Auskunftspersonen müssen ständig mit Anzeigen wegen Falschaussage rechnen, kritisiert Georg Eisenberger, Anwalt und Professor für öffentliches Recht.

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Georg Eisenberger kommt direkt von einem Prozess im Justizpalast in die STANDARD-Redaktion. Nach dem Gespräch muss der umtriebige Rechtsanwalt von Wien wieder in seine Kanzlei nach Graz – ein Weg, den er in den kommenden Monaten öfter zurücklegen wird. Denn Eisenberger begleitet im kommenden ÖVP-U-Ausschuss mehrere Auskunftspersonen. Gemeinsam mit Kolleginnen seiner Kanzlei hat er kürzlich ein Buch über das richtige Verhalten bei Befragungen veröffentlicht.

STANDARD: Herr Eisenberger, müsste ich als Auskunftsperson vor den U-Ausschuss, wozu würden Sie mir raten? Wie bereitet man sich vor?

Eisenberger: Man sollte sich ansehen, was bisher ausgesagt wurde, und die mediale Berichterstattung verfolgen.

STANDARD: Sie empfehlen also, den STANDARD zu lesen?

Eisenberger: Zum Beispiel den STANDARD, ja, das ist eine gute Idee. Den Liveticker.

STANDARD: Und im Ausschuss? Wie verhalte ich mich am besten?

Eisenberger: Die Strategie ist grundsätzlich recht einfach, und zwar: ehrlich antworten. Man sollte aber nur beantworten, was man gefragt wird, also nicht zu viel sagen.

STANDARD: Da sprechen Sie einen Punkt an. Manchmal hat man das Gefühl, es herrscht das Credo "Alles, was ich sage, kann gegen mich verwendet werden, deshalb sage ich einfach gar nichts". Ist das auch Ihr anwaltlicher Rat?

Eisenberger: Solange das Klima so wie jetzt ist, solange man bei jeder Antwort mit einem Strafverfahren wegen Falschaussage rechnen muss, rate ich den Auskunftspersonen dazu, möglichst wenig bis gar nichts zu sagen.

STANDARD: Wenn ich die Wahrheit sage, muss ich doch mit keinem Strafverfahren rechnen.

Eisenberger: Wenn man zu etwas befragt wird, das vor drei Jahren war und man keine Unterlagen bekommt, dann ist es verdammt schwer, eine Antwort zu geben, die zu 100 Prozent richtig ist.

STANDARD: Wer sich nicht erinnert, kann das ja sagen.

Eisenberger: Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass auch das für schlechte Presse sorgt. Im U-Ausschuss sollte man aber jedenfalls nur dann etwas sagen, wenn man sich zu 100 Prozent sicher ist.

STANDARD: Sollte man die Wahrheitspflicht, wie mitunter gefordert, abschaffen?

Eisenberger: Das wäre der falsche Weg. Der Wahrheitspflicht auf der einen Seite muss aber der Wille nach Wahrheitsfindung auf der anderen Seite gegenüberstehen. Derzeit ist der politische Nutzen das primäre Ziel.

Georg Eisenberger hat bereits in der Vergangenheit in U-Ausschüssen vertreten.

STANDARD: Ausschüsse sind keine Kaffeekränzchen, schreiben Sie in Ihrem Buch. Ganz im Gegenteil seien die Befragungen rechtstaatlich bedenklich. Was meinen Sie damit?

Eisenberger: Der Umgang mit der Unschuldsvermutung im U-Ausschuss ist sehr leger. Wenn sich jemand entschlägt, äußern die Abgeordneten sofort einen Verdacht. Sie halten oft lange, unterstellende Monologe. Das sind Fragen, die ein Richter in einem Gerichtsverfahren nie stellen würde.

STANDARD: Aber der U-Ausschuss ist eben kein Gerichtsverfahren, der U-Ausschuss klärt politische Verantwortung. Es gelten andere Spielregeln.

Eisenberger: Das betrifft nicht die Art der Fragen. Die Fragen sollten respektvoll sein und den Befragten nichts unterstellen.

STANDARD: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oder für öffentliche Unternehmen arbeiten, müssen sich bei Befragungen mehr gefallen lassen, das sagt auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum U-Ausschuss.

Eisenberger: Zweifellos, aber das macht unterstellende und herabwürdigende Fragen nicht besser.

STANDARD: Ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes falsch?

Eisenberger: Der Verfassungsgerichtshof ist unser höchstes Entscheidungsgremium, er kann daher nicht falsch liegen (lacht). Aber die Rechtsprechung ist zumindest problematisch.

STANDARD: Warum?

Eisenberger: Da die Abgeordneten Immunität haben, können Äußerungen von ihnen, die die Persönlichkeitsrechte verletzen, nur beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden. Wenn das Höchstgericht aber sagt, dass man sich alles gefallen lassen muss, fehlt Auskunftspersonen jeglicher Rechtsschutz.

STANDARD: Wie könnte man die Gesprächskultur denn verbessern?

Eisenberger: Welche Gesprächskultur? Aber zu Ihrer Frage: Man könnte vorsehen, dass die Fragen von Richtern gestellt werden, die sich die Abgeordneten aussuchen dürfen. Man könnte auch die Immunität der Abgeordneten bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten teilweise abschaffen.

STANDARD: Die Immunität dient dem Schutz der Abgeordneten, die Arbeit im U-Ausschuss zählt zu ihrer Kerntätigkeit.

Eisenberger: Darüber kann man diskutieren. Wenn Abgeordnete so agieren würden, wie es eigentlich vorgesehen ist, würde ich sagen, dass das stimmt. Aber es gibt keinen Grund, Auskunftspersonen zu beleidigen oder zu attackieren. Das betrifft übrigens alle Parteien. Alle sollten sich ein bisschen zurücknehmen.

STANDARD: Was halten Sie von der Idee, U-Ausschüsse live zu übertragen?

Eisenberger: Nicht viel, dann ginge es noch mehr um Brot und Spiele. Abgeordnete würden versuchen, mit den coolsten Aussagen in die Medien zu kommen. Politische Aufklärung ist extrem wichtig, aber so, wie es derzeit läuft, erfüllen U-Ausschüsse diesen Zweck nicht.

STANDARD: Was erwarten Sie sich vom ÖVP-Untersuchungsausschuss?

Eisenberger: Ich glaube, der wird schlimmer als der Ibiza-Ausschuss. Und der war schon schlimm. (Jakob Pflügl, 25.2.2022)