Im Gastblog erzählt der Mediator und Jurist Ulrich Wanderer, dass auch Mediatoren Fehler machen.

Ihr Mediator ist auch nur ein Mensch und als solcher dermaßen nicht perfekt, dass es schon wieder lustig ist. Daher möchte ich diesen folgenden Text auch nicht in der professionellen dritten Person, sondern schlicht so schreiben, wie ich es mir denke.

Auch wenn man als Mediator mit den Konflikten anderer Menschen zu tun hat, bedeutet das nicht, dass der Umgang mit jenen Situationen, die den Puls steigen, den Kopf erröten und die Stimme lauter werden lassen, immer diesem Standard entspricht. Wie meinte einst eine meiner Wifi-Ausbildnerinnen: "Manchmal ist ein Depp einfach nur ein Depp." Die folgenden drei Beispiele seien als kleine augenzwinkernde Beichte, aber auch als Einblick in die höchstpersönliche Praxis zu verstehen.

Die sportlichen Kinder

Meine Frau und ich wohnen in einem schönen Altbau im Westen Wiens, im Hochparterre. Sie ahnen, auch wir haben Nachbarn, beziehungsweise längere Zeit auch nicht. So stand die Wohnung über uns einmal eine wunderbar lange Zeit leer. Dieser Zustand ging logischerweise einmal zu Ende, dies änderte aber nichts dran, dass wir uns an die Ruhe gewöhnt hatten und ich daher an einem der ersten Tage leicht genervt bei den neuen Nachbarn vorstellig wurde. Mein Ton konnte wohl als dreiviertelfreundlich empfunden werden, ich machte deutlich, dass wir nicht noch weitere Risse im Putz der Zimmerdecke wollten. Nun, die Chemie zu den Nachbarn war somit ausbaubar, im Endeffekt wurden wir immer sensibler hinsichtlich des Bewegungsdrangs der kleinen Kinder. Irgendwann konnten wir uns diese Laufgeräusche insofern schönreden, als wir darin zumindest den Beleg sahen, dass die beiden Kinder unser Hobby, den Langstreckenlauf, teilten.

Monate und Jahre vergingen. Eine Begebenheit der absurden Art wies mir den Weg: Ich hatte mich bei Kolleginnen und Kollegen in deren Gemeinschaftspraxis im 13. Bezirk eingemietet und wartete auf meine Medianden. Da kam eine der Gesellschafterinnen der Praxisgemeinschaft, wir unterhielten uns. "Wohnen Sie eigentlich in der Soundso-Gasse?" – "Ja, wieso?" – "Ich glaube, Sie kennen meine Cousine, die Frau XY." Auweia! Viel peinlicher und gleichzeitig auch netter wurde ich noch nie auf einen Fehler hingewiesen. Ja, jene Kollegin, die mir die Nutzung einer Traumpraxis mitermöglichte, war die Cousine jener Nachbarin, die ich damals begrüßt hatte. Ich versank vor Scham und lachte gleichermaßen. In weiterer Folge nutzte ich diesen Fauxpas als Beispiel für Worst Practice, wenn ich zum Thema Interventionen oder Nachbarschaftsmediation unterrichtete.

Laute Nachbarn? Auch bei einem Mediator kann der Ton im Gespräch mal danebengehen.
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Dann, wieder vergingen Monate, traf ich unsere Nachbarin auf der Straße, wir plauderten kurz, bis ich mich bei ihr bedankte. "Wofür denn?" – "Nun, das ist ja ganz einfach: Meine Vorstellung damals vor einer Ewigkeit war ja wohl optimierbar, sorry dafür. Aber jedes Mal, wenn ich an Uni oder FH davon erzähle, habe ich die volle Aufmerksamkeit der Studierenden, das wäre ohne Sie nicht möglich gewesen." Seit dieser Unterhaltung ist das Eis gebrochen, und wir lernten unsere Nachbarn als witziges, freundlich-sportliches Paar mit reizenden Kindern kennen.

Die Liebenden

Ein anderes, auch durchaus erheiterndes Beispiel verdanke ich den Nachbarn unserer alten Wohnung: Ihr Schlafzimmer grenzte an unseres. So lebten wir die ersten Wochen durchaus direkt mit ihnen mit. Gelegentlich klopften wir an die Wand. Eine gewisse Sprachbarriere schien zwischen uns zu stehen, was mich dann aber nicht daran hinderte, knapp vor Weihnachten eine Übersetzungsapp zu bemühen und die Nachbarn einerseits freundlich willkommen zu heißen, gleichzeitig aber auch auf die beachtliche Schallübertragung zu Mitternacht hinzuweisen (Sie wissen, was ich meine).

Mit etwas Bauchweh klopfte ich, der Mann öffnete die Tür, sah mich freundlich, aber verwundert an. Ich wollte ihm schon meinen vorbereiteten arabischen Text zeigen, als seine Gattin erschien und in bestem Deutsch fragte, worum es denn gehe. Ich schilderte augenzwinkernd, dass wir uns sehr über ihr Beziehungsleben freuten, doch nach einer Woche ein geringfügiges Schlafbedürfnis hätten. Die Frau wurde freilich sofort knallrot und lachte, bevor sie ihrem Mann die Thematik erklärte. Gemeinsam grinsten wir, lachten. Wenige Tage später, am 23. Dezember, klopfte es an der Tür, beide standen mit Sekt und Pralinen vor der Tür und wünschten frohe Weihnachten. Der Sekt schmeckte köstlich, die Pralinen ebenfalls, und die Nächte waren ab sofort wieder durchschlafbar.

Der Koch und die Blicke

Doch auch in der Arbeit mit meinen Medianden erlebte ich Situationen, die mich selber ermahnen, mein eigenes Verhalten permanent zu hinterfragen: Ein (erneuter) Nachbarschaftskonflikt war der Anlass, eine ältere Dame aus Wien hatte sich über die so fremdartigen Gerüche aus der Küche des Mieters unter ihr beschwert. Am Telefon kam der unvermeidbare Satz "Herr Magister, ich hab ja nix gegen Ausländer, aber …", wobei die Herkunft des Nachbarn auf den ersten Blick keine relevante Rolle spielte. Wir trafen uns also in den Räumen der Hausverwaltung, besprachen die Angelegenheit, bis der leidenschaftliche Koch mit seinem inneren Erleben hervorbrach: "Was soll ich denn tun? Ich arbeite seit zehn Jahren als Arzt in einer Klinik, zahle mehr Steuern als viele andere, lebe mein Leben. Und doch, jedes Mal, wenn ich auf die Straße gehe, starren mich die Leute für einen Sekundenbruchteil an, weil ich schwarz bin. Ich weiß, sie meinen es nicht böse, aber wenn man jeden Tag einen Sekundenbruchteil angestarrt wird, ist das auch nicht einfach! Da will ich doch wenigstens in meiner Wohnung einmal ich sein dürfen und das essen, was mir schmeckt, verstehen Sie das?" Viel deutlicher und vorwurfsfreier ging es kaum.

Ich erspare Ihnen nun die Reaktion der Nachbarin und leite direkt zu meinen Gedanken über. Ja, auch ich gehe durch die Straßen und habe dabei die Augen offen. Ja, ich sehe die Menschen und werde dabei bei manchen länger schauen als bei anderen. Länger oder anders. Wenngleich ich dies nicht als "glotzen" oder "starren" empfinde, zumal dieser Sekundenbruchteil wohl irrelevant sein wird, so kann ich mir das Erleben des Gegenübers gut vorstellen. Stellen Sie sich vor, wenn Sie als überdurchschnittlich attraktives Individuum durch die Straßen gehen, werden Sie auch einige Blicke ernten. Entsprechen Sie aus diesen oder auch anderen Gründen nicht der "Wiener Norm", und sei es eben auch die Hautfarbe, so ist es nachvollziehbar, dass man sich einer Flut von Blicknadelstichen ausgesetzt fühlt. Nein, ich habe hierfür keine Lösung, ich liebe Menschen und werde sie auch sehen, wenn sie meinen Weg kreuzen. Aber ich habe Verständnis dafür, wie Blicke empfunden werden können.

Ich möchte hier ausdrücklich eben nicht gegen die reflexartigen Blicke sprechen und niemanden verurteilen, außer höchstens mich selber. Nein, der Sinn dieses Blogbeitrags wäre schon zigfach übererfüllt, wenn sich der eine oder die andere Leserin in die Lage des betroffenen Mieters hineinversetzt und einen Moment sein Erleben mitfühlt.

So viel zu einem kurzen Seelenstrip Ihres Mediators. (Ulrich Wanderer, 8.2.2022)