Versuchen die Situation mit der Flucht nach vorn einzufangen: Kanzler Karl Nehammer und sein Vize Werner Kogler.

Foto: APA / Roland Schlager

Noch vor wenigen Tagen wurden die Sideletter – also der geheime koalitionäre Tauschhandel um Posten von Justiz bis Nationalbank abseits des Koalitionsabkommens – von der türkis-grünen Regierungsspitze als etwas völlig Harmloses abgetan. Das sei Usus. Mehr nicht.

Man möge also diese Aufregung doch bitte zurückstellen, hieß es da noch vom türkisen Kanzler Karl Nehammer. Das wollte bei den Grünen aber nicht so recht klappen. Die nahmen es ihrem Parteichef Werner Kogler übel, dass er neben Postendeals mitunter auch ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen am grünen Bundeskongress vorbeischleuste, der über den Koalitionspakt entschied. Kogler flog dann noch eine Aussage aus einem Interview um die Ohren: Darin behauptete er, dass es keine Absprachen mit der ÖVP über den ORF-Generaldirektor gab. Die gab es aber sehr wohl, wie der Sideletter nun beweist – und zwar zugunsten der Türkisen.

Das Bekanntwerden dieser geheimen Absprachen wurde zunehmend zur Belastung für die Koalition; am Mittwoch begann die Flucht nach vorne. Nehammer sagte der "Krone": "Mit mir wird es in künftigen Regierungen keine geheimen Vereinbarungen außerhalb des Regierungsprogramms geben." Künftig sollen alle Postenvergaben, für die es ein Vorschlagsrecht der Koalition gibt, transparent ins Regierungsprogramm geschrieben werden. "Das betrifft alle künftigen Regierungskoalitionen, egal mit welchem Partner." Anders als noch am Wochenende ist der Kanzler nun plötzlich der Meinung, "dass geheime Absprachen das Vertrauen in die Politik beschädigen".

Gesetze in der Warteschleife

Doch das reicht den Grünen nicht. Zwar stimmte auch Kogler seinem Regierungspartner zu, dass "nicht öffentliche Sideletter und Nebenvereinbarungen der Vergangenheit angehören sollen". Der Steirer entschuldigte sich auch öffentlich bei seiner Partei, dass man in dieser Hinsicht die eigenen Ansprüche nicht habe erfüllen können. Eine volle Transparenz sei in den Verhandlungen mit Altkanzler Sebastian Kurz nicht möglich gewesen. Man habe das Bestmögliche herausgeholt, befand Kogler. Durch die Neuordnung der ÖVP würden nun aber "die Türen wieder aufgehen".

Der Vizekanzler erhöhte dann aber sogleich den Reformdruck auf die ÖVP, was nach der grünen Kritik am Parteichef wohl auch als Signal nach innen verstanden werden kann.

Kogler verwies auf das geplante Ende des Amtsgeheimnisses, ein Prestigeprojekt für die Grünen. Dieses ist zwar seit etlichen Monaten koalitionär eigentlich beschlossene Sache, es liegt sogar schon ein Gesetzesentwurf vor, doch ansonsten geht in der Sache so gar nichts weiter. Laut der zuständigen türkisen Verfassungsministerin Karoline Edtstadler seien es die Bundesländer und die Gemeinden, die das Vorhaben blockieren würden. Etwa aus Angst vor einem überbordenden Verwaltungsaufwand oder einem zu weit gefassten Begriff der Informationsfreiheit. Kritik kommt sowohl aus den ÖVP-geführten als auch aus den roten Bundesländern. Die Regierung braucht jedenfalls die Zustimmung der SPÖ, um die notwendige Zweidrittelmehrheit für das Gesetz im Nationalrat zusammenzubringen.

Damit hält sich Kogler aber nicht auf. Der Vizekanzler sieht das Ende des Amtsgeheimnisses beim Koalitionspartner liegen, "um umgesetzt zu werden". Das träfe ebenso auf das Ansinnen zu, die Lücken im Korruptionsstrafrecht als Folge der Ibiza-Affäre zu schließen. All das soll nach Koglers Meinung am besten gleich in einem Aufwasch mit der Reform des Parteiengesetzes passieren. Auch da seien die Verhandlungen laut Kogler abgeschlossen. Die Entwürfe sollen alsbald an die Opposition übermittelt werden. Ein Schwerpunkt des Gesetzes ist, dass der Rechnungshof erstmals ordentliche Prüfrechte hinsichtlich der Parteifinanzen bekommen soll. Bisher musste sich dieser darauf verlassen, dass die Zahlen in den Rechenschaftsberichten der Fraktionen stimmig sind. Bei Bedenken können nur Wirtschaftsprüfer hinzugezogen werden. Künftig soll der Rechnungshof "bei begründetem Verdacht" selbst tätig werden können.

Schiefe Optik in der Justiz

Eine schiefe Optik erzeugte auch der Umstand, wie die Präsidentschaftsposten in den Gerichten in dieser Republik vergeben werden, denn auch das jeweilige Nominierungsrecht dafür wurde im Sideletter festgelegt. Das warf die Frage auf, wie viel Chancen eine Bewerberin oder ein Bewerber außerhalb dieser koalitionären Abkommen überhaupt noch hat. Laut der Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matjeka, bestehe jedenfalls ein "guter Grund für eine Reform". Die Standesvertretung lehne "parteipolitische Erwägungen" in Besetzungsverfahren kategorisch ab.

Dies wiederholte sie auch am Mittwochabend in der "ZiB2". Als sie am Wochenende im Sideletter der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung die Namen von mehreren bereits fixierten zukünftigen Verfassungsrichtern gelesen habe, sei sie "fassungslos" gewesen. Der Bestellungsvorgang verkomme so zu einer Farce. Er zeuge von einer Respektlosigkeit und Missachtung der Rolle dieses Gerichts.

ORF

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) will nun die Art und Weise überdenken, wie in der heimischen Justiz Posten vergeben werden. Zadić kündigt Personalgremien an, die eine Reihung der Kandidatinnen und Kandidaten nach objektiven Kriterien vornehmen sollen. Dadurch sollen Postenvergaben "transparenter und objektiv nachvollziehbarer werden", sagte die Ministerin. Edtstadler hält bei der Reform "noch eine Detailabstimmung" für nötig, sagte sie in der "ZiB2". Denn derzeit gebe es im Bereich der Obersten Organe keine Personalsenate.

In ihrer Erklärung betonte Zadić außerdem, dass sie bereits bei ihrem Amtsantritt eine Transparenzregel eingeführt habe, wonach die Justizministerin "gegenüber der Personalkommission Rechenschaft für jede Umreihung ablegen und diese gegenüber der Personalkommission schriftlich begründen muss". (Jan Michael Marchart, 2.2.2022)