Richard Grasl bei der Präsentation seiner Pläne für die ORF-Führung am Vorabend der Generalswahl 2016. Heute ist Grasl Vize-Chefredakteur des "Kurier".

Foto: Screenshot ORF 3

Wien – Die Sideletter der Regierungen von ÖVP und FPÖ 2017 und ÖVP und Grünen 2020 dokumentieren Absprachen über Besetzungen vom Direktorium über Channel-Manager und Chefredakteuren bis zu anderen Führungsjobs im laut Verfassungsgesetz unabhängigen ORF. Nun illustrieren Chats aus dem Innenministerium Vorgänge rund um Generalswahlen.

Peter Pilz' Plattform "Zackzack.at" veröffentlichte am Donnerstag einen Rückblick – auch anhand der ihr zugespielten Chats aus dem Innenministerium – auf das Match des damaligen ORF-Chefs Alexander Wrabetz und des ORF-Finanzdirektors Richard Grasl um die Führung von Österreichs größtem Medienunternehmen.

Die großen Vorgänge um die Generalswahl sind nicht neu und vielfach beschrieben: Richard Grasl, unterstützt von ÖVP und FPÖ, verhandelte bis zuletzt mit einigen Stiftungsräten, um ORF-General zu werden. Grasl versuchte insbesondere, die damaligen Stiftungsräte Franz Küberl (unabhängig), Siggi Neuschitzer (Kärnten, erst entsandt von den Freiheitlichen und verlängert von der SPÖ) sowie den Stiftungsrat der Grünen, Wilfried Embacher, zu gewinnen.

Rechtsanwalt Embacher äußerte sich knapp zwei Monate vor der Generalswahl 2016 skeptisch über die amtierende ORF-Führung und signalisierte Änderungsbedarf. Bis zur Wahl aber wurde er immer skeptischer gegenüber dem Herausforderer Grasl und dessen Versprechungen, am Wahltag stimmte er für Wrabetz' Wiederwahl.

  • Update: Auf Twitter weist Embacher am Donnerstag die Darstellung von "Zackzack" sehr entschieden zurück, es hätte einen Deal mit den Grünen gegeben. Er habe Grasl bereits am 2. August 2016 erklärt, dass er ihn nicht wählen werde.

Grünen-Abgeordneter Pilz sagt, er habe sich quergelegt

Bekannt war, dass Grasl die damalige grüne Parteichefin Eva Glawischnig auf seiner Seite hatte. Noch nicht bekannt war vor dem "Zackzack"-Bericht, dass sich dessen Gründer und Herausgeber Peter Pilz als damaliger Grünen-Politiker gegen den Grasl-Kurs der damaligen Parteispitze starkmachte – "Zackzack" nennt auch den damaligen Vize Werner Kogler und den damaligen Mediensprecher Dieter Brosz. Die Plattform berichtet: Der grüne Abgeordnete Pilz habe sich mit Hinweis auf Widerstand in der Basis "quergelegt": "Ich habe gedroht, das Ganze noch vor der Wahl im Stiftungsrat auffliegen zu lassen."

  • Update: Zeitzeugen aus dem damaligen Grünen Führungskreis äußern gegenüber dem STANDARD Zweifel an dieser Darstellung.

Grasl und Embacher bestätigen der Plattform mehrere Treffen vor der Wahl – Grasl erklärt, er habe versucht, möglichst viele Stiftungsräte zu gewinnen. Embacher bestätigt, Grasl habe ihm Vorschläge für das Direktorium und eine Reduzierung der Führungsjobs im ORF gesandt, Grasl verweist auf seine Bewerbung, die etwa eine Auflösung der Technikdirektion vorsah.

Freiheitliche Familie

Der Kärntner Stiftungsrat Siggi Neuschitzer, der spätestens seit 2016 häufig mit den SPÖ-nahen Stiftungsräten stimmt, berichtet der Plattform von einem Anruf des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache zur Generalswahl 2016: "Wenn ich nicht Grasl wähle, muss ich die freiheitliche Familie verlassen." Neuschitzer schildert seine damalige Antwort so: "Lieber HC, die FPÖ ist nicht meine Familie, ich habe nur eine Familie. Die besteht aus mir, meiner Frau, meinen vier Kindern und dem Hund."

"Bitte Hanni aufmerksam machen"

Von "Zackzack" veröffentlichte Chats dokumentieren etwa, dass der Unternehmensberater und ehemalige Kabinettsmitarbeiter im Innenministerium, Thomas Zach, als Fraktionssprecher der ÖVP-nahen Stiftungsräte Michael Kloibmüller, den Kabinettschef von Innenminister Wolfgang Sobotka, damals auf dem Laufenden hielt.

Die Grünen seien "umgefallen", schreibt Zach, schickt ihm am Vortag das absehbare Abstimmungsergebnis für Wrabetz und Zach mit "United WE stand!" und deutet Wrabetz fehlende Stimmen für eine anstehende Gebührenerhöhung nach der Generalswahl an; die ÖVP zieht schließlich bei der Gebührenerhöhung (unter Sparbedingungen) mit. Und im März 2016 bat Zach per Nachricht: "Bitte Hanni auf Kronenzeitung/TV-Teil von heute, 'keine Mehrheit für Wrabetz' aufmerksam machen!" – Johanna Mikl-Leitner ist da gerade noch Innenministerin und bald danach Landeshauptfrau in Niederösterreich. Die Prognose der "Krone" hielt nicht.

"Selten so viel Druck erlebt"

Zach fragte Kloibmüller auch nach einem Treffen von Minister Sobotka mit Stiftungsrat und Caritas-Direktor Franz Küberl Ende Juni 2016, eineinhalb Monate vor der Generalswahl. Küberl erinnert sich an das Treffen, er erklärt, es sei ihm um Flüchtlinge gegangen, Nachsatz laut "Zackzack": "Aber es wundert mich nicht, wenn es Sobotka auch um den ORF gegangen ist."

Küberl konstatiert: "Ich habe selten so viel Druck erlebt, von beiden Seiten, ÖVP und SPÖ." Und der Mann war von 1998 bis 2001 Mitglied im ORF-Kuratorium, dem Vorläufergremium des Stiftungsrats, dem er von 2001 bis 2018 angehörte. Küberl enthielt sich 2016 im Match Wrabetz gegen Grasl der Stimme.

Wrabetz' und Westenthalers wiederentdeckte Serviette

Richard Schmitts Plattform "Exxpress" ging schon am Mittwoch beim Sideletter-Thema noch ein Stück zurück. Sie präsentierte eine Serviette mit Personalabsprachen zwischen dem damaligen BZÖ-Chef Peter Westenthaler und ORF-Finanzdirektor Alexander Wrabetz. Die Absprachen etwa über Sendungschefs (genannt wird zum Beispiel Armin Wolf für die "ZiB 2") wurden so nicht umgesetzt.

Aber das freiheitliche BZÖ hatte für seine Stimmen für Alexander Wrabetz' erste Generalswahl gleich drei (von damals sechs) Direktorenwünsche frei – Information, Online und Radio. Aber das war schon bekannt, bevor der "Kurier" 2013 Westenthalers Serviette erstmalig aufdeckte – das erwähnt der "Exxpress" in seinem Bericht auch. (fid, 3.2.2022)