Juristin Andreea Muresan analysiert ein OGH-Urteil, nach dem einer Ehefrau der Scheidungsunterhalt aufgrund von schwerem Fehlverhalten abgesprochen wurde.

In der Regel erhält derjenige Ehegatte Unterhalt nach der Scheidung, den keine Schuld an dieser trifft – man spricht vom nachehelichen Unterhalt. Es gibt aber Situationen, in denen sogar der Ehepartner, dem ein solcher Unterhalt nach der Scheidung zugesprochen wurde (der Unterhaltsberechtigte), seinen Anspruch verwirkt – also zur Gänze und für immer verliert.

Das Gesetz sieht in diesem Zusammenhang lediglich vor, dass eine Verwirkung dann eintritt, wenn sich der Unterhaltsberechtigte nach der Scheidung unter anderem einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltsverpflichteten schuldig macht. Dabei handelt es sich um einen eher weiten Begriff, der nur anhand der höchstgerichtlichen Judikatur konkretisiert werden kann.

Wie schwer muss das Fehlverhalten wiegen, damit der Anspruch auf Unterhalt verloren geht?

Nach der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur ist das Vorliegen einer ausreichend schwerwiegenden Verfehlung eine Entscheidung des Einzelfalls. Dabei sollte man insbesondere auf Merkmale wie die dem Verhalten des Unterhaltsberechtigten zugrunde liegende Gesinnung, die Art und das Gewicht der erhobenen Vorwürfe, die Art ihrer Weitergabe sowie die Auswirkungen auf die Interessenssphäre des Unterhaltspflichtigen abstellen. In seiner bisherigen Judikatur erachtete der OGH unter anderem anhaltende Beschimpfungen, Tätlichkeiten, Drohungen (OGH 2 Ob 457/49) oder Ehrverletzungen und falsche Anschuldigungen (OGH 2 Ob 554/88) als ausreichend schwere Verfehlungen, die zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen.

Vor kurzem entschied der Oberste Gerichtshof (OGH) erneut über einen solchen Fall und sprach aus, dass die Ehefrau ihren Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann verwirkt hatte, weil sie zum einen ein Fehlverhalten gegen diesen setzte und zum anderen – was für den OGH schwieriger wog – die gemeinsamen Kinder physisch und vor allem psychisch misshandelte (OGH 1 Ob 161/21i vom 12.10.2021).

Im besprochenen Fall hat die Ehefrau ihre Kinder über Jahre beschimpft und geschlagen.
Foto: https://www.istockphoto.com/de/portfolio/kieferpix

Wie hat der OGH im konkreten Fall entschieden?

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehe wurde im Jahr 2011 aus dem überwiegenden Verschulden des Ehemannes geschieden, weswegen die Ehefrau Anspruch auf Zahlung eines nachehelichen Unterhalts hatte. Das Ehepaar hatte zwei gemeinsame Kinder, wobei der Ehemann im November 2017 die alleinige Obsorge erhielt.

Die Ehefrau übermittelte nach der Scheidung ein E-Mail an die Schulhalterin der Schule, wo der Ehemann tätig war; aus der Entscheidung lässt sich ableiten – obwohl der konkrete Inhalt dieses E-Mails nicht dargestellt ist – dass es sich dabei um ein Schreiben handelte, in dem die Ehefrau strafrechtlich relevante Behauptungen gegen den Ehemann aufgestellt beziehungsweise eine Strafanzeige erstattet hatte. Im Übrigen stellte das Erstgericht fest, dass die Ehefrau die beiden Kinder – auch nach der Scheidung – wiederholt "in psychischer und physischer Hinsicht" misshandelte.

Eines der Kinder besuchte Selbstverteidigungskurse, um sich gegen die eigene Mutter wehren zu können. Dieses Kind wurde von der Ehefrau beschimpft und geohrfeigt, ihm wurden Fußtritte versetzt und eine Ohrfeige für die Mitteilung, dass es seine Brille verlegt habe, gegeben. Die Ehefrau verwendete auch Ausdrücke wie "Hure", "Schlampe", "Arschloch" gegenüber ihren Kindern oder bezeichnete das jüngste Kind als "das dümmste Mitglied der Familie". Diesem Kind warf sie auch vor, dass es an der Scheidung der Eltern schuld war, niemals die Schule schaffen werde und in ein Heim gesteckt gehöre. Dieses Kind musste in weiterer Folge auch in stationäre Behandlung in einer jugendpsychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses aufgenommen werden. Im Übrigen war die Ehefrau auch bereit gewesen, kompromittierende Bilder eines Kindes an dritte Personen weiterzuleiten und es der Gefahr einer Verwaltungsstrafe auszusetzen.

Gesamtverhalten der Ehefrau betrachtet

Die Ehefrau argumentierte im Verfahren, dass ihr E-Mail an die Schulleiterin in diesem Sinne nicht zu berücksichtigen sei, denn nur eine unberechtigte und aus einer feindlichen Einstellung oder aus Rache erhobene Strafanzeige könne zur Verwirkung führen. Der OGH bestätigte zwar diese – bereits in höchstgerichtlicher Rechtsprechung festgehaltene rechtliche Ansicht; nichtsdestotrotz habe die Ehefrau im konkreten Fall die E-Mail in der Hoffnung geschickt, dem Ehemann dadurch in seinem beruflichen Fortkommen Schaden zufügen zu können. Dadurch habe die Ehefrau nicht in Wahrung ihrer eigenen berechtigten Interessen, sondern im vollen Bewusstsein gehandelt, die Interessen des Unterhaltsverpflichteten zu beeinträchtigen.

Hinsichtlich ihres Verhaltens den gemeinsamen Kindern gegenüber behauptete die Ehefrau, dass es sich dabei um Vorwürfe handle, die zeitlich weit zurücklagen; es soll lediglich "sporadische" und "leichte Ohrfeigen" gegeben haben. Deswegen dürfe ihr Verhalten weder als Misshandlung, noch als Beschimpfung betrachtet werden. Diese Ansicht erachtete der OGH als "schlicht unverständlich".

In seiner Entscheidung zog der OGH das Gesamtverhalten der Ehefrau hinsichtlich des Ehemannes und auch der gemeinsamen Kinder heran. Infolge dieser Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Ehefrau bestätigte der OGH die Entscheidung des Gerichts II. Instanz, wonach die Ehefrau ihren Unterhaltsanspruch verwirkte. (Andreea Muresan, 4.2.2022)