripensis von Alexander von Humboldt, der beeindruckt von dem Lärm war, den die Vögel verursachen. Für die Einheimischen hatte der Guácharo dafür eine völlig andere Bedeutung.

Die Jungvögel erreichen nämlich das doppelte Gewicht ihrer Eltern, was für sie fatal war: Kurz vor dem Flüggewerden wurden sie eingesammelt und ausgekocht, um an ihr außergewöhnlich lange lagerungsfähiges Fett zu kommen. Das Fett der älteren Vögel hat nicht diese Qualität. Dies half ihnen jedoch wenig: Mit einem durch den Körper gefädelten Docht ergibt der Guácharo als Lampe eine brauchbare Hilfe für die Menschen, die sich nicht wie er mit Klicklauten im Dunkeln orientieren können.

Der Fettschwalm trägt seinen Namen zu Recht.
Foto: NHM Wien, Christina Rittmannsperger

In den Medien tauchen Höhlen zumeist nur in Verbindung mit spektakulären Unglücken auf, wie zum Beispiel der Bergung eines verletzten Forschers aus der Riesending-Schachthöhle im Untersberg 2014 oder der Rettung eines Jugend-Fußballteams aus der Tham-Luang-Höhle in Thailand 2018.

Zeitkapseln für die Wissenschaft

Wissenschaftlich wertvoll macht die Höhlen besonders der Umstand ihrer langlebigen Stabilität. Einst wurden sie von fließendem Wasser aus dem Gestein gegraben, ein Vorgang über Jahrtausende. Doch wenn sie einmal trockengefallen sind, finden kaum noch Veränderungen in ihnen statt – manchmal für Millionen Jahre. Damit sind perfekte Bedingungen für die Erhaltung von Spuren der Vergangenheit gegeben: Höhlen bilden eine Art Zeitkapsel. Vieles, was wir über unsere eigene Geschichte wissen, ist in Höhlen überliefert worden. Ablagerungen dienen als Archiv für die Erdbeben ebenso wie für die Klimaforschung.

In Tropfsteinen sind Informationen aus Jahrtausenden gespeichert.
Foto: NHM Wien, Christina Rittmannsperger

In Österreich sind bisher mehr als 18.000 Höhlen dokumentiert. Diese wurden auch kommerziell ausgebeutet: Infolge des Ersten Weltkrieges trat eine Düngemittelknappheit auf. Unter anderem in der Drachenhöhle von Mixnitz wurden tausende Tonnen Phosphat abgebaut, was auch viele Funde zutage brachte.

Begleitet wird der neue Höhlenpfad im NHM von einer breiten Palette von Spezialführungen und Vorträgen. Auch das Programm im neuen interaktiven Saal "Deck 50" ist auf den Schwerpunkt abgestimmt – Science-Quiz inklusive. (Michael Vosatka, 2.2.2022)

Höhlenforschung erfordert auch besondere körperliche Fertigkeiten – hier demonstriert in der Kuppel des NHM.
NHMWien