So vorläufig wie der Bericht von Staatssekretärin Sue Gray über die Lockdown-Partys in der Downing Street fällt auch das Urteil der konservativen Parlamentsfraktion aus. Boris Johnson, das verdeutlichten die düsteren Gesichter seiner Hinterbänkler, bleibt Premierminister auf Bewährung.

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Regeln, politischer Anstand, die Treue zu Recht und Gesetz – das alles hält Boris Johnson für überflüssig.
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Die immer neuen Enthüllungen der vergangenen Wochen haben selbst jenen die Augen geöffnet, die den Wahlsieger von 2019 und brillanten Brexit-Propagandisten von 2016 stets verteidigt hatten. Regeln, politischer Anstand, die Treue zu Recht und Gesetz – das alles hält Johnson für überflüssig.

Der Kampf um den EU-Austritt hat die Partei des Bewahrens umgekrempelt, hat die Tories in gewisser Weise zur Brexit-Party gemacht. In diesem Parteiflügel hat Boris Johnson noch immer viele Unterstützer. Nicht umsonst sind seine härtesten Kritiker traditionelle Tories, angeführt von seiner glücklosen Vorgängerin: Theresa May verhöhnte den Premier. Dieser habe die Corona-Regeln offenbar entweder nicht gelesen oder nicht verstanden oder nicht auf sich bezogen.

Atemlos lauschte das Parlament vor allem dem Parlamentsneuling Aaron Bell, den erst die "Boris-Welle" 2019 ins Unterhaus geschwemmt hatte. Zum Begräbnis seiner Großmutter, einer treuen Konservativen, im Frühjahr 2020 – als Johnson Lockdown-Partys feierte – fuhr der 40-Jährige drei Stunden allein im Auto. "Ich hielt meine Rede und kehrte wieder um, ohne meine Eltern und Geschwister zu umarmen", referierte der Jungabgeordnete und fragte dann seinen Chef: "Der Premierminister hält mich wohl für blöd?"

Zum Vorschein kam das unverarbeitete Trauma der Covid-Pandemie – und der "Ekel" (Bell) angesichts der Vorgänge im Regierungszentrum. Um die Partei zu versöhnen und auf sich einzuschwören, bräuchte nun Johnson Fingerspitzengefühl und den Willen zur Veränderung. Beinahe nichts spricht dafür, dass der 57-Jährige diese Eigenschaften besitzt. (Sebastian Borger, 2.2.2022)