Der Zirkusdirektor Louis Knie ist seit seiner Kindheit auf Achse. Nach all den Jahren kann er sich kaum noch vorstellen, in einem Haus zu wohnen. Aktuell gastiert er mit seinem Zirkus beim Wiener Prater. Manege frei!

"Die letzten zwei Jahre sind wir, wie man sich vorstellen kann, recht wenig herumgereist. Aber insgesamt, würde ich schätzen, sind wir mit unserem Zirkus schon an die 400- bis 500-mal umgezogen. In normalen Jahren, wenn nicht gerade Corona ist, touren wir durch Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich und die Schweiz, die meisten Auftritte aber haben wir in der Tat in Österreich, und da am häufigsten in Wien und in Linz.

Wohnen auf wenig Platz: Louis Knie in seinem komplett sanierten Wohnwagen von 1974.
Foto: Lisi Specht

Zu den schönsten und exotischsten Orten, an denen wir aufgetreten sind, zählen wahrscheinlich Korsika und die Côte d’Azur. Momentan sind wir hier in Wien, in der Wehlistraße in der Nähe vom Prater. Für die Besucher ist der derzeitige Standort perfekt, denn gleich neben uns ist ein großes Parkhaus, und zur U2-Station geht man zwei Minuten. Aber für uns beziehungsweise für unsere Tiere ist das Grundstück echt superknapp.

Man darf ja nicht vergessen: Wir sind um die 60 Leute – darunter Artistinnen, Techniker, Tierpfleger und Hilfskräfte – und an die 30 Tiere, derzeit Pferde und Hunde. Bei manchen Produktionen arbeiten wir auch mit Kühen und Schweinen. Früher, vor langer Zeit, hatten wir auch Tiger und Elefanten im Repertoire, aber diese Zeiten sind zum Glück schon lange vorbei. Seit 2005 sind Wildtiere im Zirkus verboten.

Ich wohne hier gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin Nicole Berousek und unserem Hund Amore in einem Wohnwagen gleich beim Eingang, zwischen Kartenbüro und Stromaggregat. Unser Wohnwagen stammt aus dem Jahr 1974, ich habe ihn vor ein paar Jahren gekauft und komplett renoviert. Der Wagen ist 18 Meter lang und knapp vier Meter breit, wobei es sechs Erker gibt, die man im geparkten Zustand manuell rausschieben kann, sodass sich die effektive Wohnfläche um ein paar Quadratmeter vergrößert. Alles, was wir brauchen, sind eine Gasflasche, eine Starkstromsteckdose und ein Wasserhydrant, an den wir uns anschließen können.

"Alles, was wir brauchen, sind eine Gasflasche, eine Starkstromsteckdose und ein Wasserhydrant, an den wir uns anschließen können", sagt Louis Knie über sein fahrendes Zuhause.
Fotos: Lisi Specht

Ich habe seit Jahren keinen fixen Wohnsitz mehr, keine Wohnung und kein Haus. Dieser Wohnwagen ist mein Zuhause, und zu Hause bin ich dort, wo der Zirkus ist. Ich kann mir nach all den Jahren kaum noch vorstellen, in einem Haus zu wohnen. Das letzte Mal, als ich in einem Haus wohnte, hatte ich bereits Anflüge von Agoraphobie: Alles war zu groß! So viel freien Raum im Rücken zu haben empfinde ich fast schon als unheimlich. Ein anderes Wohnen kann ich mir nicht mehr vorstellen. Was ich mir allerdings ab und zu gönne, das ist eine Nacht in einem feinen Hotel mit Spa und Swimmingpool. Lange schlafen und ein gutes Frühstück – das ist wie ein Kurzurlaub!

Insgesamt haben wir an die 50 Wagen mit Straßenbewilligung. In der Regel fangen wir an, abzubauen und mit dem Wagen wegzufahren, während die Leute noch drinnen in der Vorstellung sitzen. Wenn wir schnell sind, dauert ein Abbau drei bis vier Stunden, ein Aufbau an die sechs bis sieben Stunden. Dann müssen wir auch hier im Wohnwagen jeden Erker wieder einfahren, alles festzurren und festgurten und jedes einzelne Glas einwickeln und sicher verstauen. Wenn wir losfahren, dann wackelt hier alles.

Wenn gefahren wird, muss jedes Glas eingewickelt werden.
Fotos: Lisi Specht

Jetzt in Corona-Zeiten dauern Auf- und Abbau deutlich länger, weil uns viele Techniker verlassen mussten, um einen sicheren Job auf der Baustelle anzunehmen. Corona ist eine furchtbare Erfahrung für uns. Wir sind ein Zirkus, wir brauchen die Menschen, ohne Publikum sind wir tot. Es ist eine traurige Zeit. Und ich danke allen, die uns in den letzten Monaten, seitdem wir wieder spielen dürfen, die Treue gehalten haben und sich für Zirkus begeistern.

Im Lockdown hatten wir Unterstützung von Sponsoren und von den Rotariern, die uns monatelang mit Essensgutscheinen versorgt haben. Wir wollen nicht reich werden, das ist in diesem Job auch gar nicht möglich. Wir wollen einfach nur wieder die Möglichkeit haben, unsere Leidenschaft auszuleben und euch zu unterhalten. Das ist unsere Atemluft." (7.2.2022)