Als der britische Premierminister Boris Johnson im Vorjahr die Weltgemeinschaft zur 26. UN-Klimakonferenz ins schottische Glasgow lud, machte er die Dringlichkeit der Bemühungen gegen die Erhitzung des Erdklimas klar. Er sprach davon, dass es die Priorität Nummer eins sein müsse, das Weltklima zu retten. Er verabschiedete ein Netto-Null-Emissionsziel für das Vereinigte Königreich bis zur Mitte des Jahrhunderts und polterte an anderer Stelle, dass die Staatsoberhäupter anderer Nationen endlich "erwachsen werden" müssten, was ihre Klimabemühungen angeht.

Was nach vernünftiger Politik mit teilweise drastischen Worten klingt, war aber nicht zwangsläufig von Johnson zu erwarten. Noch 2015 schrieb er in einer Zeitungskolumne im "Telegraph", dass der warme Winter nichts mit dem Klimawandel zu tun habe. 2013 schrieb er ebenfalls in einem Artikel, dass der damals besonders kalte Winter die britische Regierung dazu animieren sollte, ernsthaft darüber nachzudenken, ob der Klimawandelskeptiker Piers Corbyn – der Bruder des Ex-Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn – nicht vielleicht doch recht hätte. Laut Corbyn sei die Erderwärmung nicht auch auf das von Menschen ausgestoßene CO2 zurückzuführen, sondern lediglich mit den Aktivitäten der Sonne erklärbar, was natürlich falsch ist. Johnson sagte damals, es fühle sich wie der Beginn einer Mini-Eiszeit an.

Was war also geschehen? Johnson selbst sagte einmal, dass ihm ein Lichterl nach einem "sehr wichtigen" Briefing aufgegangen ist, das er von seinem Chefwissenschaftsberater am 28. Jänner 2020 erhalten haben soll – in etwa ein halbes Jahr nach seiner Ernennung zum Premier. Dank des britischen Informationsfreiheitsgesetzes konnte die auf Klimaberichterstattung fokussierte Onlineplattform "Carbon Brief" nun herausfinden, was in jener Präsentation stand, die Johnson zu einem Befürworter rascher Maßnahmen gegen den Klimawandel werden ließ. Die Präsentation hatte gerade mal elf Folien, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

In Folie eins geht es um die offensichtlichsten messbaren Daten und Fakten. Nicht nur die CO2-Konzentration in der Atmosphäre (oben links) stieg seit 1960 stark an. In den zehn Jahren zwischen 2009 und 2019 wurde es fast überall auf der Welt auch sehr viel heißer als in den rund 30 Jahren zwischen 1961 und 1990 (oben rechts). Auch die globale Temperatur nahm seit mehr als einem Jahrhundert quasi permanent zu (unten links), ebenso wie der Meeresspiegel binnen der letzten Jahrzehnte (unten rechts).

Foto: carbonbrief

Die zentrale Grafik auf Folie zwei ist jene links oben. Sie zeigt in Rot und Blau, wie sich die Temperatur aufgrund von natürlichen Ereignissen laut Prognosen hätte entwickeln müssen – wenn man den menschlichen Einfluss herausrechnet. Der schwarze Balken zeigt jedoch die tatsächliche Entwicklung, die von den Prognosen deutlich abweicht.

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Folie drei zeigt auf, wie sich die Fläche des arktischen Eisschilds binnen der vergangenen dreißig Jahre um drastische zwölf Prozent alle zehn Jahre verringerte. Zur besseren Veranschaulichung werden Vergleiche gezogen. Jährlich schmilzt Eis in der Größe von Schottland. In einem Jahrzehnt verschwindet mehr Eis als die Fläche der britischen Inseln und Frankreichs gemeinsam. In vierzig Jahren schmilzt so viel Eis, dass es vergleichbar ist mit der Fläche von Indien, Bangladesch und Bhutan. In dem ebenfalls veröffentlichten E-Mail-Verkehr wird Johnson aber auch erklärt, dass das Eis nicht irreversibel schmilzt, sondern bei kälteren Temperaturen teilweise wieder zurückgewonnen werden kann.

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Folie vier sollte Johnson von den Extremwetterereignissen überzeugen. Einerseits nahmen die sehr heißen Tage fast global seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts drastisch zu! Etwas unregelmäßiger sind die Niederschläge. Besonders lokal kann es hier aber zu starken Regenfällen kommen, was auch die zahlreichen Fluten in den vergangenen Jahren belegen. Andernorts wiederum blieb der lebenspendende Regen immer wieder aus.

Foto: carbonbrief

Welche Folgen hat das sich erhitzende Weltklima konkret? Das sollte Folie fünf erläutern – mit vielen Bildern. In Australien wird es sehr oft und lange brennen. In Europa werden viele Menschen an Hitzewellen sterben. Die Biodiversität wird rasant abnehmen, und nicht zuletzt ist es bis zu sieben Mal wahrscheinlicher, dass es in den britischen Wintern zu langen Perioden extremer Regenergüsse kommt.

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Was passiert, wenn wir unser CO2-Budget weiterhin so verantwortungslos aufbrauchen und sich die Erde dadurch erwärmt? Die fünf großen Risiken werden immer wahrscheinlicher: Einzigartige und bedrohte Ökosysteme sterben aus, Extremwetterereignisse treten ein, die Folgen verbreiten sich global, die Folgen verstärken einander weltweit, es kommt zu großen singulären Katastrophen.

Der zweite Teil der Grafik zeigt erneut den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Kohlendioxidausstoß und Temperaturerwärmung.

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Vom Best bis zum Worst Case. Wie könnte es weitergehen? Wie sehen die verschiedenen Szenarien aus, wenn sich die Menschheit gar nicht oder sehr anstrengt? Das soll Folie sieben zeigen. Um der Sache noch etwas Dringlichkeit zu verleihen, ist rechts gespiegelt die vorhergehende Prognose zu sehen. Klar erkenntlich: Noch vor nicht allzu langer Zeit war der schlimmste Fall noch weniger schlimm. Es muss also gehandelt werden, damit nicht noch schlimmere Szenarien in den Bereich des Möglichen rutschen.

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Folie acht bringt Beweise, dass der Meeresspiegel steigt. Die Wissenschafter erklären dem neuen Premier, welche Küstengebiete bei welchem Meeresspiegelanstieg verschwinden werden.

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Wieder geht es um einen konkreten Temperaturanstieg, nämlich um jenen gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – und wie sich dieser konkret noch in der Amtszeit von Boris Johnson entwickeln könnte, sofern er denn Premier bleibt. Die Grafik zeigt: Es wird ziemlich sicher zwischen 0,91 und 1,61 Grad Celsius heißer. Des Weiteren: Die tatsächlichen Temperaturerhöhungen lagen immer im Rahmen der Fünfjahresvorhersagen. Die Schlussfolgerung sollte also sein: Wir wissen, was wir tun, die Zahlen stimmen.

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Nochmals geht es um sechs Szenarien. So könnte es sich entwickeln, wenn sich die Menschheit wirklich ambitionierte Ziele steckt und diese umsetzt, beziehungsweise so wird es aussehen, wenn nichts dergleichen geschieht.

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Abschließend geht es um Kipppunkte. Was könnte passieren, wenn bestimmte Punkte erreicht werden, welche drastischen Folgen sind dadurch für das Vereinigte Königreich zu erwarten?

Wenn die CO2-Konzentration zu hoch wird, weil weite Teile des Amazonas-Regenwaldes gerodet werden und der Permafrostboden auftaut, könnten sämtliche Bedrohungsszenarien für Großbritannien noch schneller eintreten, warnen die Expertinnen und Experten.

Wenn die großen Eisschichten an den Polkappen wegschmelzen, werden Küstengebiete des Vereinigten Königreichs noch schneller im Wasser versinken.

Wenn das sensible Zusammenspiel aus Luftströmen und Wasser- wie atmosphärischer Temperatur ins Wanken gerät und etwa der Jetstream abreißt, könnten jegliche Projektionen falsch sein – in dem Fall wären noch drastischere Klimafolgen realistisch. (Fabian Sommavilla, 4.2.2022)

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