Über die Schnellbahnstrecke zum Wiener Praterstern wird die Westbahn so bald nicht wieder fahren. Das koste viel Zeit und lohne sich mangels Fahrgastaufkommens auch nicht.

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STANDARD: Das Klimaticket hat der Westbahn – salopp ausgedrückt – das Leben gerettet. Hätten Sie die Pandemie sonst überlebt?

Forster: Das Klimaticket ist der eine Punkt. Aber ganz wesentlich war die Notvergabe der Bundesregierung ...

STANDARD: Die Hilfen aus der Notvergabe bekam auch die ÖBB. Das war keine Wohltat, denn der Staat, also die Regierung, ist verpflichtet, den öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten ...

Forster: Stimmt. Aber das war für uns wirklich super in den ganz kritischen Phasen, als niemand mit dem Zug gefahren ist. So eine Hilfe hat es im Ausland nicht gegeben.

Das österreichweite Klimaticket werde zu besseren Services für die Kunden führen, ist Westbahn-Chef Erich Forster überzeugt.
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STANDARD: Diese Anbieter bekamen die Unterstützung dann halt hinterher.

Forster: Das ist auch richtig. Aber beim Cashflow bekommt man als Betreiber schnell ein Problem, und das hat einige Private in Europa ziemlich an den Rand gebracht. Da war Österreich wirklich vorbildlich, weil die Hilfen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit kamen.

STANDARD: Das Klimaticket ist für die Westbahn trotzdem so etwas wie eine Lebensversicherung?

Forster: Beim Klimaticket haben Sie insofern recht, als das ein großer Vorteil ist für uns, weil Oftfahrer mit dem Klimaticket plötzlich Wahlfreiheit haben. In der Vergangenheit war es ja so, dass die ÖBB aufgrund ihrer enormen Netzwirkung die Oftfahrer über ihre Österreichcard de facto exklusiv hatte. Das ist auch nicht unlogisch, weil jemand, der häufig nach Salzburg, aber auch Graz fährt, automatisch beim Österreichticket gelandet ist, und wir waren damit ausgeschlossen. Mit dem Klimaticket haben diese Kunden nun die Wahlfreiheit.

STANDARD: Die Kunden können in jeden beliebigen Zug steigen ...

Forster: Ja. Wer zum Beispiel gern in einem Doppelstockwagen sitzt, weil die Kinder am oberen Deck über die Lärmschutzwände drübersehen, fährt mit uns. Die Fahrgäste können uns jetzt testen – und kommen wieder, das sehen wir an unserer Check-in-Lösung. Wer sich am Platz selbst unkompliziert eincheckt, bekommt Punkte von uns.

STANDARD: Wie läuft das Geschäft derzeit, wieder im Normalmodus?

Forster: Im Moment ist die Lage aufgrund der Pandemie wieder katastrophal. Es ist zwar nicht so schlimm wie zu Lockdown-Zeiten, aber das Passagieraufkommen liegt um vierzig Prozent unter Vor-Corona-Niveau. Das trifft den überregionalen Fernverkehr wesentlich stärker als den Nah- und Regionalverkehr. In die Arbeit fahren die Leute, wenngleich aufgrund von Homeoffice reduziert. Aber der typische Ausflug von Linz in den Tiergarten Schönbrunn ist de facto weg. Es gibt auch keinen Städtetourismus. Incoming-Tourismus aus dem Ausland kommt auch keiner. Deshalb ist der Rückgang gegenüber der Vor-Corona-Zeit noch immer dramatisch. Im ersten Lockdown hatten wir nur fünfzehn Prozent Auslastung.

STANDARD: Das sind die berühmten Geisterzüge – die ÖBB hat damit Erfahrung ...

Forster: (lacht) Den internationalen Nachtverkehr möchte ich mir gar nicht vorstellen. Sie verkaufen natürlich ganze Abteile, aber zu welcher Auslastung?

STANDARD: Bei so viel Licht hat das Klimaticket aber doch Schattenseiten. Der Preis ist dank staatlicher Stütze nach unten nivelliert, Leistungsanreize fehlen weitgehend, alles wird vom Staat bezahlt. Die Betreiber bekommen staatlich verordnete Fixtarife.

Forster: Der Vorteil ist, dass jeder Anbieter das bezahlt bekommt, was bei ihm an Passagieren an Bord ist. Es gibt also Wettbewerb um die Kunden. Das System ist so fair, dass Personenkilometer abgerechnet werden. Belohnt wird, wer bessere Services und mehr Fahrgäste hat.

STANDARD: Aber es gibt keinerlei Unterschied oder Anreizsystem auf der Tarifseite. Für die Westbahn ist das quasi ein doppelter Jackpot, denn Ihre Kostenstruktur ist vorteilhafter als jene des ÖBB-Personenverkehrs – beim Personal wie bei den Fahrzeugen.

Forster: Grundsätzlich basiert das System auf nachträglichen Überprüfungen – damit kein Anbieter einen irregulären Profit macht.

STANDARD: Wie darf man sich das als Steuerzahler vorstellen?

Forster: Das werden wir bei der ersten Überprüfung sehen.

STANDARD: Das heißt, das steht noch gar nicht fest?

Forster: Doch, das grundsätzliche Prozedere schon, es basiert auf der Umsatzrentabilität. So steht es in der Allgemeinen Vorschrift. Genaueres wird man bei der ersten Überprüfung sehen. Aktuell haben wir noch massive Verzerrungen wegen Corona, aber ich sehe kein großes Risiko von Überkompensierungen.

Auf der Südbahn sieht die Westbahn derzeit keine Entwicklungschancen. Gegen den vom Staat finanzierten gemeinwirtschaftlichen Verkehr könne man nicht anfahren.
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STANDARD: Jetzt müsste die Westbahn eigentlich die vor Jahren angedachte, aber auf Eis gelegte Ausweitung des Angebots auf die Südbahn in Angriff nehmen. Ist das ein Thema?

Forster: Überall dort, wo es bis einschließlich 2029 gemeinwirtschaftliche Leistungsbestellungen gibt, hilft das Klimaticket auch nichts. Wir können mit eigenwirtschaftlichen Verkehren nicht gegen ein System antreten, in dem ein Teil der Kosten über die Abgeltung von Bestellungen erstattet wird.

STANDARD: Das heißt, die ÖBB behält auf der Südbahn und auf der Westbahn von Salzburg bis Bregenz bis auf Weiteres ihr Monopol?

Forster: Solange der Staat auch den Schnellzugverkehr über Bestellungen abwickelt, ist das nicht attraktiv für uns. Wettbewerb kann es nur dort geben, wo es keine gemeinwirtschaftlichen Leistungsbestellungen gibt. Das wird so bleiben, bis es Ausschreibungen gibt. Die Bestellungen haben ja alle eine Deadline. Nach 2023 gibt es gemäß EU-Verordnung keine Direktvergaben mehr.

STANDARD: Sie werden das operativ nicht mehr gestalten, Sie gehen ja im März in Pension ...

Forster: Sie haben recht, ich bin da nicht mehr dabei. Das Thema wird meine Nachfolger beschäftigen. Es setzen aber alle Wettbewerbsbahnen darauf, dass es mit einigen Jahren Vorlaufzeit 2024/25 losgehen wird mit den öffentlichen Ausschreibungen von Linienverkehrsdienstleistungen.

STANDARD: Die EU-Kommission scheint da nicht mit wahnsinnig viel Verve dabei zu sein ...

Forster: Mit dem Green Deal hat die Kommission ihre Strategie geändert. Sie will jetzt erklärtermaßen alle gleichermaßen bei Investitionen unterstützen. Da entstehen sicher neue Möglichkeiten, weil sich private Betreiber wesentlich leichter tun werden bei der Fahrzeugbeschaffung. Das war ja in der Vergangenheit einer der schwierigsten Punkte: Wie komme ich zu halbwegs vernünftigen Konditionen? Wir als Westbahn haben diesen Zustand erst erreicht, als wir bereits etabliert waren. Gestartet ist die Westbahn mit einer Finanzierung der ersten Serie der Kiss-Züge, die auf acht Jahre ausgelegt war, mit einer Abschreibungsdauer von 25 Jahren. Bei der Erweiterung hatten wir dann schon zwölf bis 14 Jahre. Aber erst nach dem Verkauf der Flotte (an die Deutsche Bahn, Anm.) und der jetzigen Finanzierung für die neuen Züge sind wir bei zwanzig Jahren. Solche Dinge sollten künftig über die Green Bank, also die Europäische Investitionsbank der EU-Kommission, unterstützt werden. Auch die Energieeffizienz der Fahrzeuge soll honoriert werden.

STANDARD: Wird das Anschub sein für die ins Stocken geratene Liberalisierung?

Forster: Das glaube ich schon, denn derzeit fehlt die Chancengleichheit. Die Staatsbahnen bekommen über Eurofima erheblich günstigere Finanzierungen. Wir als Westbahn haben es geschafft, aber einige Herausforderer sterben auf dem Weg zu weiteren Investitionen. Ein weiterer Baustein sind die Infrastrukturbenützungsentgelte (vulgo Schienenmaut, Anm.). Die Diskussion ist da schon sehr weit, und es läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass Infrastrukturbetreiber keinen Profit machen sollen mit der Schienenmaut und auch nicht auf ihre vollen Kosten kommen ...

STANDARD: Die verdienen eh nichts damit, zumindest nicht so viel, wie notwendig wäre, und profitiert hat insbesondere der Güterverkehr ...

Forster: Das stimmt auch. Aber es ist wichtig, dass sich die Höhe der Schienenmaut auf ein vernünftiges Niveau hinbewegt. Österreich ist da Vorreiter, das Benutzungsentgelt wurde bereits gesenkt. Das war in der Pandemie natürlich eine Überlebensfrage – auch für die Cargo-Bahnen. Aber die EU lockt diesbezüglich insofern, als sie künftige Ausschreibungen mit Goodies verknüpft.

Corona-bedingt ist das Fahrgastaufkommen derzeit überschaubar.
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STANDARD: Fast fünfzehn Jahre nach der Liberalisierung beginnen die Staatsbahnen, gegeneinander um die Wette zu fahren. Das ist nicht der Wettbewerb, der ursprünglich gemeint war, oder?

Forster: Das ist auch Teil der Entwicklung, es kommt Bewegung hinein. Trenitalia fährt nach Frankreich, SNCF nach Spanien. Der Cargo-Bereich ist natürlich weit voraus, hat zehn Jahre Vorsprung.

STANDARD: Zurück nach Österreich. Die 2019 eingestellte Streckenführung vom Praterstern über die Schnellbahnstrecke hinaus auf die Weststrecke – kommt das wieder?

Forster: Wir planen das aktuell nicht. Der Nachfragezuwachs war zu gering, um die zusätzlichen Produktionskosten zu decken – durch die niedrige Geschwindigkeit innerstädtisch benötigt ein Praterstern-Takt um eine ganze Zuggarnitur mehr als vom Westbahnhof –, daher ist ein intensiviertes Angebot nur vom Westbahnhof wirtschaftlicher. Durch die gute innerstädtische Vernetzung sind die Kunden auch problemlos zum Westbahnhof unterwegs.

STANDARD: Bleibt das Problem mit den Verkehrsverbünden, mit denen die Westbahn traditionell auf Kriegsfuß steht. Sind Sie bei den Regionalklimatickets der Verkehrsverbünde jetzt auch an Bord?

Forster: Wir sind bereit beizutreten, aber nur wenn nach der Zahl der Fahrgäste abgerechnet wird und nicht pauschaliert. Wir sind deshalb noch nicht Mitglied des Verkehrsverbunds Ostregion, auch nicht in Salzburg. Bisher war die Aufteilung der Einnahmen abhängig vom Anteil am Gesamtangebot, also inklusive aller Regionalzüge. Das war unbrauchbar für uns und auch unfair. Wir anerkennen die Regionaltickets trotzdem bereits jetzt, denn eine Vollmitgliedschaft bleibt unser Ziel. (Luise Ungerboeck, 6.2.2022)