Einsam in der abgeschlossenen Blase in Peking.

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Ich habe nicht gewusst, wie sarkastisch China sein kann. "Together for a Shared Future" lautet der offizielle Slogan der Olympischen Winterspiele von Peking. Zusammen für eine gemeinsame Zukunft also. In einem Land, das ethnische Minderheiten unterdrückt und Regimegegner verfolgt. Humor haben sie, und zwar einen dunkelschwarzen. Die Winterspiele finden statt, trotz allem. Man könnte meinen: Null-Covid-Politik, daran denken doch nur Martinique und St. Lucia, mit mehr Einwohnern lässt sich das nie und nimmer machen. Im bevölkerungsreichsten Land der Welt, ja geht denn das? Seit meiner Ankunft am Pekinger Flughafen am Dienstag sehe ich: Es geht.

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Nach China zu kommen ist kompliziert. Wobei, für die 2900 Athletinnen und Athleten, deren Betreuerstäbe und Medienleute gibt es sogar Erleichterungen. Bei vollständiger Impfung entfällt etwa die 21-tägige Hotelquarantäne. Eine Akkreditierung für die Spiele ersetzt zudem das Visum.

Eigentlich reist man ja nicht nach China, man darf sich vielmehr via Charterflug in eine Blase einschleusen lassen. China nennt sie "Closed Loop System". Es gibt drei Standorte. In Peking selbst fand am Freitag etwa die Eröffnungsfeier statt, Xi Jinping war zu sehen, auch Wladimir Putin schaute vorbei. Was für schöne Bilder. In der Hauptstadt findet auch Sport statt, Curling zum Beispiel.

Spazieren verboten

Für Winterspiele wären Berge nicht schlecht. China hat sie sich 90 Kilometer weiter nördlich zurechtgeschnitzt. In Yanqing gab es vor ein paar Jahren noch ein Naturschutzgebiet. Für die Spiele hat man dessen Grenzen verschoben, das können autokratische Länder gut. Jetzt gibt es dort ein Skigebiet, an einem Ort, wo im Winter so viel Schnee fällt wie in Schladming an vier Tagen. Gleich ums Eck steht eine Bobbahn, sie kostete angeblich 2,5 Milliarden US-Dollar, dafür hat sie ein hübsches, durchgängiges Holzdach, das es sonst nirgendwo gibt. Weil es eben nie schneit, wäre das Dach aber auch gar nicht nötig.

Der dritte Standort liegt 60 Kilometer weiter nordöstlich in Zhangjiakou. Hier gibt es eine Skisprungschanze, ein Biathlonstadion, Langlaufloipen. Alles vom Feinsten, sagen Aktive aus sämtlichen Sportarten. Hier bin ich für den STANDARD im Einsatz, und hier greift das "Closed Loop System" nach mir.

Der einzige Weg, um aus meinem Hotel herauszukommen, trägt den Namen TG-Z-13. Ein Shuttlebus, er kommt alle 20 Minuten und fährt zum Pressezentrum. Aus dem Hotel raus, eine Runde spazieren, ist nicht erlaubt. Nicht weil sich bei minus 15 Grad alle sorgen, dass ich mich erkälte. Die Empathie kennt Grenzen. Jeglicher Kontakt mit der Außenwelt ist verboten. Keine Ausnahme.

Kein Schlupfloch

Lassen Sie mich eines klarstellen: Hier ist absolut niemand. Die Straßen sind leer. Alle, die hier sind, sind wegen der Spiele hier. Trotzdem: Mein Hotel ist eingezäunt, es gibt einen Schranken, der rund um die Uhr von zwei Polizisten kontrolliert wird. Kein Schlupfloch, nur die Linie TG-Z-13. Andere Journalisten wohnen so nahe beim Pressezentrum, sie können es vom Hoteleingang aus sehen. Trotzdem dürfen sie nicht die 200 Meter zu Fuß gehen, sondern müssen den Bus nehmen. Darin befinden sich vier Überwachungskameras, die Fahrerkabine ist mit einer transparenten Wand aus Plastik vom Gästebereich abgetrennt. Kommunikation mit dem Fahrer ist nicht erwünscht.

Mittwochabend, ich sitze allein in einem Shuttlebus. Huch, ein Blitz. Wie ist das möglich, wir fahren 20 km/h. Das Blitzlicht kam von oben: Zahllose Kameras sind auf Masten installiert und überwachen den Verkehr. Jedes Fahrzeug wird fotografiert.

Noch ein Beispiel aus dem Überwachungsstaat: Im Skisprungzentrum gelang mir ein Blick in einen Sicherheitsraum. Ich sah eine riesige Leinwand, unterteilt in zwölf mal 20 kleine Raster. Jedes der 240 Segmente zeigte die Übertragung einer Kamera auf dem Gelände. Hier wird alles aufgezeichnet.

Papierkram

Zurück zur Anreise. Beim Boarding wurden neben Reisepass, Flugticket und Akkreditierung zwei QR-Codes gefordert. Um die zu bekommen, musste ich im Vorfeld etliche Formulare ausfüllen. China wollte etwa wissen, zu welcher Uhrzeit ich meine erste Corona-Impfung bekam. Auch meinen fünf Jahre alten Meldezettel sollte ich hochladen. Jetzt kennen die Chinesen auch das Nordbahnviertel, vielleicht wollen sie es nachbauen, ich weiß es nicht.

Ich hätte allzu gerne fünf Minuten für ein Gespräch mit demjenigen, der diese Formulare aufgesetzt hat. Zu gern würde ich ihm die Datenschutzgrundverordnung erklären. Entweder er verstünde keine Silbe davon, was hinter diesen 26 Buchstaben steckt. Oder er würde fünf Minuten lang herzhaft lachen.

Der Flughafen in Peking war leer, nur Passagiere aus meinem Flieger und Personal in weißen Ganzkörperanzügen waren da. Nach 20 Minuten erhielt ich zwei Stäbchen. Nicht die, an die man zuerst denken könnte. Eines in die Nase und eines in den Rachen. Fünf Stunden dauerte die Busfahrt nach Zhangjiakou, im Hotel erlebte ich meinen persönlichen Donald-Trump-Moment.

Um zur Lobby zu kommen, muss man eine Rolltreppe hinunterfahren. An der Rezeption standen fünf Angestellte, sie winkten mir zu. Ich zeigte ihnen Daumen hoch, winkte zurück. Auf der Treppe vor mir stand aber nicht Melania Trump, sondern mein schwarzer, klobiger Reisekoffer.

Olympia bleibt das Größte

Die Stimmung ist angespannt in der Olympia-Blase, die Angst vor einer Quarantäne reißt nicht ab. Täglich ist ein PCR-Test Pflicht, in jedem Hotel gibt es eine Teststraße. Wohin die Tests geliefert werden, weiß keiner, es wurde nie geklärt. Es ist eine einzige Unterwerfung unter das System China.

Der österreichische Bobanschieber Markus Sammer kam kurz nach seiner Ankunft in Quarantäne, weil er zwei positive Tests ablieferte. Er hat sich Anfang Jänner infiziert, seither schwankt sein Ct-Wert. Nach zwei negativen Tests war er wieder frei, dann lieferte er wieder zwei positive ab. Und es ging zurück ins Quarantänehotel. Die Teams aus Belgien, Kanada und den USA berichten über ähnliche Fälle.

Es gibt aber auch Leute wie Lisa Eder. Sie ist Skispringerin, vor zwei Wochen trainierte sie noch in Eisenerz, seit Donnerstag ist sie in Zhangjiakou. Sie rückte in den Kader, weil zwei Teamkolleginnen infiziert sind.

Am Freitag ist Eder zum ersten Mal von der Schanze "Snow Ruyi" gesprungen. Im Auslauf stand eine Athletin, überglücklich darüber, dass sie sich nun Olympiateilnehmerin nennen darf. Olympische Spiele sind im Sport nach wie vor das Größte. Auch in China. (Lukas Zahrer aus Zhangjiakou, 5.2.2022)