Olaf Scholz ist in den nächsten Tagen viel unterwegs. Er will in den USA erklären, dass auf die Deutschen Verlass ist.

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Das Interview war gut platziert, der Giftpfeil ebenfalls. Kurz bevor der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag zu seinem Antrittsbesuch in Washington aufbrach, musste er in der Bild am Sonntag harsche Kritik des neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz lesen.

"Diese Reise kommt zu spät. Sie wäre schon vor Wochen notwendig gewesen – und dann mit einer klaren Botschaft der wichtigsten europäischen Staaten im Gepäck", giftete Merz und kritisierte auch: "Jetzt wirkt die Reise wie der Besuch eines Bittstellers, der aus einer selbst verschuldeten Situation nicht mehr herauskommt und deshalb den großen Bruder in Washington um Hilfe bitten muss."

Er brachte auch Scholz’ großes Vorbild, den ehemaligen sozialdemokratischen Kanzler Helmut Schmidt, ins Spiel: Der wäre garantiert in dieser Situation schon in Moskau und in Washington gewesen, so Merz.

"Zauderer der Nato"

Einerseits ist dies natürlich die Rüge eines neuen Oppositionsführers, der Pflöcke einschlagen will. Doch andererseits ist Merz mit seiner Kritik nicht allein. Auch anderswo wird die deutsche Zurückhaltung im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine mit großem Unbehagen verfolgt.

"Deutschland wankt bei der Ukraine, und die Verbündeten sorgen sich", titelte die New York Times. Und in der New York Post hieß es: "Deutschland, der Zauderer der Nato mit einem tiefen und wachsenden Interessenkonflikt in Bezug auf Russland, ist das schwache Glied – und Putin weiß das leider auch."

Der Spiegel zitierte aus einer vertraulichen Mitteilung der deutschen Botschafterin in den USA, Emily Haber, nach Berlin: Deutschland gelte als "unzuverlässiger Partner" in der Russland- und China-Politik, es drohe massiver Reputationsschaden. Republikaner, so Haber weiter, sprächen regelmäßig davon, Deutschland sei "mit Putin im Bett".

Zweifel an Zuverlässigkeit

Wie sich das anfühle, wenn Verbündete so massiv an der Zuverlässigkeit Deutschlands zweifelten, wurde Scholz am Mittwoch in Berlin gefragt. Seine Antwort: "Das geschieht nicht. Unsere Verbündeten wissen ganz genau, was sie an uns haben."

Doch in den Augen der Kritiker patzte Scholz in mehreren Punkten:

Zunächst bezeichnete er die umstrittene Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland und in andere Länder in Europa bringen soll, als "privatwirtschaftliches Projekt". Erst als die Kritik immer lauter wurde, änderte er die Tonlage.

Putin soll sich "totlachen"

Doch eine klare Aussage, dass im Falle eines russischen Einmarschs in der Ukraine die Pipeline nicht in Betrieb genommen werde, scheute Scholz. Er sprach vielmehr davon, "dass es hohe Kosten haben wird und alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt".

Deutschland weigert sich mit Blick auf seine Geschichte auch, Waffen an die Ukraine zu liefern. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) versprach aber 5.000 Schutzhelme, wofür die Regierung in deutschen Medien hart gescholten wurde. "Hofft Olaf Scholz darauf, dass Putin sich totlacht? Könnte klappen!", ätzte der Münchner Merkur.

Lambrecht schließt nun die Entsendung weiterer Bundeswehr-Truppen nach Litauen nicht aus. Man sei im Gespräch. Zudem würden Eurofighter zur Luftraumüberwachung nach Rumänien verlegt. "Jeder in der Nato kann sich auf uns verlassen", so Lambrecht.

Erdoğan vermisst Merkel

Wenn Scholz sich jetzt spät – viele sagen viel zu spät – nach Washington und in der Woche darauf dann nach Kiew und Moskau aufmacht, dann tut er dies auch in eigener Sache. So mancher hatte in den vergangenen Tagen den Eindruck, der französische Präsident Emmanuel Macron habe in der EU die Federführung in der Ukraine-Krise übernommen. Er hat mehrmals mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, am Montag reist er zu einem Treffen mit ihm.

Selbst der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vermisst die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Nach seinem Besuch in Kiew sagte er: "Früher kam Merkel an und hielt den Schlüssel zur Lösung des Problems in der Hand. Eine solche Führungsfigur gibt es im Moment nicht." Dem will Scholz entgegentreten. In Regierungskreisen heißt es, dass das geheime Sanktionspaket für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine federführend von Deutschland und den USA vorbereitet worden sei. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.2.2022)