Eine israelische Aktivistin stellt sich vor die Mauer aus schwerbewaffneten Soldaten im Westjordanland.

Foto: JAAFAR ASHTIYEH / AFP

Der Hang ist steil und rutschig, der Wind bläst ihr Regenschauer ins Gesicht, die 85-jährige Daphna müht sich dennoch hinauf. Kurz legt sie eine Verschnaufpause ein, dreht sich um und blickt zum Fuß des Hügels, wo immer mehr Menschen in Regenjacken nachdrängen. "So viele Leute, das ist schon beeindruckend", sagt Daphna.

Mehr als 400 Israelis machten sich Freitagmorgen aus Israel auf den Weg in die palästinensische Gemeinde Burin. Dort hatten vor zwei Wochen radikale jüdische Siedler palästinensische Bauern und ein paar israelische Erntehelfer der NGO "Rabbis für Menschenrechte" mit Stöcken und Steinen attackiert, ihnen Kopfverletzungen und Knochenbrüche zugefügt.

Es ist keine Seltenheit, dass die Extremisten des illegalen Outposts Givat Ronen, einer Wohnwagensiedlung an der Hügelkuppe über Burin, die palästinensischen Bauern angreifen. Es war nicht das erste Mal, dass Israelis verletzt wurden. Diesmal war der Angriff aber besonders brutal und besonders gut dokumentiert. Der Polizeiminister sprach von Terrorismus, sogar die Siedlerverbände distanzierten sich. Festgenommen wurde aber niemand.

Die Rabbis für Menschenrechte erklärten, sich nicht einschüchtern zu lassen. Mit eingegipsten Armen und Schrammen im Gesicht machten sie sich am Freitag erneut nach Burin auf, mehrere Hundert Aktivisten schlossen sich ihnen an. Vordergründig ging es darum, den Bauern beim Aufforsten jener Olivenbäume zu helfen, die die radikalen israelischen Siedler zuvor niedergebrannt hatten. Doch eigentlich geht es um viel mehr.

"Krieg um Land"

Eine 60-jährige Aktivistin aus Jerusalem steht neben einem der frisch gesetzten jungen Bäume. "Morgen werden sie ihn wieder ausreißen", sagt sie. Gerade deshalb sei es wichtig, ihn anzupflanzen. Warum? "Weil das hier ein Krieg um Land ist." Und jeder gepflanzte Olivenbaum sei ein Sieg gegen die Gewalt der Siedler.

Während die Aktivistin spricht, bilden rund zwei Dutzend israelische Soldaten mit Helmen und Sturmgewehren weniger Meter entfernt eine Mauer, um die Aktivisten am Weitergehen zu hindern. "Das ist Privatgelände", erklären die Soldaten. Rund fünfzig Meter hinter der Uniformiertenmauer stehen ein paar der Siedler. Sie lachen, rufen Slogans und filmen die Aktivisten per Teleobjektiv.

"Warum beschützt ihr diese Kriminellen und nicht uns?", ruft einer der Aktivisten, ein älterer Rabbi. "Seid ihr gekommen, um anzupflanzen oder um zu streiten?", fragt der Kommandant. Einer der palästinensischen Bauern beginnt zu schreien. "Das ist unser Land, das gehört uns, ihr habt hier nichts zu sagen!"

Die Bauern aus Burin leben vom Olivenanbau. Die Verluste infolge der mehrmaligen Verwüstungen durch die Siedler waren groß.

Spalt in der Regierung

Die Frage der Siedlergewalt droht aber auch den Zusammenhalt der israelischen Regierung zu gefährden. Der Aktion am Freitag schlossen sich auch zwei Abgeordnete der linken Regierungspartei Meretz an. Was Meretz-Abgeordneter Mossi Raz sagt, hört sich aber eher nach Opposition an: "Dieselbe Regierung, die keinen Soldaten hierhergeschickt hat, als vor zwei Wochen Israelis und Palästinenser blutig geschlagen wurden, schickt heute dutzende Soldaten, um uns aufzuhalten, wenn wir Bäume pflanzen", sagt Raz zum STANDARD. "Diese Politik ist sehr, sehr schädlich."

Die Frage der illegalen Siedlungen ist seit dem Bestehen der Sieben-Parteien-Koalition einer ihrer größten Konfliktpunkte. Die Kluft bricht auch in der Frage rund um die einige Kilometer entfernt von Burin gelegene illegale Siedlung Eviatar wieder auf: Im Frühling hatten dort Siedler binnen kurzer Zeit eine beachtliche Siedlung inklusive Stromversorgung, asphaltierter Straßen und gemauerter Häuser aufgestellt. Nach breitem Protest mussten sie abziehen, die Siedlung blieb aber.

Nun gab der scheidende Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit der Regierung grünes Licht für eine Legalisierung des Outposts. Und ließ den Koalitionsstreit rund um Eviatar wieder entfachen. "Mit uns sicher nicht", stellte Arbeiterpartei-Chefin Merav Michaeli fest, aber auch der Chef der größten Regierungspartei, Außenminister Yair Lapid, warnte Premierminister Naftali Bennett vor schweren diplomatischen Folgen, sollte Eviatar ausgebaut werden. Und nicht nur das: Es gehe dabei auch um den "Zusammenhalt der Koalition".

Debatte über "Apartheid"

Kaum Dissens gab es in der israelischen Regierung immerhin, als Amnesty International Israel vorwarf, ein "Apartheid-Regime" gegenüber den Palästinensern errichtet zu haben. Lapid sah darin eine antisemitische Attacke, seine Koalitionskollegen widersprachen ihm nicht. Die in Burin anwesenden Politiker sahen das offenbar anders. "Schluss mit der Besatzung, Schluss mit der Apartheid!", rief Meretz-Abgeordnete Gaby Lasky beim Abschluss der Aufforstungsaktion. (Maria Sterkl aus Burin, Westjordanland, 7.2.2022)