Michael Lindner hat bei der Chefpostenfrage nicht gezögert, hat aber "großen Respekt vor der Aufgabe" – und will "die Sozialdemokratie in das neue Zeitalter übersetzen".

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Von der Zukunftshoffnung zur Zukunft einer Partei ist der Weg manchmal ein durchaus kurzer. Eine Erfahrung, die dieser Tage auch Michael Lindner machte. Dienstagfrüh saß der 38-jährige Mühlviertler noch durchaus bequem auf dem roten Klubobmann-Sessel. Innerparteilich gefestigt und regelmäßig als Nachfolger von Birgit Gerstorfer an der Landesspitze im Gespräch. Dienstagabend musste der Hoffnungsträger dann unvermittelt in die erste Reihe.

Nachdem Gerstorfer und Landesgeschäftsführer Georg Brockmeyer auf Druck der eigenen Genossen – das Fass zum Überlaufen hatte eine provokante Impfkampagne gebracht – das rote Feld überraschend hatten räumen müssen, segnete das Parteipräsidium in den Nachtstunden Lindner als geschäftsführenden Parteichef ab kommendem Montag ab.

Bei einem Parteitag im September soll dann der Wechsel an der SPÖ-Spitze auch von den Gremien beschlossen werden. Bis dahin wird Gerstorfer Landesrätin bleiben. Danach soll Lindner auch in die Regierung wechseln. Das Personalpaket – mit einer Neubesetzung der Landesgeschäftsführung und mit einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin im Landtagsklub – soll mit 28. Februar stehen.

Kein Blick zurück

Am Mittwochvormittag trat der künftige Landesparteivorsitzende jedenfalls dann erstmals in seiner neuen Funktion vor die Presse. Begleitet von seiner sichtlich geknickten Vorgängerin. Fast krampfhaft war man bemüht, den Blick in die Zukunft zu richten. Raum für eine kritische Analyse der vergangenen Tage blieb keiner. Nach einem Lobgesang auf die "große Geschichte" der Sozialdemokratie und dem Vermerk, dass er bereit sei, "mutig in die Zukunft zu gehen", umriss Lindner noch sein politisches Themenfeld: der gesellschaftliche Wandel in den Familien – von Frauenpensionen bis zur Kinderbetreuung –, weiters die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die große Kluft zwischen den Reichsten im Land und jedem zehnten Kind, das in Oberösterreich armutsgefährdet sei, sowie die Spaltung der Gesellschaft durch Corona.

Auch Gerstorfer selbst verweigerte den Blick in den roten Rückspiegel. Auf die Frage, ob es nicht furchtbar bitter sei, von der eigenen Partei so abserviert zu werden, folgte nur ein knappes "Dazu werde ich sicher nichts sagen". Aber: "Ich habe immer gesagt, wenn es gut ist für die SPÖ, dann werde ich meine Nachfolge übergeben. Das ist gestern passiert, unerwartet früh, keine Frage."

Doch auch wenn der Fokus jetzt auf der roten Eruption der letzten Stunden liegt, gehen die innerparteilichen Probleme deutlich tiefer. Die Tage, als man landes- und bundesweit noch ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, sind längst gezählt. Vorbei die Zeiten, als sich die roten Bundesparteichefs noch an der Landesgrenze anstellten, um an der Urne punkten zu können – mit dem Wissen, dass es für ein gutes Abschneiden im Nationalratswahlkampf ein starkes Oberösterreich-Ergebnis braucht. Zur Erinnerung: Beim letzten Auftakt zum Landtagswahlkampf im vergangenen Herbst war SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nicht einmal mehr eingeladen.

Roter Dämmerzustand

Wirft man einen Blick auf die beständige Talfahrt der SPÖ Oberösterreich, braucht es tatsächlich Mut, jetzt das rote Ruder zu übernehmen. Zwei kapitale Wahlniederlagen in Folge, ein minimales Plus bei der Landtagswahl im Vorjahr und unzählige verzweifelte und letztlich gescheiterte Versuche, aus dem Scherbenhaufen wiederaufzuerstehen, haben die Partei zu einem politischen Wachkoma-Patienten gemacht. Noch am Leben, aber in einem Dämmerzustand. Weitgehend unfähig, rote Kernthemen zu transportieren, an der Basis zu punkten und der schwarz-blauen Übermacht in Oberösterreich etwas entgegenzusetzen.

Nicht wenige in der Parteizentrale an der Linzer Landstraße sind jetzt wegen des vorzeitigen Abgangs Birgit Gerstorfers erleichtert. Sie sei zwar nett, aber eben keine "Einser-Person", hörte man da in den letzten Jahren oft hinter vorgehaltener Hand. Hinzugekommen sei die problematische Paarung von Beratungsresistenz und maßloser Selbstüberschätzung.

Und es war Gerstorfer, die 2019 Georg Brockmeyer als roten Wunderwuzzi nach Oberösterreich holte. Doch de facto ist der gebürtige Deutsche mit Wohnsitz in Wien nie wirklich auf Landesebene angekommen. Vor allem haben viele in den Bezirken es Brockmeyer übel genommen, dass er seinen Hauptwohnsitz in Wien nie aufgeben wollte und täglich nach Linz pendelte. Dazu kamen durchaus viele strategische Fehler. Etwa als man zuletzt im Rahmen einer Wahlanalyse der eigenen Gewerkschaft öffentlich ihr Gewicht in der Partei absprach.

In der Partei groß geworden

Anders Michael Linder: Der 38-Jährige kann SPÖ. Der verheiratete Vater zweier Kinder und Gemeinderat in seiner Heimat Kefermarkt ist in der Partei groß geworden. Er startete seine politische Karriere in der Sozialistischen Jugend Oberösterreich, deren Vorsitzender er während seines Studiums der Soziologie von 2005 bis 2011 war. Von 2015 bis 2018 saß er im Bundesrat, danach war er Abgeordneter zum oberösterreichischen Landtag.

2020 wurde der leidenschaftliche Tennisspieler dann roter Klubchef – und legte das Amt ungewohnt kantig an. In der Partei ist Lindner bestens vernetzt und weiß sich im gefährlichen Netzwerk zwischen roten Nelken und Hackl ins Kreuz geschickt zu bewegen. Wegbegleiter beschreiben Lindner gerne als WaMü – einen waschechten Mühlviertler. Ein "grader Michl" mit Durchsetzungsvermögen. (Markus Rohrhofer, 3.2.2022)