Im Gastkommentar widerspricht die Bildungswissenschafterin Barbara Herzog-Punzenberger dem ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner, der behauptete, dass der Schultyp von nachrangiger Bedeutung sei, solange das Fundament passe.

Es ist für den Lernfortschritt nicht hilfreich, eine Note von eins bis fünf auf einer Leistungsüberprüfung stehen zu haben.
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In der Debatte, wie das österreichische Schulsystem zu verbessern ist, können mehrere Faktoren genannt werden. Das streitet niemand ab. Etwas langweilig ist, wenn die Debatte über einen der Faktoren damit abgewehrt wird, dass man sagt, es gebe ja auch andere Faktoren (siehe Rudolf Taschners Replik "Kein Loblied auf die Gesamtschule" auf den Gastkommentar von Karl Heinz Gruber, "Die Unfähigkeit zu lernen"). Das hat auch niemand bestritten.

Tatsache ist, dass es nur mehr drei Länder in der OECD gibt mit derart früher Trennung der Kinder nach vermuteter Leistungsfähigkeit (zehn Jahre) und dass ebendiese nicht die besten Ergebnisse erzielen, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: in den durchschnittlichen Lese-, Mathematik- und Naturwissenschaftskompetenzen, im Anteil der Spitzenschülerinnen und -schüler und im Anteil der Risikoschülerinnen und -schüler wie insgesamt in der Chancengerechtigkeit.

Nicht bloß Benotung

Wie im STANDARD in den vergangenen Tagen deutlich zur Sprache kam, sind ja die negativen Auswirkungen des selektiven Systems besonders in der Volksschule zu spüren und deren pädagogische Praxis davon massiv beeinträchtigt. Das zeigt sich eindrücklich, wenn man die formative Beurteilung untersucht, die etwa aus der Hattie-Studie als ein entscheidendes pädagogisches Vorgehen für erfolgreiches Unterrichten und Lernen auch einer breiteren Fachöffentlichkeit bekannt ist.

Dabei geht es darum, dass es für Schülerinnen und Schüler nicht hilfreich für ihren Lernfortschritt ist, eine Note von eins bis fünf auf einer Leistungsüberprüfung stehen zu haben. Sie müssen vielmehr regelmäßige lernförderliche Rückmeldungen bekommen. Diese müssen bestimmten Kriterien entsprechen, damit sie wirken.

Ziel Lernfortschritt

Vergleicht man die Beurteilungspraktiken in Ländern mit früher und später Trennung der Schülerinnen und Schüler, so sieht man, dass in jenen mit früher Trennung, so wie Österreich, die Praxis der lernförderlichen Leistungsbeurteilung sehr schwach ausgeprägt ist. In jenen, die sich nicht mit dem Gedanken der Auslese beschäftigen müssen, wie etwa Irland oder Kanada, ist der Fokus sehr viel häufiger auf den individuellen Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler gerichtet, für den sich Lehrkräfte durchaus (mit)verantwortlich fühlen.

Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen aus der pädagogischen Praxis, die zeigen, dass die frühe Auswahl, also ein Strukturmerkmal, deutliche negative Auswirkungen auf die pädagogische Praxis hat. Sie sind unweigerlich miteinander verbunden, beeinflussen einander, und so könnte man auch feststellen, dass das Fundament in gewisser Weise eben nicht passt. (Barbara Herzog-Punzenberger, 7.2.2022)