Solche Proteste wären in China undenkbar. In Sydney gingen am Freitag Tibeter und Uiguren auf die Straßen, um einen Boykott der Spiele zu fordern.

Foto: EPA/Flavio Brancaleone

Und plötzlich ist der Bildschirm schwarz. Wer im chinesischen Hotel das Privileg hat, CNN oder BBC schauen zu dürfen, kann am Signalausfall erahnen, worum es im nächsten Bericht gehen würde. Denn wenn von der Volksrepublik die Rede ist, haben ausländische TV-Kanäle Sendepause. Herren über die Botschaft zu bleiben – darauf achten jene, die in Peking an den Hebeln der Macht und den Knöpfen der Zensur sitzen, penibel. Geht es beim Sendestopp von China-Berichten vor allem darum, pauschal keine Kritik lautwerden zu lassen, wird auf anderen Kanälen selektiver kontrolliert.

Was in der streng überwachten chinesischen Version des Internets gesagt werden darf, das merken jene, die es nutzen, oft erst im Nachhinein – und manchmal ist es auch vom Tag, von der Zeit oder dem Kontext abhängig. Bestimmte Themen aber sind immer tabu gewesen oder sind zumindest mit größter Vorsicht zu genießen.

Schon lange bekannt sind "die drei T". Den Eindruck zu erwecken, auf dem Tian’anmen-Platz in Peking wäre vielleicht nicht nur das Mao-Porträt historisch interessant, sondern auch die blutige Niederschlagung der Demokratieproteste 1989; in Tibet gäbe es nicht nur gute Luft und schnelle Züge, sondern auch die Unterdrückung von Buddhismus und Dalai Lama; und in Taiwan womöglich echte Begeisterung für Demokratie und ein ernstes Streben nach Unabhängigkeit – das geht nicht.

Dazugekommen sind die Unterdrückung und Lagerhaft der Uiguren, die in vielen Fällen ungeklärte Lage um chinesische Gebietsansprüche an Orten, die auch Indien, Vietnam und eine Reihe anderer Staaten als Teil ihres Territoriums sehen. Und die Korruption – jedenfalls dann, wenn es nicht um politische Gegner von Präsident Xi Jinping geht, die mit Verfahren aus dem Weg geräumt werden sollen. Was darf man in China sagen, und worüber sollte man besser schweigen? Ein Überblick:

Tian’anmen: Das Massaker, das es nie gab

Das Bild des Mannes, der sich alleine dem Panzer entgegenstellt, ging 1989 um die Welt. Nur in einem Land fand es kaum Beachtung: dort, wo es aufgenommen wurde. Der "Tank Man" steht für all das, was um den 4. Juni am Tian’anmen-Platz geschah, als die kommunistische Führung Proteste gewaltsam niederschlug.

Bild nicht mehr verfügbar.

Jeff Widener hat am 5.Juni 1989 das berühmte Foto geschossen.
Foto: AP/Jeff Widener

In China ist Tian’anmen für viele ein Massaker, das nie stattgefunden hat. Bei disruptiven Ereignissen konzentriert sich der Staat mit voller Kraft aufs Verhindern: Bilder und Infos werden auf allen Kanälen ausgespart oder mit parteikonformen Narrativen überlagert. So wurde Tian’anmen nie Teil des kollektiven Gedächtnisses und ist bis heute eines der größten Tabus. Als ein BBC-Journalist 2019 Passanten nach jenem Bild fragte, wollte oder konnte es kaum jemand erkennen.

Taiwan: Sagen Sie nie "Republik China"

Die Existenz Taiwans hingegen ist weder Geheimnis noch Tabu. Auch die Regierung spricht über die Insel, in letzter Zeit sogar öfter. "Friedliche Vereinigung" ist das Stichwort. Die Idee aber, dass Taiwan mit gutem Recht demokratisch sein könnte oder gar in Zukunft offiziell unabhängig – die sollte man lieber nicht vorbringen. Ebenso ungern sind Landkarten gesehen, die Derartiges andeuten könnten.

Präsident Xi Jinping hat die Heimholung Taiwans, das Peking ja als abtrünnige Provinz sieht, zu einem zentralen Punkt seines politischen Vermächtnisses gemacht. Das sorgt für Nervosität im Westen. In den USA fürchten viele, dass zögerliches Verhalten in der Ukraine-Krise von Peking als Ansporn für eine Invasion gesehen werden könnte.

Tibet: Unfreiheit am Dach der Welt

Wer sich selbst und andere nicht in Bedrängnis bringen will, sollte auch nicht von Tibet sprechen. Das Hochplateau in Zentralasien ist heftig umstritten: Ist es nun Teil Chinas oder nicht? Peking wirft den Tibetern Undankbarkeit vor und scheut auch nicht vor massiver Gewalt zurück, um seinen Willen durchzusetzen – und das bereits seit den 1950ern, als die Volksbefreiungsarmee Fakten schuf und der Dalai Lama schließlich aus seiner Heimat floh.

Im vergangenen Sommer besuchte Xi Jinping die tibetische Hauptstadt Lhasa. Im Hintergrund ist der Potala zu sehen, der ehemalige Amtssitz des Dalai Lamas.
Foto: imago images/Xi Huanchi

Heute wirft er dem Regime kulturellen Genozid vor. Die Religionsfreiheit für die dortigen Buddhisten ist außerdem stark eingeschränkt – wie übrigens zum Teil auch im Rest des Landes, etwa bei Christen und Falun-Gong-Anhängern. Um neue Proteste zu verhindern, ist das Dach der Welt mittlerweile unter engmaschiger Kontrolle.

Uiguren: Freiluftgefängnis in Xinjiang

Ähnlich sind die Zustände in Xinjiang. Die mehrheitlich muslimischen Uiguren wurden in den vergangenen Jahren Darsteller dystopischer Kontrollfantasien eines autoritären Regimes: Mehr als eine Million Menschen sollen dort zeitweise in Lagern interniert sein, oft ohne Anklage und ohne Wissen über die Haftdauer. Wer Kritik an den Autoritäten wagt, steht schnell im Verdacht, "Terrorist" zu sein – das ist auch die Rechtfertigung für die Masseninternierung. Wie auch in Tibet wird in Xinjiang engmaschig kontrolliert: auch mithilfe von großangelegten DNA-Massenerfassungen und Hightech. Wie auch in anderen Minderheitenregionen Chinas wird dem Staat vorgeworfen, Assimilierung an die Mehrheitsbevölkerung der Han voranzutreiben.

Zero Covid: Unerfüllte Träume

Viel hat China in den vergangenen zwei Jahren mit seiner Covid-Politik überdeckt. Nach der Vertuschung der ersten Fälle in Wuhan griff Peking mit harter Hand durch: Massentests, strikte Lockdowns, Einreisekontrollen. Anfangs als Erfolgsmodell gefeiert – und von der Propaganda auch als solches verkauft –, zeigen sich nun die Grenzen dieses Ansatzes. Während in Europa über ein Ende der Maßnahmen geredet wird, muss Peking für diesen Fall eine massive Welle befürchten – immerhin gibt es kaum Immunität, und an den heimischen Impfstoffen gibt es Zweifel. Wer nicht an Zero Covid in China glaubt, sollte diese Meinung also nicht vor Ort kundtun.

Soziale Proteste: Vernetzung unerwünscht

Missstände werden auch in der Volksrepublik nicht nur mit einem Lächeln hingenommen. In dem riesigen Land mit einer Bevölkerung von über 1,4 Milliarden Menschen kommt es täglich wohl zu hunderten Protesten. Zumeist handelt es sich um Arbeiter- und Bauernproteste, die im kleinen Stil auf lokale Ungerechtigkeiten aufmerksam machen wollen: Entweder es zahlt eine Firma die Löhne nicht aus, oder Bauern fordern höhere Preise. Erst wenn sich solche lokalen Proteste überregional zu vernetzen drohen, werden die Behörden hellhörig. Vor allem ideologischer Aktivismus und Aufklärungsarbeit, etwa von Studierenden unter Arbeitnehmerinnen und -nehmer, wird mit aller Macht unterdrückt. Auch wenn Protestierende auf die Situation der unzähligen Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen im Land aufmerksam machen wollen, wird dem schnell ein Riegel vorgeschoben.

Peng Shuai: #MeToo, danke nein

"Wo ist Peng Shuai?" Nach dem Verbleib des Tennisstars sollte man in China nicht fragen – und auch nicht dort, wo Firmen auf gutes Geschäft mit der Volksrepublik hoffen. Die Veranstalter der Australian Open zwangen zwei Zuseher, die diese Frage auf T-Shirts trugen, dazu, diese auszuziehen. Erst nach Protesten machten sie dieses Verbot rückgängig. Peng Shuai hatte in einem Social-Media-Post im November den früheren Vizepremier Zhang Gaoli des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Das Posting wurde gelöscht und verschwand.

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Posting, das Peng Shuai im November veröffentlichte, verschwand sehr schnell wieder.
Foto: Reuters/Adnan Abidi

Und ebenso Peng. Erst nach Wochen der Abwesenheit publizierten Staatsmedien ein angeblich von ihr stammendes Statement, in dem sie ihre Anschuldigung zurücknahm. Später sagte sie Ähnliches in einem Videointerview. Daran, dass sie dies aus freien Stücken tat, gibt es Zweifel.

Hongkong: Es war einmal die Demokratie

Bis vor wenigen Jahren gab es einen Ort in China, wo die liberale Demokratie zumindest teilweise zur Anwendung gekommen ist. In der Sonderverwaltungszone Hongkong im Süden des Landes genossen Bürger und Bürgerinnen Freiheiten wie freie Wahlen und Pressefreiheit. Doch spätestens seit 2020 ist damit Schluss. Die ehemalige britische Kronkolonie wurde 1997 an China zurückgegeben, eigentlich sollte dort mindestens 50 Jahre das semidemokratische System bestehen bleiben. Doch Peking hatte es eilig mit der Anpassung an das Festland. Heute werden Menschen, die etwa "Befreit Hongkong" und "Revolution unserer Zeit" skandieren, inhaftiert. Freie Medien wurden zugesperrt, Verleger inhaftiert.

Meeresgebiete und Inseln: Angespannte Nachbarschaft

Kennen Sie die Senkaku-Inseln? Falls nicht, sind Sie in guter Gesellschaft – denn in China kennt man sie auch nicht. Peking nennt die unbewohnte Inselgruppe nahe Taiwan, die seit 1972 von Japan verwaltet wird, nämlich Diaoyu-Inseln. Und natürlich erhebt die Volksrepublik auf den Archipel im Ostchinesischen Meer ebenso Anspruch wie auf weite Gebiete der Südchinesischen Meer. Dort fasst die sogenannte "Nine-Dash-Line", also eine imaginäre Grenzlinie aus neun Strichen, große Teile der Meeresgebiete zusammen, auf die auch insgesamt rund ein Dutzend andere Länder Anspruch erheben. Teils reichen sie nah an die Küste heran. China argumentiert mit angeblich historischen Ansprüchen.

Winnie Puuh: Ähnlichkeit mit Xi Jinping

Die Ähnlichkeit erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Aber irgendwann im Jahr 2013 ist sie einem Nutzer des sozialen Netzwerks Weibo doch aufgefallen. Seither wurden immer wieder Fotos von Präsident Xi Jinping hochgeladen, die ihn in Aussehen und Pose mit der Disney-Figur Winnie Puuh vergleichen. Ein Witz, über den Chinas Zensoren nicht lachten – und den sie damit erst populär machten.

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch während der Hongkong-Demos war Winnie ein beliebtes Protestsymbol.
Foto: AP/Vincent Yu

Seit Jahren werden Bilder und Erwähnungen des trägen Honigfreundes radikal aus Chinas sozialen Netzwerken gelöscht. Nicht wahr sind aber Berichte über eine Totalzensur außerhalb des politischen Kontexts: Das Disneyland Schanghai preist weiter seine Attraktion The Many Adventures of Winnie the Pooh an, auch im chinesischen Disney-Channel lief der Zeichentrickfilm jüngst noch. Aber Vergleiche mit dem Präsidenten: "Shüüü!" (Anna Sawerthal, Manuel Escher, 5.2.2022)