Schülerinnen und Schüler demonstrieren Ende Jänner gegen das Wiederaufleben der verpflichtenden mündlichen Matura in Wien.

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Ob man eine Kolumne von mir abdrucken könne, fragte die Mitarbeiterin eines Schulbuchverlags vor ein paar Tagen per E-Mail an. Aus Höflichkeit und wohl auch ein wenig aus Eitelkeit stimmte ich zu. Insgeheim brachte mich die Vorstellung, dass Gymnasiasten einen meiner alten Texte lesen müssten, zum Schaudern. Was ich vor drei Jahren über die Beziehungen der EU zu China geschrieben habe, würde ich heute nicht mehr so stehenlassen, auch nicht in einem Schulbuch. Da böten die jüngste Glosse von Konrad Paul Liessmann und die Entgegnung durch die Maturantin Magdalena Rosina Prettenthaler besseren Lesestoff. Ihre Debatte um das rechte Lernen und Lehren in der Kleinen Zeitung wird noch länger aktuell bleiben, denn die Überzeugung, dass Lernen wehtun muss, ist in unserer Gesellschaft noch viel zu stark verankert.

Fehlende Leistungsbereitschaft

Liessmann wärmte in der Polemik seine bekannten Vorbehalte gegenüber der jetzigen Maturanten-Generation und ihrer fehlenden Leistungsbereitschaft auf: Die "zukünftige Elite des Landes" wolle – Pandemie hin oder her – jeder Schwierigkeit aus dem Weg gehen. Das harmlose Aufbegehren gegen die Wiedereinführung der verpflichtenden mündlichen Matura sei ein weiteres Indiz für den kulturellen Niedergang, befördert durch eine Jugend, die nur "feucht-fröhliche Partys" und Spaß im Sinn habe.

Mehr Respekt vor der Generation

In ihrer sachlichen, unaufgeregten Replik fordert die Maturantin Prettenthaler hingegen mehr Respekt für ihre Generation. Die Pandemie und das Chaos an den Schulen haben Stressniveau und Überlastung massiv erhöht. "Prüfungsangst" kann aktuell niemand gebrauchen. Doch viel wichtiger ist ihre Forderung nach neuen Formen von Lernen und Lehre an den Gymnasien unseres Landes.

Seit Jahren betet uns Liessmann vor, dass Bildung mit "Anstrengung, Disziplin und Überwindung von Schwierigkeiten" verbunden sei und wir diese Werte vergessen hätten. Doch weder die junge Autorin noch ich bezweifeln, dass Lernen eine kontinuierliche Herausforderung bedeutet. Nur dass unser System Jugendliche eben nicht bloß herausfordert, sondern systematisch unter- oder überfordert.

Kaputtes System

In diesem kaputten System stecken viele junge Menschen ihre ganze Energie ausschließlich in die Kompensation ihrer Schwächen. Für die Entwicklung der eigenen Stärken, Talente und Leidenschaften bleibt wenig Zeit.

Selbstständiges Lernen ohne externe Anreize erfordert viel mehr Selbstdisziplin, als alles vorgekaut zu bekommen. Menschen, die gelernt haben, sich Wissen auf Basis ihrer Neugierde anzueignen, ohne Noten und ohne Druck, werden eher ein Leben lang lernen wollen.

Unsere Gesellschaft durchlebt im Zeitalter der Digitalisierung einen massiven Kulturwandel. Wissen ist jederzeit und überall verfügbar. Seine Aneignung bedarf keiner Lehrkräfte und keiner Schulen. Die Vermittlung von kritischem Denken, Orientierung und systemischem Verstehen von Zusammenhängen muss ins Zentrum rücken. Dafür brauchen wir neue Gemeinschaften des Lernens und Lehrens, die auf Anerkennung und Respekt gründen. Die junge Maturantin hat das alles treffsicher aufgezeigt und sich mit dem Haus-und-Hof-Philosophen des Landes gemessen. Ich halte das für einen Lichtblick. (Philippe Narval, 7.2.2022)