Hört die Signale: Der Privatsenderverband erwartet ORF-Radios auf seiner Streamingplattform.

Foto: Robert Newald

Wien – Keine Grabenkämpfe in alten Bahnen zwischen ORF, Privatsendern, Zeitungshäusern haben sie sich für 2022 vorgenommen: Christian Stögmüller, seit dem Vorjahr wieder Präsident des Privatsenderverbands VÖP, und Verbandsgeschäftsführerin Corinna Drumm. Im Sinne einer "gut durchdachten Dialogkultur" der neuen Medienministerin Susanne Raab (ÖVP). Auch der neue ORF-General Roland Weißmann betont die Kooperation. Noch heuer könnte der ORF mit seinen Programmen auf die gemeinsame Streamingplattform Radio-Player kommen, sagt Stögmüller im STANDARD-Interview.

Videostreaming lässt sich zäher an: Die geplante Plattform ORF-Player stieß auf harten Widerstand von Verlagshäusern. Der ORF startet die Angebote nun, soweit das Gesetz sie erlaubt, scheibchenweise als Fenster auf ORF.at. Wie die neue Sport-Plattform dort zu den Olympischen Spielen.

Der ORF will Formate alleine oder zuerst für Streaming produzieren dürfen, und er will sie auch auf Social Media ausspielen dürfen. "Wir erwarten jedenfalls, dass bei einer allfälligen Digitalnovelle für den ORF der gesamte Medienstandort im Blick ist", sagt Stögmüller. er wolle in den laufenden Gesprächen keinen Forderungskatalog kundtun. Aber: "Es kann nicht sein, dass der österreichische private Rundfunksektor mangels Reglementierung zwischen den zwei großen Blöcken zerrieben wird – den internationalen Plattformen und dem ORF als dank der Gebühren größter österreichischer Medienkonzern.

"Miteinander statt Inseldenken"

STANDARD: Seit Anfang des Jahres hat Österreich mit Susanne Raab (ÖVP) wieder eine eigene Medienministerin. Haben Sie sie schon getroffen? Und was war Ihr Eindruck?

Stögmüller: Es ist wichtig, dass es für diese Branche wieder ein eigenes Ministerium gibt. Wir haben die Bundesministerin getroffen. Sie baut eine gut durchdachte Dialogkultur mit Stakeholdern auf, die nicht den immer gleichen Bahnen und Konfliktlinien wie bisher folgt. Ich bemühe mich ebenfalls, das Miteinander zu betonen statt des früheren Inseldenkens ORF, Verleger, Privatsender. Wir suchen eine vernünftige Perspektive für den Medienstandort. Und zwar nicht im Rückspiegel, sondern mit Blick auf die digitalen Entwicklung in der Zukunft.

Drumm: Wir versuchen, den Dialog zu allen Stakeholdern deutlich zu intensivieren und zu einer für alle tragbaren Lösung zu kommen.

STANDARD: Der ORF hat seit Jahresbeginn mit Roland Weißmann auch einen neuen Chef. Wie steht es da mit der neuen Gemeinsamkeit?

Stögmüller: Eine seiner Kernansage ist Kooperation statt Konkurrenz. Wir sind daher guter Dinge, gemeinsame Ansätze zu finden.

STANDARD: Ein langjähriger Wunsch der Privatsender ist ein gemeinsamer Radio-Streamingplayer. Bisher hat sich der ORF geziert.

Stögmüller: In allen europäischen Ländern gibt es diesen "Radioplayer" bereits – bis auf Österreich ist in allen Ländern auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei. Wir waren mit dem ORF schon 2019 sehr weit. Ich bin guter Dinge, dass wir mit dem ORF in der neuen Struktur eine Lösung finden. Da geht es um die Positionierung der ganzen Branche gegen die digitalen Giganten vor allem in der Auto-Nutzung. 70 Prozent aller Menschen hören uns im Auto.

STANDARD: Das könnte heuer schon sein?

Stögmüller: Unsere Bemühungen gehen in die Richtung, dass wir das heuer realisieren, ja.

Christian Stögmüller leitet den Privatsenderverband VÖP und Life Radio Oberösterreich.
Foto: Peter Baier

STANDARD: Und wie sieht es im Fernsehen aus? Die geplante Streamingplattform ORF-Player stieß in einigen Bereichen auf recht harten Widerstand etwa der Verlagshäuser.

Stögmüller: Hätten wir den Radio-Player selbst entwickeln müssen, wären wir einen langen, schwierigen Weg gegangen. Die BBC hat ihn aber als europäisches Projekt entwickelt, und alle haben die Notwendigkeit erkannt. Der Fernsehsektor ist da anders. Da wächst aus jeder Mediengattung, jeder Gruppe etwas Eigenes, und es geht um viele Plattformen. Das muss man sich gesamthaft ansehen. Wir erwarten jedenfalls, dass bei einer allfälligen Digitalnovelle für den ORF der gesamte Medienstandort im Blick ist.

STANDARD: Sie haben von einer "vernünftigen Perspektive" für den Standort gesprochen. Wie sieht die aus der Privatsender-Perspektive aus?

Stögmüller: Wir sind in guten Gesprächen über all diese Punkte. Ich will den Verhandlungspartnern nicht über die Medien einen Forderungskatalog ausrichten. Es kann jedenfalls nicht sein, dass der österreichische private Rundfunksektor mangels Reglementierung zwischen den zwei großen Blöcken zerrieben wird – den internationalen Plattformen und dem ORF als dank Gebühren größter österreichischer Medienkonzern.

STANDARD: Soll der ORF online first und online only produzieren dürfen, soll er Inhalte auf Social Media ausspielen dürfen, soll er Inhalte mit Privaten teilen – und zu welchen Konditionen?

Drumm: Wenn der ORF eine gebührenfinanzierte Nachrichtensendung auf eine internationale Plattform wie Instagram stellt und damit unterstützt, dann ist nicht einzusehen, warum man diese Inhalte nicht auch österreichischen Medienplattformen gibt. Das halte ich für einen relevanten Punkt.

STANDARD: Soll heißen: Wenn Tiktok oder Facebook oder Youtube mit ORF-Inhalten Werbeeinnahmen erwirtschaften, dann wollen das auch österreichische Player tun.

Stögmüller: Wir sehen kein Argument, warum man gebührenfinanzierten Inhalt den Online-Giganten zur Verfügung stellt, die uns immer mehr in den wirtschaftlichen Würgegriff nehmen und gesellschaftlichen Schaden anrichten, und ihnen damit in ihrer Marktentwicklung hilft – und dem privaten österreichischen Mediensektor nicht. Das ist unverständlich.

Drumm: Der ORF argumentiert seine Präsenz auf Social Media damit, dass er mehr und anderes Publikum erreichen will. Warum sollte aber dafür nicht die privaten österreichischen Medien nutzen, die ein gesichertes Qualitätsumfeld bieten und österreichischen Gesetzen unterliegen?

Corinna Drumm ist Geschäftsführerin des Privatsenderverbands VÖP.
Foto: VÖP / Michael Gruber

STANDARD: Zeitungsverband und Privatsenderverband sollen die "ZiB Tiktok" sehr kritisch sehen. Ist mit einer Beschwerde bei der Medienbehörde zu rechnen?

Stögmüller: Wir prüfen dieses Angebot auch gerade rechtlich. Dafür gibt es Vorprüfungsverfahren und eine Medienbehörde. Die Grundsatzfrage lautet: Ist das ein sendungsbegleitendes Angebot oder ein Online-only-Angebot, das in dieser Form nicht zulässig ist?

Drumm: Was der ORF tut, muss vom ORF-Gesetz und von Angebotskonzepten gedeckt sein. Ob das der Fall ist, prüfen wir gerade.

STANDARD: Zur ORF-Novelle: Soll der ORF nun mehr Spielraum für Streaming bekommen?

Drumm: Wir fordern das ganz sicher nicht! Der ORF hat diese Wünsche, und wir nehmen wahr, dass die Politik einigen dieser Wünsche unter bestimmten Bedingungen nachkommen will. Aus unserer Sicht hat der ORF genug Spielraum. Und wenn die "ZiB Tiktok" tatsächlich im Rahmen des geltenden ORF-Gesetzes sein sollte – warum reden wir dann überhaupt noch über Digitalnovellen?

Stögmüller: Möglichkeiten für den ORF in einer digitalen Welt brauchen jedenfalls in der Werbung ein sehr klares Regelwerk.

STANDARD: Die Privatsender kritisierten die Rabattpraxis des ORF und verlangten da Einschränkungen. Sie verlangten schon: keine TV-Werbung nach 20 Uhr im ORF wie in Deutschland. Die Forderungen sind vermutlich noch aktuell.

Drumm: Wir haben die weitreichenden Möglichkeiten des ORF in der Werbung immer wieder kritisiert. Wenn man dem ORF jetzt in der digitalen Welt mehr Freiräume gibt, dann muss sehr präzise definiert werden, wie weit diese reichen. Und man muss parallel etwa die kommerziellen Möglichkeiten einschränken. Da gibt es mehrere Stellschrauben – etwa Rabatte oder auch Werbezeitkontingente.

Stögmüller: Der ORF hat 645 Millionen Rundfunkgebühren und bekommt jetzt mit der Gebührenerhöhung acht Prozent dazu – allein diese Mehreinnahmen übersteigen im Jahr die gesamten nationalen Werbeeinnahmen der Privatradios. Verglichen mit den Förderungen für kommerzielle Privatsender liegen sie sogar beim Dreifachen.

STANDARD: 2022 kommt eine neue österreichische Digitaltransformationsförderung. Werden da nun auch Privatsender gefördert – die EU-Kommission hatte gegen diesen Bereich im Herbst noch Bedenken.

Drumm: Diese Bedenken konnten schließlich ausgeräumt werden, der Gesetzesentwurf ist genehmigt. Es wird anerkannt, dass private Sender Transformations- und Förderbedarf haben.

Stögmüller: Die Förderung ist essenziell notwendig. Wir steuern in diesen digitalen Markt und brauchen – neben klaren Beschränkungen für den ORF – die finanzielle Power für diese Umstellung. Das wäre ohne diese Förderung nicht möglich. Sie muss gerade auch für kleinere Anbieter zugänglich sein – und auch für eine gemeinsame Technologietochter der Privatsender. Wir hoffen auf bis zu 50 Prozent dieser Fördergelder.

STANDARD: Stichwort Transformation: Wie groß sind denn die großen digitalen Konkurrenten in diesem Audiomarkt in Österreich, etwa Spotify? Im Fernsehen werden Nutzungsdaten über Streaming in der Bewegtbildstudie erhoben und ausgewiesen, im Radio bisher nicht. Dabei soll Spotify bei jüngeren Zielgruppen längst auf Augenhöhe mit Radio sein.

Stögmüller: Diese Player sind im relevant set, aber in Studien bei weitem nicht so relevant, wie man es annimmt. In unseren wichtigsten Zonen, der Morgenshow und der Tagesbegleitung, sehen wir sie nicht. Aber natürlich drängen sie etwa auch in die Auto-Nutzung. Sie in Studien abzubilden ist recht komplex.

STANDARD: Aber es steht außer Zweifel, dass diese Plattformen die große Herausforderung für Radiosender sind, Sie haben in unserem Gespräch selbst von einer "Schlacht" im Zusammenhang mit Spotify gesprochen.

Stögmüller: Sie sind durchaus ernst zu nehmen, man muss jeden Mitbewerber auf dem Radarschirm haben. Aber der Privatradiosektor hat sich, auch in den zwei Pandemiejahren, sehr gut behauptet.

STANDARD: Die Medienförderstelle RTR braucht 2022 eine neue Geschäftsführerin oder einen neuen Geschäftsführer. Hat der Privatsenderverband Empfehlungen für die Medienministerin?

Stögmüller: Uns steht nicht zu, der Medienministerin Empfehlungen zu geben, wo wir gar nicht wissen, wer sich bewirbt. Wir hoffen, dass diese Personalfrage nicht zu Verzögerungen bei der Förderung für Digitaltransformation führt. (Harald Fidler, 4.2.2022)