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Nicht unbedingt fußgängerfreundlich: der Straßenverkehr in der chinesischen Metropole Schanghai.

Foto: REUTERS/Stringer

Während in Wien gerade heftig über den Bau der Stadtstraße diskutiert wird, wird der Boden an vielen anderen Orten bereits mit neuen Straßen zugepflastert. Bis 2050 könnten weltweit 25 Millionen Kilometer an neuen Straßen hinzukommen – genug, um die Erde 600-mal zu umrunden.

Straßen sind so etwas wie die Adern dieser Welt: Sie versorgen Menschen mit Waren und Lebensmitteln, bringen Wohlstand und Mobilität, zerstören aber auch die Umwelt, kappen ökologische Verbindungen und sind spätestens seit der Popularität des Autos eine Gefahr für den Menschen selbst.

Konflikt bis heute

Es ist jene Ambivalenz, die Trennlinien bis in die aktuelle Politik zieht. Etwa zwischen der Industriellenvereinigung, die in mehr Straßen den Schlüssel für internationale Wertschöpfung, individuelle Fortbewegung und Arbeitsplätze in Österreich sieht. Und grünen Politikerinnen, Aktivistinnen und Umweltschützern, die darum kämpfen, neue Straßenprojekte wie den Lobautunnel oder die Linzer Ostumfahrung zu unterbinden, weil mehr Beton und Asphalt zugleich mehr Umweltschäden und CO2-Emissionen bedeuten.

Aber wie viele Straßen müssen wir in Zukunft noch bauen, wie viele müssen wir wieder aufreißen? Und können sie auch umweltfreundlich sein?

Land der Straßen

Fakt ist: Wenn es um die Dichte des Straßennetzes geht, kann kaum ein anderes Land Österreich etwas vormachen. 127.000 Kilometer Straßen durchziehen laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) das Land, mehr als 22-mal so viel wie Schienen und mehr als neunmal so viel wie die gesamte Fahrradinfrastruktur. Bei der Länge an Autobahnen und Schnellstraßen pro Person liegt Österreich im EU-Vergleich an dritter Stelle. Durchschnittlich rund zehn Prozent seines Budgets gibt eine österreichische Gemeinde laut VCÖ für den Bau, die Erhaltung und den Betrieb von Straßen aus.

Die meisten neuen Straßen werden künftig aber nicht in Österreich, sondern in anderen Ländern gebaut. Laut Expertinnen und Experten könnte sich die Länge an Straßen bis 2050 um 60 Prozent erhöhen, 90 Prozent davon werden in Entwicklungsländern errichtet. Dort soll der Straßenbau unter anderem zum Wirtschaftswachstum beitragen. Gleichzeitig haben Straßen laut Forschenden schon jetzt die globale Landfläche in 600.000 Flächen geteilt, von denen viele nicht groß genug sind, um eine intakte Tier- und Pflanzenwelt zu ermöglichen.

Zwischen Schaden und Nutzen

Straßen müssen laut Experten aber nicht immer ökologisch bedenklich sein – etwa dann nicht, wenn sie in Gegenden gebaut werden, in denen die Tier- und Pflanzenwelt bereits stark durch den Menschen reduziert worden ist. Um zu ergründen, wo Straßen den größten wirtschaftlichen Vorteil bei relativ geringem ökologischem Schaden haben, haben Forschende vor einigen Jahren eine globale Karte mit geeigneten Zonen erstellt. Diese soll Verkehrsplanern und Regierungen künftig dabei helfen, Straßen an den "richtigen" Orten zu bauen.

Grüne Zonen sind Gegenden mit hohem ökologischem Wert, großer Artenvielfalt oder Naturschutzgebiete, durch die keine Straßen verlaufen sollten. Rote Zonen sind Regionen, in denen neue Straßen zu mehr Wohlstand und einer Verbesserung der Landwirtschaft beitragen können. Schwarze Zonen sind potenzielle Konfliktgegenden, in denen sich grüne und rote Zonen überschneiden.
Foto: W. Lawrance et al./Global Road Map

Straßen: Für wen?

Mindestens so wichtig wie das Wo? ist für Expertinnen und Experten aber auch das Für wen?. Seit mindestens hundert Jahren wird in Städten überall auf der Welt über diese Frage diskutiert. Lange Zeit war die Antwort darauf klar: Straßen sind für fast alle da – von Fußgängern über Radfahrer, Kinder, Verkäufer bis zu Pferden und anderen Zugtieren.

Erst mit dem Aufstieg des Autos seien andere Verkehrsteilnehmer sukzessive vom größten Teil der Straße verdrängt worden – vor allem in den USA, schreibt etwa der amerikanische Historiker Peter Norton in seinem Buch "Fighting Traffic". Dieser Trend habe sich über die Jahre noch verstärkt: Mehr Spuren sollten Staus zu verhindern, zudem seien die Straßen breiter geworden, um Fußgänger und Radfahrer vor den immer schneller fahrenden Autos zu "schützen". Auch das Pendeln mit dem Auto in die Arbeit aus weiter entfernten Wohnorten wurde durch diesen Ausbau möglich.

Im Jahr 1906 lief der Verkehr in Wien noch wesentlich gemächlicher ab, wie diese alten Filmaufnahmen zeigen, die mithilfe einer Software nachträglich gefärbt wurden.
Rick88888888

Neue Nutzung

Erst in den vergangenen Jahren, angetrieben durch die Corona-Pandemie, die wachsende Urbanisierung und den Klimawandel, haben viele Städte wieder damit begonnen, Straßen einen breiteren Nutzen zu geben. In Barcelona etwa boomen die "Superblocks", in Paris das Konzept der "15-Minuten-Stadt". Und auch in Wien werden die Rad- und Fußgängerwege ausgebaut, zuletzt beispielsweise durch die Ankündigung eines neuen "Mega-Radhighways", der bis 2024 die Innenstadt mit der Donaustadt verbinden soll.

Während sich Umweltschützer vermehrt für den Rückbau von Straßen, eine Citymaut, den Ausbau der Öffis und teurere Parkplätze einsetzen, sehen Befürworter Straßen als wichtigen Bestandteil im Kampf gegen den Klimawandel. Denn auch Elektroautos und öffentliche Verkehrsmittel brauchen künftig Straßen, so das Argument. Zugleich sollen neue Technologien Straßen künftig umweltfreundlicher, "intelligenter" und robuster machen.

Elektrische Straßen

In Detroit, USA, will beispielsweise das Start-up Electreon bis nächstes Jahr eine 1,6 Kilometer lange elektrische Straße bauen. Auf dieser sollen E-Auto-Fahrer, die zuvor ein spezielles Empfangsgerät auf der Unterseite ihres Wagens installiert haben, ihr Auto während des Fahrens und Stehens aufladen können. Alle anderen Autos sollen die Straße wie eine normale Straße befahren können. Ähnliche Teststrecken elektrischer Straßen wurden bereits in Schweden, Italien und Israel gebaut.

Über Leiterschienen, die unter der Straße vergraben sind, soll die Energie direkt zu einem Empfangsgerät auf dem Wagen gelangen.
Foto: Electreon

Das Ziel: Sind Straßen eines Tages großflächig mit der neuen Technologie ausgestattet, soll das Reichweitenlimit von E-Autos überwunden und diesen gänzlich zum Durchbruch verholfen werden. Das Problem: Der Umbau ist derzeit noch extrem teuer, jeder Kilometer elektrischer Straße kostet mehr als eine Million Euro. Allein in Österreich müsste der Staat rund 127 Milliarden Euro investieren, um alle Straßen so umzurüsten. Hinzu kommt, dass viele Menschen selten länger unterwegs sind, als es die Batterieladung des Autos ohnehin schafft. Stattdessen könnten elektrische Straßen laut Experten künftig eher für Fahrzeuge eine Rolle spielen, die lange unterwegs sind, wie etwa Lastwagen, Busse oder Taxis.

Durchlässiger Asphalt

Auch für die Folgen des Klimawandels sollen Straßen künftig besser gewappnet sein. Sogenannte Schwammstraßen sollen Wasser besser durchlassen und somit Überschwemmungen vorbeugen. Dabei wird beispielsweise wasserdurchlässiger Asphalt verwendet oder das Pflaster begrünt.

Eine weitere Möglichkeit wäre es laut Forscherinnen und Forschern, Straßen so zu bauen, dass sich die Materialien bei Bedarf schnell entfernen und wieder neu zusammensetzen lassen. Wie das aussehen kann, hat vor einigen Jahren das zum Google-Mutterkonzern Alphabet gehörende Stadtplanungsunternehmen Sidewalk Labs gemeinsam mit Architekten getestet. Einzelne Pflastersteine dieser "dynamischen Straße" sollen sich binnen Minuten zu neuen Flächen zusammenstellen lassen, um im Lauf eines Tages unterschiedliche Nutzungen, wie etwa als Autofahrspur, Fahrradweg, Kinderspiel- oder Marktplatz, zu ermöglichen.

Bis es so weit ist, werden aber wohl oder übel noch viele weitere konventionelle Straßen gebaut werden – vor allem an jenen Orten, an denen es bisher noch nicht ausreichend davon gibt. Bleibt nur zu hoffen, dass sie Menschen und Natur dann eher verbinden als trennen. (Jakob Pallinger, 9.2.2022)