Dutzende Polizeifahrzeuge. Eine Hundertschaft an Polizistinnen und Polizisten vor Ort, darunter auch Wega-Einheiten und Beamte aus Niederösterreich oder Linz. Großräumige Absperrungen samt stundenlang gesperrten Öffi-Stationen, allen voran die U2 Hausfeldstraße direkt vor dem Protestcamp gegen die Wiener Stadtstraße.

Eine Hundertschaft an Polizisten setzte die Räumung des Protestcamps durch.
Christian Fischer

Die Räumung der seit rund fünf Monaten besetzten Baustelle für das umstrittene Projekt – nicht weit entfernt von der Seestadt Aspern – war offenbar zwischen Polizei, Stadt Wien und Wiener Linien gut durchorchestriert. Am Dienstag gegen 8.15 Uhr rückte die Exekutive in der Wiener Donaustadt an. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur zwölf Aktivistinnen und Aktivisten auf der besetzten Baustelle. Sechs wurden verwaltungsrechtlich festgenommen, weil sie der Aufforderung, das Camp freiwillig zu verlassen, nicht nachgekommen waren. Das berichtete Polizeisprecher Markus Dittrich. Das Camp galt seit 9. Dezember 2021 als polizeilich aufgelöst. Die Stadt als Grundeigentümerin hatte die Räumung gefordert, nachdem Gespräche mit Besetzerinnen und Besetzern aus Sicht der Stadtregierung gescheitert waren.

Polizeieinsatz über mehrere Stunden

Insgesamt dauerte der Polizeieinsatz mehrere Stunden. Während die von Aktivistinnen und Unterstützern seit Ende des Sommers aufgestellten Holzbaracken mit Baggern und anderem Baugerät bereits zerstört und die verbliebenen Teile abtransportiert worden waren, blieb die markante Holzpyramide zunächst noch stehen. Polizeisprecher Dittrich erklärte, dass sich zwei Aktivisten in der Pyramide "baulich so zusammengetan" hätten, dass man sie "mit technischen Mitteln befreien müsste". Das gelang erst kurz nach 13 Uhr. Es stellte sich heraus, dass sich die Aktivisten an ein mit Zement in der Erde fixiertes Eisenrohr angekettet hatten. "Das Protestcamp im Bereich der Hausfeldstraße konnte vollständig geräumt werden, mittlerweile wurden auch die letzten zwei Aktivist:innen unverletzt aus dem Camp gebracht", schrieb die Polizei Wien auf Twitter.

Grafik: Der Standard

Etwa 200 Unterstützerinnen und Unterstützer vor Ort

Zuvor hatte sich die Situation im Verlauf des Vormittags bei der Hausfeldstraße zugespitzt. Obwohl die Wiener Linien Öffi-Haltestellen im Umkreis sperren ließen und sich die Anreise dadurch erschwerte, strömten etwa 200 Unterstützerinnen und Unterstützer zum Areal. "Die Telefonliste wurde durchgerufen", sagte die 26-jährige Inara von Fridays for Future. Dazu gab es zahlreiche Aufrufe von Umweltorganisationen via Social Media.

"Lasst uns laut werden", schrie eine Aktivistin ins Megafon. "Lobau bleibt", antworteten andere. Einige rissen Polizeizäune nieder und gelangten wieder in das abgesperrte Protestcamp. Die Polizei setzte teilweise Pfefferspray ein, fixierte Teilnehmende auf dem Boden und transportierte diese ab. Insgesamt kam es bis zum Ende der Räumung zu 48 Festnahmen, außerdem gab es laut Polizeisprecher Dittrich "strafrechtliche Anzeigen".

Beim Einsatz der Polizei wurde auch Tränengas verwendet, als Aktivisten Polizeisperren durchbrachen.
Foto: Christian Fischer

380 Bäume werden entlang der Trasse der Straße gefällt

Vis-à-vis dem Protestcamp besetzten indes auf der anderen Straßenseite zwei Teilnehmer ein dazugekommenes Baufahrzeug. Weitere Protestierende kletterten auf Bäume. Denn parallel zur Räumung des Protestcamps begann die Stadt am Dienstag auch mit der Rodung von Bäumen bei der Hausfeldstraße und der Hirschstettner Straße. "Entlang der Trasse der Stadtstraße werden 380 Bäume gefällt", bestätigte Thomas Keller, der Leiter der Straßenbauabteilung (MA 28), dem STANDARD. Das sei gemäß UVP-Bescheid als gültig erklärt worden. Es gebe aber auch "an die 1000 Ersatzpflanzungen" von Bäumen, die in den Stadtentwicklungsgebieten Seestadt und Hausfeld gepflanzt würden.

Parallel starteten die Abrissarbeiten.
Christian Fischer

"Das ist ein trauriger Tag für den Klimaschutz, für die Zivilgesellschaft – und ganz besonders für die SPÖ", sagte der Grüne Peter Kraus. Neben der Wiener Doppelspitze Kraus und Judith Pühringer waren zahlreiche weitere Grüne bei der Räumung des Areals vor Ort. Nicht unerwähnt sollte freilich bleiben, dass die Grünen – noch als Juniorpartner der SPÖ – einst das Projekt Stadtstraße mit den Roten auch mitentwickelt hatten.

Anton Mahdalik, Verkehrssprecher der Wiener FPÖ, zeigte sich über die Räumung erfreut. "Viel zu spät, aber immerhin." Er fordert, "dass ein Teil des Schadens der Baustellenbesetzung von Greenpeace, Global 2000 und den Grünen eingeklagt werden soll". Auch Mahdalik war vor Ort – mit seinem Rad: Die Hausfeldstraße liegt auf seinem Arbeitsweg zwischen Essling und dem Rathaus, den er radelnd absolviert. Dafür versäumte er die Ausschusssitzung Innovation, Stadtplanung und Mobilität unter Stadträtin Ulli Sima (SPÖ): Dort wurde am Dienstagvormittag, als die Räumung noch lief, die Wiener Smart-Klima-City-Strategie beschlossen. Mit dieser will Wien ja bis 2040 CO2-neutral sein.

Stadtstraße für Ludwig "essenziell"

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) verwies via Twitter auf "leider erfolglose" Gesprächsangebote der Stadt an die Besetzerinnen. Für die 3,2 Kilometer lange, vierspurige Stadtstraße mit Tempo 50 gebe es "gute Gründe". Sie sei behördliche Auflage für die Seestadt Nord und "essenziell" für weitere Wohnbauentwicklungen in der Donaustadt.

Massive Kritik kam von praktisch allen großen Umweltorganisationen. So verurteilte etwa Greenpeace die polizeiliche Räumung scharf und sprach von "unverhältnismäßiger Härte". Die Stadt Wien "hat heute der Klimabewegung und den jungen Menschen in Wien den Kampf angesagt", sagte Klara Maria Schenk.

Klimaaktivistin Lena Schilling vom Jugendrat meinte: "Wir sind mutig und entschlossen, weiterzukämpfen." Global 2000 kündigte noch für Dienstagabend eine Demonstration vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße an. Dort versammelten sich einige hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die lautstark gegen die Räumung protestierten. Auf Transparenten ("Städte für die Autos oder für die Menschen?") wurde die Verkehrspolitik der Stadt kritisiert.

Global 2000 projizierte ein Bild Bürgermeister Ludwigs auf das Gebäude.
Foto: APA/FLORIAN WIESER

In Reden wurde unter anderem davor gewarnt, dass Stadt und Wirtschaftskammer auch die Lobauautobahn weiter "durchboxen" wollen. Anders als bei den Demonstrationen der Corona-Maßnahmengegner waren keine Menschen zu sehen, die die FFP2-Maskenpflicht ignorierten. (David Krutzler, red, 1.2.2022)