In internationalen Konflikten haben US-Präsidenten schon oft erklärt, dass "alle Optionen auf dem Tisch liegen". Zum einen sollte der Satz einen Spielraum abstecken, der zu nichts verpflichtete, aber auch nichts ausschloss. Zum anderen war er natürlich stets eine Drohung: an die Mullahs im Iran, an den Diktator in Nordkorea, an den Machthaber in Syrien.

Die 82nd Airborne Division der US-Armee ist zwar in Polen stationiert, doch an Kämpfen wird sie mit Sicherheit nicht teilnehmen.
Foto: EPA / Darek Delmanowicz

"All options are on the table": In der Ukraine-Krise können sie aber schon deshalb nicht zum rhetorischen Repertoire von Joe Biden gehören, weil eben nicht alle Optionen auf dem Tisch liegen. Biden hat ausgeschlossen, Soldaten nach Kiew, nach Charkiw, in die Nähe des Donbass oder der Krim zu verlegen.

Die USA werden keinen Krieg mit Russland, kein direktes bewaffnetes Eingreifen in der Ukraine riskieren. Darin herrscht weitgehende und parteiübergreifende Einigkeit. Bemerkenswert, weil es sonst kaum etwas gibt, worauf sich Demokraten und Republikaner einigen können.

1990/91 ist nicht 2022, ...

Ein Szenario wie 1990/91 scheint 2022 nicht denkbar zu sein. Damals organisierte George Bush senior eine breite Koalition, die das von Saddam Hussein besetzte Kuwait befreite, obwohl Kuwait nicht Mitglied der Nato war und die Beistandspflicht folglich nicht galt.

Dass sich die Causa Ukraine von jener des Golfkriegs unterscheidet, einmal angenommen, Putin gäbe tatsächlich den Angriffsbefehl, hat natürlich mit der militärischen Stärke der Nuklearmacht Russland zu tun. Aber eben auch mit der Stimmung der US-Öffentlichkeit. Die restlos ernüchternden Einsätze im Irak und in Afghanistan haben zu einer ausgeprägten Skepsis gegenüber Auslandseinsätzen geführt. Nach einer Umfrage des Instituts Yougov beantworten gerade einmal 35 Prozent die Frage, ob die USA zur Anwendung militärischer Gewalt bereit sein müsste, um die Ukraine zu verteidigen, mit einem Ja.

Senator Chris Murphy, Demokrat, ist sicher, dass eine Mobilisierung in Dimensionen, wie man sie im Irak und am Hindukusch erlebt hat, keine Chance auf Unterstützung haben würde. Dessen Kollege Rob Portman, Republikaner der alten Schule, klingt kaum anders: GIs in der Ukraine? Das stehe nicht zur Debatte, "weder bittet uns die Ukraine darum, noch redet irgendjemand darüber". Konservative Hardliner verlangen zwar sofortige Wirtschaftssanktionen gegen Russland, während Biden diese nur für den Fall anpeilt, dass die Ukraine angegriffen wird. Doch wenn es um Streitkräfte geht, reden auch sie lediglich von einer Aufstockung des US-Kontingents in osteuropäischen Nato-Ländern – und nicht von einer Entsendung in die Ukraine.

Rechte Republikaner und linke Demokraten: So konträr ihre innenpolitischen Ansichten sein mögen, sie argumentieren außenpolitisch fast deckungsgleich. Für die Rechten steht Senator Josh Hawley, ein treuer Anhänger Donald Trumps, der nicht nur die Ukraine als eine Art Klotz am Bein empfindet, sondern die Rolle der USA in Europa generell reduzieren möchte. Vor wenigen Tagen schrieb er einen Brief an Außenminister Antony Blinken, um einen Rückzieher zu fordern: Biden dürfe einen Beitritt der Ukraine zur Nato nicht länger befürworten.

... und auch 2008 ist lang vorbei

Die Welt des Jahres 2008, als Kiew die Nato-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde, gebe es 2022 nicht mehr, argumentiert Hawley. Heute müsse sich Washington auf den indopazifischen Raum konzentrieren, wo China den Zugang der USA zu einigen der wichtigsten Märkte der Welt einschränken könnte. "Die USA können die schwere Bürde, die sie einst in anderen Regionen trugen, heute nicht mehr auf sich nehmen." Ähnlich sieht es der Abgeordnete Ro Khanna, der dem linken Flügel der Demokratischen Partei zuzurechnen ist: Man könne Sanktionen beschließen und eindeutig gegen Putins Aggressivität Stellung beziehen, schrieb er in einem Tweet. Aber im Interesse der nationalen Sicherheit dürfe man sich nicht in einem Konflikt verheddern, "der uns gegenüber China nur schwächen würde".

Worauf Josh Rogin von der Washington Post antwortete, man würde China wohl nur ermuntern, sich Taiwan einzuverleiben, sollte man sich Russland in der Ukraine nicht in den Weg stellen. Replik Khannas: Taiwan lasse sich unmöglich mit der Ukraine vergleichen: Der Inselstaat sei ungleich stärker mit der amerikanischen Wirtschaft verflochten. (Frank Herrmann, 8.2.2022)