Katta Spiel: "Man sollte Menschen den Freiraum lassen, sich selbst so zu bezeichnen, wie sie das möchten, aber auch Rücksicht auf andere zu nehmen."

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Formen geschlechtersensibler Sprache entwickeln sich laufend weiter. Queere und nonbinäre Menschen fordern sprachliche Sichtbarkeit außerhalb der binären Norm von männlich/weiblich ein. Das birgt auch Herausforderungen für technische Anwendungen wie Übersetzungstools. Katta Spiel, Wissenschafter:in an der TU Wien, im Interview über geschlechtsneutrale Sprache und den zähen Kampf um Veränderung.

STANDARD: Online-Übersetzungstools werden immer beliebter, geschlechtergerechte Sprache liefern sie jedoch nur selten. Was steht dem im Weg?

Spiel: Übersetzungsprogramme lernen von großen Korpora, also von großen Textmengen. Und es gibt immer noch wenig Texte, die geschlechtergerecht formuliert wurden. Programme können nur von existierenden Texten lernen, man füttert sie nicht mit eigens Geschriebenem. Und diese Texte haben eben immer schon ein Bias und bilden damit bestimmte Vorannahmen mit ab. Gesellschaftliche Realitäten spiegeln sich in unserer Sprache wider – und man verstärkt sie weiter, indem sie immer wieder reproduziert werden.

STANDARD: Auch viele Medien verwenden inzwischen geschlechtersensible Sprache. Die Rechtschreibprüfung in Microsoft Word markiert es aber immer noch als Fehler, wenn ich "Verkäufer:innen" oder "LeserInnen" schreibe.

Spiel: Wie wir Technologie gestalten, hat einen Einfluss darauf, wie wir Inklusivität mitdenken – oder eben nicht. Das ist ein ganz gutes Beispiel dafür. Wenn Word mir genderfaire Sprache als Rechtschreibfehler anzeigt, dann wird eben auch kommuniziert: Das ist nicht so, wie es sich gehört, das liegt außerhalb der Norm. Gerade auf Menschen, die vielleicht zum ersten Mal andere Sprachformen ausprobieren, kann das stark wirken.

STANDARD: Um nichtbinäre und queere Menschen in der Sprache sichtbar zu machen, werden zunehmend geschlechtsinklusive Formen, zum Beispiel Leser:innen, oder noch weniger bekannte geschlechtsneutrale Formen, zum Beispiel Lesens, verwendet. Wofür plädieren Sie?

Spiel: Ich tendiere selbst zu geschlechtsinklusiver Sprache. Aber es gibt durchaus Kontexte, in denen geschlechtsneutrale Formen Sinn machen. Vor allem dann, wenn man nichts über die betroffenen Personen weiß. Bei Minderheitengeschlechtern ist es außerdem oft so, dass Menschen nicht geoutet werden wollen. Ich finde also, es braucht beide Möglichkeiten. Geschlechtsneutrale Sprache ist auf jeden Fall etwas völlig anderes als das generische Maskulinum, sie macht Neutralität explizit.

STANDARD: Sie haben sich in einem Forschungsprojekt mit der Geschlechterabfrage von Unternehmen und Institutionen beschäftigt – nichtbinäre Menschen konnten selten ihr Geschlecht korrekt angeben. Passiert hier ein Umdenken?

Katta Spiel forscht an der Technischen Universität Wien an der Schnittstelle von Informatik, Design und Kritischer Theorie.
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Spiel: So langsam tut sich etwas. Letztens habe ich eine E-Mail bekommen mit der Anrede "Hallo keine Angabe Katta Spiel". Wenn solche unbeholfenen Dinge passieren, finde ich das durchaus amüsant. Im direkten Kontakt ist es auf jeden Fall besser geworden. Menschen verstehen es, wenn ich sage: Bitte nenn mich nicht Mann oder Frau, das stimmt einfach nicht. Meinem Eindruck nach ist es auch in Formularen immer öfter möglich, keine Angabe zum Geschlecht zu machen oder eine nichtbinäre Auswahl zu treffen. In Wien habe ich mich nachdrücklich darüber beschwert, dass ich keine Impfung unter meinem richtigen Geschlecht bekommen konnte – bei der zweiten Impfung war es dann möglich. Diese Sichtbarkeit, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, finde ich enorm wichtig.

STANDARD: Über verschiedene Formen geschlechtergerechter Sprache wird oft heftig debattiert. Sollten sich Institutionen wie Universitäten einen verbindlichen Leitfaden geben?

Spiel: Ich würde sagen, es braucht sowohl einen Leitfaden als auch Raum für Flexibilität. Man sollte Menschen den Freiraum lassen, sich selbst so zu bezeichnen, wie sie das möchten, aber auch Rücksicht auf andere zu nehmen. Sprache befindet sich in einem permanenten Wandel, und auch in Sachen Geschlecht wird vieles erst ausgehandelt. Dennoch ist es hilfreich, einen Leitfaden zu erstellen. Auch damit man sich überhaupt einmal Gedanken darüber macht, wie man sich präsentieren will. Wenn ich an der Universität Menschen darauf hinweise, dass sie mich falsch angesprochen haben, gibt es auch schon mal pampige Kommentare: "Ich habe das jetzt vierzig Jahre so gemacht, Entschuldigung, dass es länger dauert, mich umzugewöhnen." In solchen Fällen ist ein Leitfaden äußerst nützlich.

STANDARD: Das Binnen-I oder geschlechtsneutrale Pronomen sorgen regelmäßig für wütende Kommentare. Warum emotionalisiert geschlechtergerechte Sprache so?

Spiel: Sprache ist ein Ausdruck von Identität – deshalb ist sie ja auch so wichtig. Ich selbst komme aus einem niederbayerischen Dorf und merke schon, dass Geschlechterbinarität dort eine sehr strukturierende Funktion hat. Die Leute wissen, was Männer und was Frauen machen. Aber sie wissen nicht, welche Regeln für mich gelten sollen. Rollenzuschreibungen können auch Sicherheit und Halt geben. Und dann greift man diese Struktur an, von der viele glauben, die sei gar nicht verhandelbar. Ich denke, das macht es so emotional. Damit möchte ich jetzt kein diskriminierendes Verhalten entschuldigen, ich denke, es ist allen zuzumuten, sich damit auseinanderzusetzen. Mich verletzt es natürlich auch persönlich. Umso angenehmer ist es zu sehen, dass viele Menschen sich wirklich bemühen. Und versuchen, einen Weg zu finden, der meine Existenz und Realität wahrnimmt. (Brigitte Theißl, 8.2.2022)