In einer Sporthalle in Diwaniyya steht die 17-jährige Fatima auf einem mit Matten ausgelegten Feld ihren Gegnerinnen gegenüber. Die jungen Frauen bilden einen losen Halbkreis, der sich langsam um Fatima zu schließen beginnt. Dann geht es rasch. Fatima schnellt nach vorne und schlägt mit ihrer Hand einer der Gegnerinnen auf den Oberschenkel, bevor sie zurück in die andere Hälfte des Spielfeldes läuft. Wäre das ein Wettbewerb, hätte Fatimas Team jetzt einen Punkt gemacht.

Dass Fatima in dieser Halle Kabaddi trainiert, ist alles andere als selbstverständlich. Als sie mit dem Kontaktsport begann, musste sie sich einiges anhören. Sport sei nichts für eine junge Frau, sie würde dem Ruf der Familie schaden und solle besser zu Hause bleiben. Doch Fatima blieb nicht zu Hause. Seit einem Jahr kommt sie mehrmals die Woche in die Sporthalle, um unter der Leitung von Coach Alaa Hussein zu trainieren. Diwaniyya liegt zwei Autostunden südlich von Bagdad im grünen Fruchtland zwischen Euphrat und Tigris. Aus Sicht der Hauptstadt gilt Diwaniyya als konservativ.

Ibrars Angriff schlug fehl, ihre Gegnerinnen konnten sie zu Boden ringen.
Foto: Markus Korenjak

Vorgezeichneten Lebensweg

In Städten wie dieser wüchsen Mädchen mit der Erwartung auf, dass sie im Alter von 16 oder 17 heiraten werden, sagt die irakische Autorin und Frauenrechtsaktivistin Houzan Mahmoud. Dieses Frauenbild werde von einer Vielzahl an Institutionen reproduziert – angefangen bei der Familie über die Schule bis zur Moschee. Ihre Tochter zu verheiraten ist daher für viele Eltern vorrangig. Aber auch die jungen Frauen selbst sehen darin den für sie vorgezeichneten Lebensweg, der wichtiger erscheint als der Schulabschluss oder eine Berufsausbildung. Für Sport ist auf diesem Lebensweg kein Platz.

"Viele Männer wollen keine Frau heiraten, die Sport betreibt und dadurch bei Trainings oder Wettbewerben in der Öffentlichkeit auftritt", so Mahmoud. Sportlerinnen riskieren dadurch, jene Zukunft aufs Spiel zu setzen, die die Gesellschaft für sie vorsieht: Ehemann, Kinder und Familie.

Wenig Anerkennung

Mit der Schwierigkeit, junge Frauen für das Team zu gewinnen, kämpft Coach Alaa Hussein seit der Gründung des Kabaddi-Clubs vor sechs Jahren. Zurzeit trainiert er 25 Mädchen, die Jüngste im Team ist 14, die Älteste 26. Viermal die Woche treffen sie sich zum Training. "Sofern es sich mit Schule und Universität vereinbaren lässt", so der Coach.

Auf die Leistungen seines Teams ist Hussein stolz. Bei einem Wettkampf zwischen sieben irakischen Clubs im Juni 2021 gewann sein Team den ersten Platz. Und auch im Ausland konnten sich die jungen Irakerinnen schon behaupten: Bei einem Wettkampf in Beirut erreichten sie Platz zwei.

Viermal die Woche trainieren die jungen Frauen Kabaddi. Vorne im Bild ist Ibrar.
Foto: Markus Korenjak

"Trotz allem erfahren die Leistungen der Mädchen kaum Anerkennung", sagt der Coach. Die Reise in den Libanon sei nur möglich gewesen, weil eine irakische Bank als Sponsor auftrat. Von staatlicher Seite gab es keine Unterstützung. Andere Wettbewerbe wie die Meisterschaft 2017 in Japan mussten wegen mangelnder finanzieller Mittel abgesagt werden.

"Wir haben Erfahrung und gute Sportlerinnen, aber wir brauchen Geld, um voranzukommen", sagt Hussein. Aber nicht nur am Finanziellen, auch an der gesellschaftlichen Akzeptanz mangle es. Die meisten jungen Frauen würden das Training abbrechen, sobald sie heiraten, weil ihre Ehemänner den Sport nicht akzeptieren. Eltern wiederum wollen oft nicht, dass ihre Töchter zu Wettkämpfen fahren. "Daher fehlen bei Auslandsturnieren immer wieder wichtige Spielerinnen", so der Coach.

Zahlreiche Hindernisse

Auch bei Ibrar dauerte es eine Weile, bis ihre Eltern sich an die neue Rolle der 20-Jährigen als Sportlerin gewöhnten. Über eine Freundin habe sie vom Kabaddi-Team gehört und sei sofort begeistert gewesen. Doch ihre Eltern waren zunächst strikt dagegen. Erst nach einem Besuch in der Sporthalle, wo sie sahen, wer hier trainiert und dass der Coach keine männlichen Zuseher während des Trainings zulässt, willigten sie ein.

Schulkolleginnen von ihr konnten sich nicht durchsetzen. Da gebe es vieles, das die Eltern störe, so Ibrar. Etwa, dass der Coach ein Mann ist und die Mädchen beim Training enge Hosen tragen. "Unsere Gesellschaft ist für Mädchen nicht offen", sagt sie. Alleine auszugehen oder über Nacht bei einer Freundin zu bleiben sei für sie undenkbar. Ob sie einen Freund habe? Sie lacht verlegen und schüttelt den Kopf. Mit dem Verlieben sei das nicht so einfach, Beziehungen oder Heirat seien ohne die Zustimmung der Eltern nicht möglich.

Gesellschaft im Fluss

Doch auch die Gesellschaft Iraks verändere sich, so die Aktivistin Mahmoud. Nach dem Sturz des Regimes 2003 und dem darauf folgenden Erstarken islamistischer Gruppen sei die Rolle der Frau immer mehr eingeschränkt worden. Inzwischen sei jedoch eine neue Generation mit Satelliten-TV, Internet und sozialen Medien herangewachsen. Die Jungen hätten gesehen, was Islamisten und Nationalisten anrichten und wie korrupt große Teile der Eliten sind.

"Das bestärkte sie darin, es anders machen zu wollen", so die Aktivistin. Ein Ergebnis dessen sei die Protestbewegung, die ab Oktober 2019 für fundamentale Reformen auf die Straße ging: "Die Jungen haben eine Dynamik angestoßen, die langfristig Änderungen herbeiführen wird." Dazu gehört auch, dass Frauen sich den öffentlichen Raum zurückerobern.

Auch Fatima und Ibrar haben nicht vor, Kabaddi aufzugeben. Im Gegenteil, sie hoffen auf Sponsoren und darauf, sich international behaupten zu können. Und auch was die Leute hinter ihrem Rücken reden, bereitet ihnen kein Kopfzerbrechen mehr. Ibrar: "Ich kümmere mich nicht mehr darum." (Markus Schauta aus Diwaniyya, 4.2.2022)