Vorausahnender Blick: Das Pastellbild "Dame im Auto" entstand 1940 in Tschechien. Zwei Jahre später wurden Friedl Dicker-Brandeis und ihr Mann ins Ghetto nach Theresienstadt deportiert, die Künstlerin wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Foto: Jüdisches Museum Prag

Der Zeichenunterricht will nicht alle Kinder zu Malern machen, aber allen das Schöpferische, Selbstständige als Energiequelle erschließen oder besser erhalten, die Fantasie anregen, die eigene Urteilskraft und Beobachtungsaufgabe stärken." Dies sagte Friedl Dicker-Brandeis 1943 in ihrem Vortrag "Kinderzeichnen", den sie im Ghetto Theresienstadt hielt. Dort unterrichtete die 1898 in Wien geborene Künstlerin Kinder und Jugendliche Malen und Zeichnen.

1942 war sie mit ihrem Mann Pavel Brandeis dorthin deportiert worden. Und von dort wurde das Paar schließlich 1944 ins Konzentrationslager nach Auschwitz gebracht. Friedl Dicker-Brandeis meldete sich freiwillig für den Transport, weil sie nicht von ihrem Mann getrennt werden wollte – kurz darauf wurde sie ermordet, er überlebte.

Dem Leben und vielseitigen Werk der Künstlerin und Designerin widmet sich nun eine sensibel und schön gestaltete Ausstellung im Lentos in Linz. An die 200 Ausstellungsexponate, darunter Gemälde, Architekturentwürfe, Möbel, Webmuster, Taschen, Spielzeug, Fotocollagen sowie Zeichnungen, werden in der großen Ausstellungshalle vereint. Videos mit Zeitzeugen komplementieren diese Erinnerung.

Friedl Dicker-Brandeis wurde 1898 in Wien geboren.
Foto: Johannes Beckmann

Kontrast und Farbe

Der Einzelraum am Ende der Schau ist den erhaltenen Kinderzeichnungen gewidmet. Dokumentationen des Alltags in einer furchtbaren Realität: Leichenkammern, Begräbnisse, Zuggleise. Dicker-Brandeis versuchte als von den Nazis eingesetzte Kunstpädagogin in ihrem Vortrag auf die psychische Belastung der inhaftierten Kinder aufmerksam zu machen. Die letzten Zeichnungen vor ihrem Tod zeigen ihre eigene innere Emigration: Die Wirklichkeit löste sich peu à peu auf, ihre Welt wurde zu fleckigen Umrissen. Ein naives Kindergesicht blickt in eine Zukunft, die es nicht mehr gab.

Von diesem grotesken Ende spannt die von Brigitte Reutner-Doneus kuratierte Ausstellung einen beinahe poetischen Bogen zum Anfang – und zum Anfang von Dicker-Brandeis. Denn die Techniken und Zeichenübungen, die die Künstlerin den Kindern in Theresienstadt beigebracht hatte, waren jene, die sie etwa 25 Jahre früher an der Schule von Johannes Itten selbst erlernt hatte. Zuvor nahm sie Fotografieunterricht, studierte an der Wiener Kunstgewerbeschule und lernte bei Professor Franz Čižek Zeichnen.

Mit weiteren Schülerinnen folgte sie Itten schließlich nach Weimar ans Bauhaus, wo sie auch von Paul Klee und Wassily Kandinsky unterrichtet wurde. Kontrast, Farbe und Rhythmus waren zentrale Elemente der Lehre – und wurden leitende Koordinaten für die Künstlerin.

Letzte Zeichnungen vor dem Tod der Künstlerin 1944.
Foto: Beit Theresienstadt, Kibbutz Givat Haim–Ihud, Israel

Möbel bis Kindergärten

Nachdem das Bauhaus 2019 sein 100-jähriges Bestehen feierte, geriet auch das Werk von Friedl Dicker-Brandeis – die sich nach ihrer Hochzeit 1936 nur Friedl Brandeis nannte, der Doppelname so aber überliefert wurde – wieder verstärkt in den Fokus. In großen Überblicksausstellungen wie Auf/Bruch. Vier Künstlerinnen im Exil (2017) im Museum der Moderne in Salzburg oder Stadt der Frauen (2019) im Belvedere in Wien wurden ihre Werke an der Seite anderer (teils in Vergessenheit geratener) Künstlerinnen gezeigt. Nach mehr als 20 Jahren steht sie in ihrer Heimat nun wieder allein im Fokus.

Wobei ihr gestalterisches Werk wie die Modelle für Möbel und Inneneinrichtung nie ganz von ihrem Kollegen Franz Singer zu trennen ist. Gemeinsam gingen sie vom Bauhaus ab und gründeten in Berlin und später in Wien Ateliers. Faszinierend sind ihre axonometrischen Modelle, die sie für Wohnungen und auch öffentliche Einrichtungen wie einen Montessori-Kindergarten in Wien entwarfen. Die Farbgebung sei jedenfalls Dicker-Brandeis zuzurechnen, so Reutner-Doneus. Die Ausstellungsarchitektur nimmt diese konsequent in ihren Wandfarben auf: Blau, Rot, Orange, Silber.

Entwurf von Franz Singer und Friedl Dicker-Brandeis: Axonometrische Ansicht des Speise- und Musikzimmers in der Wohnung Stella Reymers-Münz, 1930.
Foto: Reinhard Haider

Multitalent in Dialog

Eine Zäsur ereignete sich zu Beginn der 1930er-Jahre: Dicker-Brandeis und Singer trennten sich, und sie trat in die kommunistische Partei ein. Nachdem man Utensilien zur Fälschung von Pässen in ihrer Wohnung fand, wurde sie verhaftet. Nach ihrer Entlassung entwarf sie aber weiterhin Propagandaplakate für die Partei. Die Schwarz-Weiß-Collagen prangerten die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft an, speziell von Frauen und Kindern.

Als Dicker-Brandeis 1934 nach Prag zog und Pavel Brandeis heiratete, erfüllte sich ihr sehnlichster Wunsch: Durch die finanzielle Absicherung konnte sie sich endlich ausschließlich der Malerei zuwenden.

An dieser Stelle unternimmt die Ausstellung einen spannenden Versuch – der auch gelingt: Unter den Werken der Künstlerin wird auf Bilder von Otto Dix, Oskar Kokoschka oder Sophie Taeuber-Arp verwiesen, Dicker-Brandeis’ Werk und Stil werden so kunsthistorisch eingeordnet. Die Vielfalt ihres malerischen Œuvres spricht für sich: neu sachlich, figurativ, expressionistisch. Eine weitere Bestätigung des Multitalents einer Künstlerin, die nicht mehr vergessen sein wird. (Katharina Rustler, 4.2.2022)

Ausstellungsansicht im Lentos: Konsequente Wandgestaltung mit Möbeln aus dem Atelier von Singer und Dicker-Brandeis.
Foto: Reinhard Haider / Lentos