Ex-Kanzler Christian Kern wurden die Machenschaften Tal Silbersteins im Wahlkampf zum Verhängnis. Die ÖVP um ihren damaligen Chef Sebastian Kurz wusste den roten Ausrutscher für sich zu nutzen.

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Sein Name hat den Nationalratswahlkampf 2017 geprägt: Tal Silberstein, israelischer PR-Berater, wurde hierzulande zum Symbol für Dirty Campaigning. Das hat Silberstein sich selbst zu verdanken, griff er doch auf schmutzige Tricks zurück. So wurden auf seine Veranlassung im Sommer 2017 zwei Facebook-Seiten betrieben, die unter falscher Flagge operierten. Eine gab vor, den damaligen ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz heiß und innig zu unterstützen – die andere, Kurz zu hassen. Die Aufdeckung dieser falschen Kampagnenseiten schlug Wellen, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler musste mitten im Wahlkampf seinen Hut nehmen.

Allerdings gibt es auch eine andere Seite der Geschichte: nämlich jene, wie SPÖ-Interna verbreitet wurden und wie gegen Silberstein selbst kampagnisiert wurde. Dafür griff die ÖVP auch auf die öffentliche Verwaltung zurück, wie Recherchen des STANDARD zeigen.

Infos aus dem Innenministerium

Schon im Jänner 2017 war Silberstein ein Thema. Die ÖVP verbreitete Gerüchte, der SPÖ-Berater habe veranlasst, Sebastian Kurz auszuspähen: etwa mit Nachfragen an dessen früherer Schule oder mit "Filmaufnahmen" seiner Haustür. Der damalige Abgeordnete Werner Amon (ÖVP), mittlerweile Volksanwalt, brachte dazu eine parlamentarische Anfrage an seinen Parteifreund Wolfgang Sobotka ein. Er fragte den damaligen Innenminister, ob in einem anderen EU-Land ein Haftbefehl gegen Silberstein aufrecht sei.

Bislang nicht bekannt ist, dass sich Amon kurz zuvor auf höchster Ebene im Innenministerium um Informationen dazu bemüht hatte. Schon im Oktober 2016 befragte er den damaligen Kabinettschef Michael Kloibmüller zu Silberstein. Im Jänner 2017 wurde er dann konkreter und soll sich aus dem Innenministerium "die Delikte betreffend des H.B. für T.S.", also des Haftbefehls für Tal Silberstein, bestellt haben. Kloibmüller soll geantwortet haben, das sei "schwierig", weil das Ministerium nichts sagen könne; er soll Amon jedoch zugesichert haben, ihn im Fall einer Klage zu unterstützen.

Kloibmüller schien auch zu wissen, woher er die Informationen für Amon beziehen könne. Der mächtige Beamte dürfte sich deshalb bei einem ehemaligen hohen Funktionär des Bundeskriminalamts gemeldet haben. Nach Anfragen dazu habe Kloibmüllers Kontakt aber beteuert: "Nein – geben inoffiziell nach der medialen Berichterstattung in Österreich nichts mehr weiter." Allerdings soll sich laut diesem Verbindungsmann auch das Bundeskriminalamt auf offiziellem Wege bezüglich Silberstein erkundigt haben. Kloibmüller und Amon wollten sich zu der Causa auf Anfrage nicht äußern, weil sie die Authentizität der Chats nicht prüfen könnten.

Die Festnahme

Im August 2017, mitten im Wahlkampf also, kam es dann zur Meldung, dass Silberstein in Israel tatsächlich verhaftet worden sei. Ihm wurden Bestechung und Geldwäsche in Rumänien vorgeworfen. Chatnachrichten zeigen, wie rasch innerhalb der türkisen Regierungsriege reagiert wurde. "Sebastian Kurz wünscht sich, dass HBM (Herr Bundesminister, Anm.) morgen auf die Silberstein-Geschichte draufgeht. Vor allem Transparenz, Wahlkampffinanzierung etc. (…)", schrieb der damalige Sprecher von Sebastian Kurz seiner Kollegin im Finanzministerium. Bestellt, geliefert: Tags darauf sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling, die Methode, über dubiose Vereine Geld zu Parteien zu schleusen, sei "jetzt offenbar auch in Österreich bei der SPÖ der Fall".

Auch in der Inserate- und Umfrageaffäre zeigt sich, wie das Finanzministerium in die Sache involviert war. So bat Generalsekretär Thomas Schmid die Meinungsforscherin Sabine B., in einer ihrer Umfragen auch den Fall Silberstein zu thematisieren. Diese Umfrage sollte dann an Helmuth Fellner geschickt werden, um in "Österreich" vorzukommen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vermutet, dass die Kosten dafür über "Studien" für das Finanzministerium abgerechnet worden seien; sie ermittelt wegen Untreue und Bestechung.

In den Chatauswertungen der WKStA findet sich auch eine bemerkenswerte Nachricht des damaligen Sektionschefs Eduard Müller, der mittlerweile im Vorstand der Finanzmarktaufsicht ist. Er übermittelte Schmid unter anderem eine "Erstinfo zu Silberstein": Der sei "nicht bei uns im Abgabeninformationssystem erfasst und auch nicht bei FIU Geldwäsche", also der Geldwäschemeldestelle (Financial Intelligence Unit). "Versteuerung SPÖ Honorar kann ich – wenn überhaupt – nur indirekt checken", meldete der Sektionschef im Finanzministerium an den Spitzenbeamten Schmid.

Das Datenleck

Zum Albtraum für die SPÖ wurde der Fall Silberstein spätestens am 8. September 2017. Ab da wurden Stück für Stück rote Interna publik, die Negative Campaigning enthüllten. Thema soll das Ganze schon beim Forum Alpbach gewesen sein, wo sich Politik und Medien tummelten. Teils soll es zu Anbahnungsgesprächen gekommen sein, ÖVP-Berater sollen das Material gegenüber Journalistinnen und Journalisten angepriesen haben. Das setzte sich dem Vernehmen nach in Wien fort; erschienen sind erste Berichte dann in "Profil" und "Österreich". Darauf folgten Recherchen der "Presse".

Im Umfeld des damaligen Kanzlers Christian Kern vermuteten einige, dass eine Übersetzerin von Tal Silberstein das Material weitergegeben habe. Die soll mit dem Stiefsohn von Wolfgang Sobotka gut bekannt gewesen sein – der wiederum mittlerweile im Kabinett von Karoline Edtstadler (ÖVP) arbeitet. Der will auf Anfrage keine "Fragen zu meinem Privatleben" beantworten.

Ermittelt wurde in der Sache nur indirekt: Kerns Berater Rudi Fussi hatte der einstigen Silberstein-Mitarbeiterin einige rüde SMS geschickt, die sie der "Krone" weitergab. Daraufhin ermittelte die Polizei wegen gefährlicher Drohung durch Fussi, es kam im Herbst 2018 sogar zu einem Prozess. Dort erklärte der PR-Berater, für ihn habe sich "die Beweislage verhärtet", dass die Übersetzerin hinter den Leaks stecke. Für den Richter machte Fussi in seiner Einvernahme "schlüssige und nachvollziehbare Angaben". Die Übersetzerin bestritt, Daten weitergegeben zu haben. "Sie hinterließ in der Hauptverhandlung jedoch einen unglaubwürdigen Eindruck", schrieb der Richter in seiner Urteilsbegründung – und sprach Fussi frei.

Immer wieder Silberstein

Rechtlich war die Sache damit abgeschlossen, aber in der Psyche der Volkspartei war Silberstein nach wie vor präsent. Ob in einem Symposium der Parteiakademie im März 2021 oder als erste Vermutung von Sebastian Kurz, wer hinter dem Ibiza-Video stecken könnte: Immer wieder fiel der Name Silberstein.

Und was macht der umstrittene Berater jetzt? In Rumänien wurde er rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt, ein internationaler Haftbefehl wurde von Interpol aber wegen des Verdachts auf politische Einflussnahme in diesem Prozess ausgesetzt. Dem Vernehmen nach soll sich Silberstein in Israel aufhalten, wo nach wie vor ein Anfangsverdacht gegen ihn geprüft wird. Von den fünf Parteichefs, deren Wahlkämpfe sein Fall 2017 durcheinandergewirbelt hat, ist mittlerweile keiner mehr aktiv. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, Maria Sterkl, 3.2.2022)