Der 7. Februar ist im Jahreslauf der Fest- und Gedenktage nichts Besonderes. Er wird in Europa kaum wo gefeiert. Nur in der niederländischen Stadt Maastricht ist man sichtlich stolz auf diesen Tag und zeigt das im "Statenzaal" des Provinzgebäudes her. Vor genau 30 Jahren, am 7. Februar 1992, wurde dort von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft ein neuer "Vertrag zur Europäischen Union" feierlich unterzeichnet. Eine Kopie ist im Provinzparlament ausgestellt. In der Stadt weisen Kupferplättchen mit dem Euro-Zeichen im Boden darauf hin, dass damals die schrittweise Einführung der künftigen Währungsunion präzise besiegelt wurde. Ein Erfolg.

Das umfangreiche Maastrichter Vertragswerk trat am 7. Februar 1992 an die Stelle der 1957 geschlossenen Römischen Verträge.
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Wer sein Geld teilt, teilt sein Schicksal, "unwiderruflich", wie es hieß. Allein schon deshalb gilt der "Maastricht-Vertrag" als Quantensprung der Vergemeinschaftung. Er hat aus der EG – die seit Gründung als EWG 1957 im Wesentlichen eine bessere Freihandelszone mit gemeinsamer Agrar-, Montan- und Atompolitik war, die 1992 nur zwölf Mitglieder hatte – erst "die EU" gemacht. Das hat rechtlich die Basis für eine substanzielle wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Umgestaltung Europas gelegt, wie man sich das bis dahin nicht hatte vorstellen können. Es wurde ein "ewiger" Umbau.

Bei allen Fortschritten, Rückschlägen wie dem Brexit oder Lähmungen, die durch die große Erweiterung nach Osteuropa da und dort eintraten, präsentiert sich die Europäische Union bis heute als eine große politische Baustelle. Das hat interne Gründe, weil es etwa nicht gelungen ist, die Entscheidungsmechanismen für 27 Mitglieder rechtzeitig anzupassen, Institutionen zu verschlanken.

Dramatische Jahre

Es liegt aber wohl vor allem auch daran, dass die dramatischen Ereignisse nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 die Zwölfergemeinschaft auf dem falschen Fuß erwischt und völlig überfordert haben. Noch beim EG-Gipfel von Hannover 1988 hatte man sich nur die Umsetzung des Binnenmarktkonzepts und die Einführung einer Währungsunion zum Ziel gesetzt. Österreich, Schweden und Finnland stellten Beitrittsanträge.

Dann ging es aber Schlag auf Schlag. Der Revolution in Osteuropa 1989 folgte 1990 die deutsche Wiedervereinigung. 1991 begann der Krieg in Jugoslawien, Flüchtlingsdramen folgten. Ende 1991 löste sich die Sowjetunion auf, der Warschauer Pakt war schon weg. Das alles führte dazu, dass die ursprünglich auf die Wirtschaft konzentrierte EG-Regierungskonferenz ausgeweitet wurde: Nicht mehr nur der Binnenmarkt, auch der Euro und – als "Krönung" – eine politische Union waren nun das Ziel. Und fünfzehn Beitrittskandidaten standen praktisch vor der Tür.

Währungsunion klappte

Vieles von den großen Plänen ist auch nach 30 Jahren unvollendet. Im Wirtschaftsbereich lief die Integration bisher relativ gut, wenngleich die Konsolidierung der Währungsunion in der Dauerkrise mühsam ist (siehe nebenstehenden Bericht). Aber: Die EU ist wirtschaftlich eine globale Macht geworden.

Umso weniger ist es gelungen, beim zweiten großen Projekt, der "politischen Union", durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Das gilt vor allem im Sicherheitsbereich. Es wird ganz aktuell sichtbar, wie hilflos die Union und ihre 27 Staaten bei den militärischen Drohungen Russlands gegen die Ukraine auftreten. Sie sind auf Nato und USA angewiesen. Oder wie zerstritten die Staaten sind, wenn es darum geht, innere Sicherheit, Kontrollen an den Grenzen zu Drittstaaten und eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik umzusetzen: eine verunsicherte, unvollkommene Gemeinschaft.

Dabei hatte man sich gerade auf diesem Gebiet in Maastricht ehrgeizig gezeigt. Neben der ersten "Säule" Wirtschaft wurden im "Haus Europa" zwei weitere Säulen eingezogen: eine für die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik und eine dritte Säule für den Bereich innere Sicherheit und Justiz, also auch bei Polizeikooperation, Grenzsicherung, im Gerichtswesen, bei Migrationspolitik. Zug um Zug sollte die Vergemeinschaftung erfolgen, eine eigene EU-Militärpolitik wurde angedacht.

Weit weg von einer echten Integration

Angesichts dessen, dass diese Kernaufgaben jedes Staates bis 1992 praktisch ausschließlich in nationalstaatliche Kompetenz fielen (außer in der Nato), es noch kontrollierte Staatsgrenzen gab, keine Europol, nicht den Ansatz einer gemeinsamen Migrations- oder Asylpolitik, hat sich seither vieles zum Positiven verändert. Aber von einer echten Integration ist man weit weg.

Jenseits dieser "großen Politiken" hat Maastricht aber vor allem den Bürgern neue Freiheiten gebracht. Es wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt. Jeder Staatsbürger eines EU-Landes ist gleichzeitig EU-Bürger. Sie oder er hat grundsätzlich das Recht, sich in einem anderen EU-Land niederzulassen, dort – unter bestimmten Voraussetzungen – zu leben und zu arbeiten. Jede und jeder genießt den Schutz von EU-Recht. Denkt man an die Probleme, die Polen oder Ungarn im Jahr 2022 bei der Anwendung von Grundrechten und Demokratie machen, wird klar, wie weit man damals vorausdachte – auch schon an die Schaffung einer EU-Charta.

Manch eisernes Vetorecht

Dieses Prinzip von Integration wirkt seither in fast alle Bereiche hinein, nur bei Steuern oder in der Außen- oder Sicherheitspolitik haben Staaten ein eisernes Vetorecht.

Im Zuge dieser "europäischen Demokratisierung" bekam auch das Europäische Parlament, das bis dahin kaum Kompetenzen hatte, deutlich mehr Mitsprache und Mitentscheidungsrechte. Um den weiteren Ausbau zum "Vollparlament" kämpfen die Abgeordneten bis heute. Frankreich und Deutschland kündigten im Jänner einen Vorstoß an: Das Parlament solle endlich ein Gesetzesinitiativrecht bekommen. Eine "Zukunftskonferenz" tagt seit 2021, der nächste EU-Vertrag kommt bestimmt. (Thomas Mayer, 7.2.2022)