Marion Maréchal wechselt das politische Lager und dockt bei Éric Zemmour an. Opa und Tante Le Pen ist das nicht sehr genehm.

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Es konnte nicht lange gutgehen. Marine Le Pen und Éric Zemmour nehmen einander bei den französischen Präsidentschaftswahlen zu viele Stimmen weg, hindern sich gegenseitig daran, in den zweiten Wahlgang vorzustoßen. Dabei hätten sie alle Chancen auf ihrer Seite: Die Linke ist zersplittert, und in der Mitte neutralisieren sich Präsident Emmanuel Macron und die Bürgerliche Valérie Pécresse.

Doch jetzt ist der mühsam gewahrte Burgfrieden zwischen Le Pen und Zemmour geplatzt. Der Auslöser ist Marion Maréchal. Die 32-jährige Nichte der rechtspopulistischen Kandidatin "überlegt" nach eigenen Worten, sich Zemmour anzuschließen und damit ihrer Familie den Rücken zu kehren. Sie versucht zwar, den Seitenwechsel in Raten zu vollziehen, um die Wirkung zu dämpfen, doch für ihre Tante, die in den Wahlumfragen bisher gut platziert als Zweite hinter Macron lag, ist der Schlag sehr hart.

Familienverrat

"Natürlich ist das brutal, voller Gewalt, alles sehr schwierig für mich", bekennt Marine Le Pen, Vorsteherin des Rassemblement National (RN). Sie habe ihre Nichte in ihren ersten Lebensjahren persönlich aufgezogen, erzählte sie. Auch wenn sie es nicht offen sagte, war es doch ihrem Gesichtsausdruck abzulesen: Was Marion ihr antut, ist Verrat. Schlimmer noch: Verrat an der Familie.

Der Grund ist, wie meist bei den Le Pens, politischer Natur: Marion Maréchal, die das "Le Pen" seit langem aus ihrem doppelten Nachnamen gestrichen hat, ist ultrakonservativ und -katholisch und vertritt damit ganz ähnliche Positionen wie Zemmour – liberal in der Wirtschaftspolitik, knallhart in Sachen Immigration. Marine hingegen gibt sich betont sozial, verteidigt die Homo-Ehe und giftet kaum noch gegen Immigranten, um auch Mitte- und Linkswähler anzusprechen.

Marine Le Pens letzte Chance

Der angekündigte Verrat bei den Le Pens hat noch eine andere Facette. Marion, jung, selbstbewusst und neotrumpistisch, lässt ihre lavierende Tante (53) schon fast alt aussehen. Während die Nichte die politische Zukunft vor sich hat und als Hoffnungsträgerin der Neuen Rechten gilt, kämpft Marine immer noch gegen die Vergangenheit: den Schatten ihres offen rassistischen Vaters Jean-Marie Le Pen, aber auch ihr eigenes Versagen im TV-Wahlduell gegen Macron vor fünf Jahren. Diese Präsidentenwahl ist zweifellos ihre letzte.

Hinter dem "Krieg der extremen Rechten", wie ihn die sonst zurückhaltende Zeitung Le Monde nennt, lauert ein Generationenkonflikt, wie ihn der Le-Pen-Clan beherrscht. Marine hatte ihren Vater im Jahr 2015 selber aus dem Front National (FN) geworfen, die Faschopartei verwandelte sie in eine harmloser klingende "Nationale Sammlung", kurz RN. Die Pariser Medien sprachen nicht von ungefähr von "Vatermord".

Väterlicher Beistand

Maréchals Spiel mit dem Treuebruch kommt für Marine Le Pen im schlechtesten Moment. Seit einigen Tagen schon setzen sich andere RN-Koryphäen zu Zemmour ab. Darunter ist Bruno Mégret, der sich mit Verrat auskennt, nachdem er 1998 eine Konkurrenzpartei zu seinem Ziehvater Le Pen senior gegründet hatte. Auch Gilbert Collard, ein bisher loyaler Staradvokat von Marine Le Pen, hat letzte Woche bei Zemmour angedockt.

Das ist aber alles nichts gegen einen Verrat innerhalb der Le-Pen-Dynastie. Sogar Jean-Marie Le Pen eilt nun seiner Tochter zu Hilfe und erklärte, er wäre "enttäuscht" von Marion, wenn sie wirklich mit Zemmour gemeinsame Sache machen würde. Die lässt sich aber nicht so schnell weichkochen.

Aus demselben harten Holz wie der Patriarch geschnitzt, errang sie schon mit 22 ein hart umkämpftes Abgeordnetenmandat in Südfrankreich. Später zog sie sich ohne Wahlniederlage aus der Politik zurück, aber wohl nur, um zu warten, bis sich ihre Tante verbraucht hatte. Jetzt will Marion aber nicht mehr darauf warten, den Stab von der französischen Rechten zu übernehmen. Marine, die sich gelassen und geläutert geben wollte, zeigt erstmals im Wahlkampf Nerven. "Sollen die, die gehen wollen, gehen", schimpfte sie, um herrisch anzufügen: "Aber dann sofort!"

Attacken gegen Zemmour

Zugleich attackieren ihre Sekundanten nun Zemmour, den sie bisher ignoriert hatten. Der polemische Publizist versuche im RN Leute "mit Geld" abzuwerben, dazu biete er ihnen Listenplätze für die im Juni folgenden Parlamentswahlen an, behauptet Le Pens Vize Jordan Bardella. Er verdächtigt Zemmour sogar, ein Maulwurf der Konservativen zu sein, mit der Aufgabe, Le Pen Stimmen wegzunehmen und ihren Einzug in die Stichwahl zugunsten der Republikanerin Pécresse zu vereiteln. Zemmour bezeichnet diese These als "erbärmlich" und droht mit Verleumdungsklage.

Und wer wird sich im ersten Wahlgang im April durchsetzen? Le Pen lag in den Umfragen bisher knapp vor Zemmour. Das war vor Marions Versuch des "Tantenmordes" mitten im Wahlkampf. (Stefan Brändle aus Paris, 1.2.2022)