Wien – Geld oder Liebe? Wer jung, schön und einigermaßen bei Trost ist, will natürlich beides. So wie Manon. Also brennt die 18-Jährige erst einmal mit dem feschen Studenten Des Grieux durch. Später führt ihr Bruder sie dem alten Geldsack Geronte zu, der ihr kiloweise Klunker um den Hals hängt. Doch plötzlich ist Des Grieux wieder da und mit ihm die Leidenschaft und auch die Liebe zur Flucht. Die dann aber tödlich endet.
Das Schlussbild von Robert Carsens gegenwartsnaher Deutung von Puccinis Manon Lescaut (Neuproduktion 2005) ist wohl deren stärkstes: Der Kanadier lässt die Shoppingqueen Manon nicht in der Wüste, sondern unter den gleichgültigen Blicken von Schaufensterpuppen in einer Luxuseinkaufspassage sterben, quasi vor verschlossener Tür im Goldenen Quartier. Die Instagram-Welten, in denen Simon Stone den Glamourstar Violetta Valéry aus La Traviata zugrunde gehen lässt, hat es 2005 noch nicht gegeben.
Luxusbesetzung
Mit einer dreitägigen pandemiebedingten Verzögerung wurde die Manon am Freitagabend an der Staatsoper erstmals von Asmik Grigorian gegeben: eine Luxusbesetzung wie schon 2016 Anna Netrebko. Hatte Grigorian im Herbst die verhuschte Tatjana in Tschaikowskis Eugen Onegin etwas überdynamisiert gezeichnet, so gab sie die Manon als normale junge Frau. Einfach wundervoll, wie natürlich, spontan und zu 100 Prozent operndivengestenfrei Grigorian auf der Bühne agierte und wie frei die Ausnahmekünstlerin auch sang, nuanciert das unerschöpfliche Potenzial ihres Soprans in den Dienst der Figurenzeichnung stellend.
Demgegenüber setzte Brian Jagde als Des Grieux etwas einseitiger auf die von null Selbstzweifel angekränkelte Potenz seines Tenors. Was eh okay war: Majestätisch wie die Golden Gate Bridge überspannten seine mächtigen Kantilenen die Klangwogen aus dem Orchestergraben. Differenzierter im Leisen Boris Pinkhasovichs Lescaut, etwas gehemmt Artyom Wasnetsov als Geronte, agiler Josh Lovells Edmondo.
Die Selbstverständlichkeit, mit der das Staatsopernorchester Tosca oder La Bohème interpretiert, wurde bei der deutlich seltener gespielten Manon Lescaut unter der Leitung des soliden Hausdebütanten Francesco Ivan Ciampa nicht erreicht, klangschön war’s aber oft schon. Jubel für alle. (Stefan Ender, 7.2.2022)