Der Stacheldraht wurde auf ausdrücklichen Wunsch von Landesrat Waldhäusl gespannt. Nach vier Tagen intervenierte die Kinder- und Jugendanwaltschaft und das Quartier wurde geschlossen.

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Ezat*, Mohammed* und Rohullah* wussten nicht, wie ihnen geschah. Am 26. November 2018 tauchten plötzlich zwei Männer vor den Asylquartieren auf, in denen die sie lebten, und forderten sie auf, ihre wenigen Habseligkeiten zu packen.

Ein paar Stunden später fanden sie sich in einem Quartier im niederösterreichischen Drasenhofen nahe der tschechischen Grenze wieder. Es war mit Stacheldraht umzäunt und von Securitys samt Hund bewacht. Der Ausgang war beschränkt und nur mit Begleitung des Wachpersonals erlaubt. So wie den dreien ging es an diesem Tag noch 13 anderen Jugendlichen in Niederösterreich.

Veranlasst hatte das Ganze Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ). Für ihn waren die Jugendlichen "notorische Unruhestifter" und "kriminell". Seit Dienstag steht Waldhäusl wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs vor Gericht. DER STANDARD hat recherchiert, wer die Jugendlichen sind und was aus ihnen geworden ist.

Nach Drasenhofen kamen alle 16 Burschen erst einmal in das Quartier St. Gabriel der Caritas.
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Rohullah* (20), Afghanistan: "Drasenhofen war wie ein Gefängnis", sagt Rohullah. Besonders der Wachhund und die Securitys seien furchteinflößend gewesen. "Was haben wir so Schlimmes getan, dass man uns dorthin bringt?", würde er Herrn Waldhäusl gerne fragen. In seinem Fall war es offenbar ein Video, auf dem er mit einer Schreckschusspistole hantiert, was ihn für Waldhäusl zu einem "notorischen Unruhestifter" macht. Ein Betreuer bekam das Video zu sehen, meldete es der Polizei, und die sprach ein Waffenverbot aus. Zu einer Anzeige oder Vorstrafe kam es nicht.

Heute lebt der 20-Jährige in einer eigenen Wohnung in Wien und absolviert gerade das dritte Lehrjahr als Kellner in einem Restaurant im ersten Bezirk. Danach hoffte er, dass er übernommen wird. "Mein nächstes Ziel ist der Führerschein", sagt er. Seine Familie hat Rohullah 2016 bei der Flucht aus Afghanistan an der Grenze zwischen der Türkei und dem Iran verloren und seitdem nicht wiedergefunden.

Jawad* (21), Afghanistan: "Drasenhofen war sehr schlecht. Die Griffe bei den Fenstern waren kaputtgemacht, man konnte sie nicht öffnen", erinnert sich Jawad. Heute lebt er in Niederösterreich bei seinem Paten, einem engagierten Herrn, der ihn schon seit vielen Jahren begleitet und unterstützt.

Sein Geburtsland Afghanistan hat Jawad nie gesehen. Er ist im Iran aufgewachsen. "Ich hatte dort aber keinen Aufenthaltsstatus. Wenn mich die Polizei kontrolliert, hätte ich mich entscheiden können: entweder Abschiebung nach Afghanistan oder mit dem iranischen Militär in den Syrienkrieg. Mein Vater war schon dort", sagt er. Darum habe er mit 14 Jahren allein das Land verlassen.

Als er 2016 in Österreich ankam, war er 15 Jahre alt und damit nicht mehr schulpflichtig. "Ich wäre gern zur Schule gegangen, aber ich konnte nur Deutschkurse machen", sagt der heute 21-Jährige. Mittlerweile hat er seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt. 2021 hat er subsidiären Schutz erhalten und sucht jetzt eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker. "Hauptsache, etwas mit Autos", ist sein Ziel. Mit der Polizei hatte er in seiner Jugend zweimal zu tun. Er bekam zwei bedingte Strafen, einmal wegen einer Rauferei, nach der er selbst operiert werden musste, und einmal weil er mit zwei Gramm Haschisch erwischt worden war.

Imran* (20), Afghanistan: "Man hat mir gesagt, ich soll zu Hause bleiben, morgen kommt ein Anwalt. Doch dann kamen zwei Typen, die gesagt haben, sie müssen mich mitnehmen", erinnert sich Imran an den Tag, an dem er nach Drasenhofen kam. Sein ehemaliger Betreuer bestätigt diese Vorgehensweise seitens der Landesregierung. "Wir haben gedacht, sie wollen uns dort einsperren, bis wir 18 sind, und uns dann abschieben", sagt Imran.

Mittlerweile hat er Asyl bekommen, lebt in Mödling und hat eine Zusage für eine Lehrstelle bei Hornbach. Bald wird er in Wien in eine eigene Wohnung ziehen. "Es läuft gut", sagt er über sein jetziges Leben.

Ayman* lebt heute in Deutschland.
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Qais* (20), Afghanistan: "Zwei Männer sind gekommen, die gesagt haben, sie müssen mich mitnehmen. Wenn ich nicht freiwillig mitkomme, würden sie die Polizei rufen", erzählt Qais. Wie bei den meisten der Jugendlichen wurde auch bei Qais aufgrund seiner Fluchtgeschichte eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Der subsidiäre Schutz war dem damals 16-Jährigen aberkannt worden, unter anderem wegen versuchten Ladendiebstahls, es ging um Kleidung und mehrere Dosen Red Bull – und weil er mit drei Gramm Marihuana erwischt worden war.

"Was ich gemacht habe, finde ich jetzt auch falsch, aber damals war ich ein Kind. Ich habe 40 Euro pro Monat bekommen, das hat mir nicht gereicht", sagt er heute. Als er nach Drasenhofen verlegt wurde, stand gerade sein Hauptschulabschluss in Wiener Neustadt an. "Ich durfte nicht hingehen", sagt er. Also kletterte er kurzerhand nachts aus dem Fenster und rief sich ein Taxi, um zur Prüfung zu fahren.

Mithilfe eines Anwalts ging Qais später bis zum Verfassungsgerichtshof, bekam recht und hat seinen Aufenthaltsstatus mittlerweile wieder. Heute lebt er in Wien, arbeitet als Hilfsarbeiter am Bau und sucht nach einer Lehrstelle als Elektriker. Gottfried Waldhäusl würde er gern sagen: "Machen Sie das nicht mit kleinen Kindern, jeder braucht ein bisschen Zeit, um erwachsen zu werden."

Der Weg der Jugendlichen ab Drasenhofen.
Grafik: DER STANDARD

Ayman* (20), Irak: "Seit Drasenhofen habe ich das Gefühl, dass mich bald jemand abholt und einsperrt", sagt Ayman. Auch er wurde 2018 ohne Vorwarnung von zwei Männern abgeholt. Das Quartier in Drasenhofen kannte er bereits, weil er dort schon 2015, nach seiner Ankunft in Österreich, mit seiner Familie untergebracht war – damals aber ohne Securitys und Stacheldrahtzaun. "Es war schmutzig, niemand durfte raus, ganz anders als früher", sagt Ayman.

2017 beschloss sein Vater, mit Frau und Geschwistern zurück in den Irak zu gehen. Ayman aber blieb. "Für mich war das die Chance, von meiner Familie wegzukommen. Mein Vater hat meine Mutter und mich sehr oft geschlagen, schon seit ich ein Kind war." Als nach der Schließung von Drasenhofen der zweite negative Asylbescheid kam, beschloss Ayman, nach Frankreich zu gehen. "Weil ich gehört habe, dass es dort bessere Chancen auf Asyl gibt", sagt er.

Nach eineinhalb Jahren und zwei weiteren negativen Bescheiden ging er schließlich nach Deutschland. "Ich will eine Ausbildung machen, das war schon in Österreich mein Traum", sagt er. Herrn Waldhäusl würde er gern sagen: "Meine Familie hat mir schon Probleme gemacht, Sie haben sie noch größer gemacht."

Ezat* (21), Afghanistan: Lebt heute in Niederösterreich und arbeitet in einem Pferdestall. "Ich kann gut mit den Tieren umgehen. Ich versorge sie und führe sie aus", sagt er. Vor Drasenhofen war er wegen des Verkaufs von Marihuana in Haft. "Ich bereue das sehr, es hat mir viele Probleme gemacht. Aber warum mich der Herr Waldhäusl noch einmal in ein Gefängnis schicken wollte, verstehe ich nicht", sagt er.

2021 bekam Ezat den zweiten negativen Asylbescheid. Eine Revision beim Verfassungsgerichtshof ist anhängig. "Ich wünsche mir, dass sie mir subsidiären Schutz geben, dass ich normal leben kann und für mich selber Geld verdienen kann."

Ali* (21), Afghanistan: Wie alle Burschen kam er nach Drasenhofen in das Caritas-Quartier St. Gabriel. Dort drohte er einer Mitarbeiterin und flog nach einer Woche hinaus. Kurz danach wurde er in Wien verhaftet, weil er Marihuana verkaufte. Im Oktober 2019 wurde er nach Afghanistan abgeschoben.

Mohammad* (21), Afghanistan: Ein Jahr Haft wegen eines Gewaltdelikts. Schutzstatus aberkannt, Aufenthalt unbekannt.

Mohammed* (20), Afghanistan: Hat 2021 subsidiären Schutz bekommen und lebt heute in Wien, möchte aber kein Interview geben.

Qudratullah* (21), Afghanistan: Hat im November 2020 subsidiären Schutz bekommen und lebt heute in Innsbruck, möchte aber kein Interview geben.

Emran* (20), Afghanistan: Lebt in Wien und arbeitet als Lagerarbeiter bei Amazon. 2019 hat er subsidiären Schutz bekommen. Ein Interview wollte er nicht geben.

Ajmal* (20), Afghanistan: Wurde nach Afghanistan abgeschoben.

Morteza* (20), Afghanistan: Nach zwei negativen Asylbescheiden und einer drohenden Abschiebung ging er nach Frankreich. Dort erhielt er 2021 einen Schutzstatus.

Hussam* (20), Afghanistan: Vorstrafe wegen gefährlicher Drohung gegen eine Betreuerin. Schutzstatus aberkannt, Abschiebung zulässig, Aufenthalt unbekannt.

Alex* (20), Ghana: Asylverfahren 2019 eingestellt, Aufenthalt unbekannt.

Abdul* (20), Afghanistan: Aufenthalt unbekannt.

(Johannes Pucher, 6.2.2022)