Alles neu bei Mraz und Sohn, sogar das Essen ist mit dem Umbau noch einmal besser geworden.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Na gut, ein wahrer Gourmettempel wie das Steirereck oder die alpinbarocke Trutzburg Obauer wird aus dem Mraz und Sohn in der Brigittenau nicht mehr. Das frühere Hacklerwirtshaus liegt halt im Arbeiterbezirk mit dem zweithöchsten Ausländeranteil der Hauptstadt und empfängt seine Gäste mitten in der Küche. Eines muss man dem Michelin-Guide schon lassen: Dass neben Protzpalästen wie dem Coburg auch eine so peripher repräsentationsfähige Hütte alle Jahre wieder mit zwei Sternen ausgezeichnet wird – und zwar, obwohl sich Lukas Mraz bei jeder Gelegenheit über das aufgeblasene Gourmetmännchen lustig macht –, deutet doch auf gewisse Restbestände von gutem Geschmack zwischen all den Schwimmreifen hin.

Très chic

Die Küche mit der Schank, Küchentisch und schummrig erleuchtetem Dry-Age-Altar (zur Zeit mit einer Duroc-Mangalitza-Sau von Richard und Beate Triebaumer als Allerheiligstem) ist ja schon vor ein paar Jahren schön gemacht worden. Jetzt waren auch die Gasträume dran. Die zeitgenössische Kunst ist wie gehabt von Corbin Shaw, Manuel Mraz, Richie Culver, Erwin Wurm (Essiggurkerl), Martin Grandits (Leberkassemmerl) und Paa Joe (Overnoy-Sarg), alles andere kam aber neu. Die KLK-Architekten verordneten dem zuletzt schon etwas angejahrten DIY-Ambiente eine gründliche Schlammkur. Darf man durchaus wörtlich verstehen: Die Wände wurden mit Lehm verputzt, die Fenster- und Türstöcke kamen neu aus Rohstahl, die Decke strahlt in Kontrast zu all den heimeligen Erdtönen hell in sägerauer Fichte. Dazu wurden neue Behältnisse von Keramikkünstlern wie Matthias Kaiser und Onka Allmayer-Beck sowie edel vulgäre Spisolini Chairs von Andreas Engesvik angeschafft, die Mraz bei Philip Rachinger abgeschaut hat – très chic das alles, sehr roh und pur, ein bisserl punkig und saugemütlich noch dazu.

Die Küche, der Service und die flüssige Betreuung durch Über-Sommelier Thomas Reither (alle in army-grünen Kitteln) wirkt von der neuen Umgebung auch recht inspiriert und hat nochmals zugelegt. Große Erlebnisse kann man hier haben. Dass sie, wie der Shrimpscocktail aus rohen, kroatischen Wildgarnelen mit wild am Gaumen flirrender Sriracha-Mayo, Zitrusdressing und Rettich mit einer ans Beiläufige grenzenden Unaufgeregtheit an den Tisch gebracht werden, steht in wohltuendem Kontrast zum pfauenhaften Gestelze, mit dem das Essen in heimischen Nobelhütten sonst gern aufgetragen wird.

Schädelschnitzel

Tonkatsu vom Triebaumer Sauschädel und -nacken ist noch so ein Glücksbringer von Gericht, schlabbrig und zart, knusprig und klar, mit hyperscharfem, japanischem Senf und einem Mayosalat aus Schwarzwurzel und fermentiertem Spargel. Das Schwein darf gleich mehrfach aus dem Schrein beim Eingang, etwa als Mett (huch, ganz roh!), im Schwarzkohlblatt und einem irrsinnig guten Apfeldressing, das den Teller wie ein Sonnenstrahl aus einer besseren Galaxie erhellt – siehe Bild.

Mett im Schwarzkohlblatt mit irrsinnig gutem Apfeldressing
Foto: Gerhard Wasserbauer

Krenfleisch, in einem Sud, der durch gegrillte Messermuscheln Kontur bekommt, hat neben böswillig scharfem Kren und subtil vietnamesisch inspiriertem Würzkick auch ein ganzes Schüppel Kräuter mit auf den Weg bekommen – und eine halbe Calamansi aus der Schlossorangerie von Schönbrunn, deren saure Exotik man sich bei Tisch hineinpressen darf: ein Topf fetten Glücks, weiß wie der Winter, heiß und köstlich wie das Versprechen eines nahen Frühlings.

So geht es dahin, eine nicht enden wollende Kaskade kleiner und großer Köstlichkeiten, immer überraschend, niemals prätentiös, ganz selten übers Ziel hinausschießend. Und manchmal – wie im Fall der Cremeschnitte mit jahrelang gereiftem Haselnuss-Miso und Apfellack – so geil, dass man den Mraz-Buben die Füße küssen möchte. Also, quasi halt. (Severin Corti, RONDO, 7.2.2022)