Computersimulation der Umkreisung von zwei supermassereichen Schwarzen Löchern kurz vor ihrer Kollision. Dieses extrem rare Ereignis dürfte demnächst stattfinden.

Illustration: Nasa Goddard Space Flight Center

Bereits Anfang Mai könnte es so weit sein. Ein chinesisches Team von Astronominnen und Astronomen hat kürzlich prophezeit, dass in 100 bis 300 Tagen ein kosmischen Ereignis eintreten wird, das noch nie beobachtet und auch noch nie vorhergesagt wurde: Im Zentrum einer Galaxie namens SDSSJ1430+2303 scheinen sich zwei gigantische Schwarze Löcher mit einer Gesamtmasse von hunderten von Millionen Sonnen in den letzten Umkreisungen vor ihrer Verschmelzung zu befinden. Und diese wiederum würde für eine einzigartige Explosion sorgen – zum Glück 1,2 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt.

Ein solches kosmisches Megaspektakel, das letzte Woche in einer Vorabstudie auf dem Preprintserver Arxiv in Aussicht gestellt wurde, könnte der Astrophysik völlig neue Einsichten bescheren. Deshalb haben sich Forschende rund um den Globus unmittelbar nach Erscheinen der noch nicht fachbegutachteten Studie bereits Beobachtungszeit gesichert, um einen genauen Blick auf SDSSJ1430+2303 zu erhaschen.

Viele offene Fragen

Doch was hat es mit dem astrophysikalischen Phänomen auf sich? Was können wir hier auf der Erde beobachten? Und wie verlässlich sind die Voraussagen, die das Team um Ning Jiang (Chinesische Universität für Wissenschaft und Technik in Hefei) machte?

Die Astrophysikerin Tanja Rindler-Daller (Uni Wien), die sich Ende 2021 als erst dritte Frau an der Uni Wien für Astronomie habilitieren konnte, hält das Preprint für "eine seriöse Arbeit", die nicht umsonst für einiges Aufsehen sorgte. Wie Rindler-Daller erklärt, findet man supermassereiche Schwarze Löcher (SMSL) mit bis zu etlichen Milliarden Sonnenmassen "in allen größeren Galaxien, wobei sie typischerweise als einzelne Giganten im galaktischen Zentrum ,sitzen‘ und dort Materie wie Gas und Staub anziehen".

Rätselhafte aktive Galaxienkerne

Dieser gigantische Strudel der vom SMSL angezogenen Materie bildet eine sogenannte Akkretionsscheibe, die auch große Strahlung freisetzt. In der Astronomie spricht man in so einem Fall von einem aktiven Galaxienkern (AGN). Solche AGNs zählen nicht nur zu den leuchtkräftigsten Objekten im Universum. Sie machen auch "alle möglichen verrückten Dinge, die wir noch nicht verstehen", erklärte der US-Astronom Scott Ransom (National Radio Astronomy Observatory) gegenüber der Newsredaktion der Fachzeitschrift "Science".

Theoretisch können solche aktive Galaxienkerne auch zwei supermassereiche Schwarze Löcher beherbergen, was auch schon in einigen wenigen anderen Fällen beobachtet wurde. Doch diese bis jetzt bekannten Paare von supermassereichen Schwarzen Löcher sind hunderte von Lichtjahren voneinander entfernt und würden erst in Milliarden von Jahren kollidieren.

Im Fall des aktiven Galaxienkerns von SDSSJ1430+2303 deuten Helligkeitsschwankungen nicht nur darauf hin, dass es im AGN zwei SMSL gibt, sagt Rindler-Daller. Vor allem konnte das chinesische Team auf Basis komplexer Beobachtungen zeigen, dass diese Zyklen immer kürzer wurden und innerhalb von drei Jahren von einem Jahr auf einen Monat zurückgingen.

Leider nichts für Ligo

Wenn sich dieser abnehmende Trend fortsetzt, werden die Schwarzen Löcher, die sich etwa so nahe kommen wie die Sonne dem Pluto, in den nächsten 100 bis 300 Tagen verschmelzen.

Der "letzte Tango" zweier supermassiver Schwarzer Löcher gemäß einer Nasa-Supercomputersimulation aus dem Jahr 2018.
NASA

Halbwegs informierte Laien könnten nun meinen, dass dieses Ereignis ideal für eine Beobachtung durch die noch recht neuen Gravitationswellendetektoren wie Ligo wären, die 2015/16 erstmals die Gravitationswellen einer Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher registrierten.

Doch Rindler-Daller winkt bedauernd ab: "Da die supermassenreichen Schwarzen Löcher sehr, sehr viel schwerer sind, haben die entstehenden Gravitationswellen eine viel tiefere Frequenz und können nicht mit Ligo gemessen werden." Und eine geplante Weltraummission namens Lisa, die genau für solche SMSL-Verschmelzungen konzipiert wurde, werde leider erst 2030 startklar sein. Also muss man sich mit anderen Beobachtungen behelfen.

Was passieren könnte

Die astronomische Fachwelt erwartet jedenfalls neben der Welle niederfrequenter Gravitationswellen eine extrem helle Lichtexplosion im gesamten elektromagnetischen Spektrum. Das wiederum könnte neue Details der noch nie beobachteten Kollision enthüllen und neue Aufschlüsse über supermassereiche Schwarzer Löcher ermöglichen.

Das alles steht natürlich unter der Voraussetzung, dass die Prognosen richtig sind und dieses Ereignis tatsächlich in den nächsten 100 bis 300 Tagen passiert. Wobei sich das natürlich auf "unsere" Zeit bezieht, wie Rindler-Daller klarstellt. So sich das Ereignis 2022 tatsächlich auf der Erde messen lässt, dann ist es eigentlich schon vor mehr als einer Milliarde Jahren geschehen. Denn so lange dauert es, bis die Strahlung und die Gravitationswellen von SDSSJ1430+2303 bei uns eintreffen. (Klaus Taschwer, 4.2.2022)