Wer sich dereinst ein Bild davon machen will, was politisch im Österreich der Jahre unter Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache gelaufen ist, tut vielleicht am besten daran, einige Dramolette von Antonio Fian zur Hand zu nehmen. Komprimierter wird er den Ungeist nirgends zu fassen bekommen. Fian spielt Mäuschen bei der Suche nach der neuen ÖVP-Parteifarbe ("Nicht blau, nicht grün und lässt doch alle Optionen offen!"), nimmt das Kurz’sche Mantra von der geschlossenen Balkanroute aufs Korn, ist mit Karoline Edtstadler beim "Imagespezialisten" und entlarvt das türkise Machtzentrum: "Die Herrschaft wird nervös. / Quatsch, was sag’ ich, Herrschaft! Wirtschaft! / Wirtschaft mein ich, is’ ja klar! / Es geht immer um die Wirtschaft. / Weiß doch heutz’tag jeder Narr."

Antonio Fian, "Wurstfragen. Dramolette VII". € 21,– / 200 Seiten. Droschl, Graz, 2022.
Foto: Droschl

Wurstfragen heißt die nun vorliegende siebte Auswahl von seit 2014 im STANDARD erscheinenden Dramoletten Fians. Eines spielt mit Kurz’ Wahlkampfslogan "Wir halten Kurs", auf den der Kanzler bei einem PR-Besuch im Pflegeheim von Pflegeassistent Mahmud angesprochen wird. Er will bei ihm einen Sprachkurs machen. Natürlich war auf dem Plakat kein solcher Kurs gemeint. "Lernen Sie erstmal Deutsch!", schimpft der Kanzler, Mahmud schilt ihn dafür "Ligna". Müsste echte Politik nicht anders agieren, als sie es real tut? Das führt Fian damit grandios vor Augen.

Mut zur Ambivalenz

Neben Fians Gehör für Sprache und deren Verdrehungen bedingt die Qualität dieser Texte auch, dass sie es wagen, die Leser gelegentlich ratlos zurückzulassen. Zwar liegt die Pointe auf der Hand; die Erkenntnis ihrer Bedeutung fordert aber Hirnschmalz. Lösungen gehen um die Ecke, kommen von hinten, aus dem Gegenteil.

Die jüngeren Entwicklungen haben sicher zum ÖVP-Schwerpunkt beigetragen. Doch nicht alles ist Politik. Die Pilzsammlerinnen scheint rein der Freude am Aufzählen kurioser Pilznamen zu entspringen. Zukunft des Theaters spöttelt über Dramaturgen, die das neue heiße Ding für die Bühne suchen: "Computergrafik eventuell". Nicht nur die zwei altbekannten Ex-Beachvolleyballer breiten wieder ihr schönstes Kärntnerisch aus. Corona kommt zwischen Maskenge- und Vermummungsverbot auch vor. Mut zur Ambivalenz hat Fian ebenso bei einer Gutenachtgeschichte über ein Waisenmädchen, anhand der er politische Korrektheit und Sprachverwirrung rund um die gefährlich ähnlich klingenden Worte Waise, weise und weiß durchspielt. Fian ist ein formidabler Beobachter. (Michael Wurmitzer, 3.2.2022)