Kaum sind wissenschaftliche Erkenntnisse in die öffentliche Wahrnehmung gedrungen, wonach es vielen jungen Menschen derzeit wirklich schlecht geht – überlastete Kinder- und Jugendpsychiatrien, depressive Symptome bei der Hälfte der unter 25-Jährigen –, schon hat sich eine neue Front gebildet.

Diese hat sich der systematischen öffentlichen Herabwürdigung und Verunglimpfung der Jungen verschrieben. Kernbotschaft: Die wollen nichts. Die können nichts, nicht einmal ordentlich lesen und schreiben. Die halten nichts aus. Und Leistung ist sowieso ein Fremdwort.

Neuerdings mokieren sich auch Kolumnisten darüber, dass heutzutage Lernen Freude machen müsse und der notwendige Druck fehle. In der "Kronen Zeitung" am vergangenen Wochenende wurden die Schüler, die nicht gut lesen und schreiben können, an den Pranger gestellt.

Das Bildungsniveau war nie höher als heute.
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Vorboten dieser Front sind schon länger unterwegs, etwa in Form der deutschen Betriebswirtschaftsprofessorin Evi Hartmann mit ihrem Buch "Ihr kriegt den Arsch nicht hoch". Mittels Titulierung der Jungen als "Generation Schneeflocke". Oder in Form von Firmenchefs, die den Jungen medial ausrichten, dass sie mit 15 Jahren für keine Lehrausbildung taugen, weil sie nichts können. Später, als Kandidatinnen und Kandidaten für einen Job, kriegen sie oft nicht einmal eine Absage auf ihre Bewerbung.

Das ist eine absurde Verkehrung der Wirklichkeit, die Opfer zu Tätern machen will. Die mächtigen Vertreter des Systems sagen den machtlosen Kindern, dass sie alles falsch machen, dass sie in einem System verlieren, das sie selbst nicht beeinflussen können, dem sie unterworfen sind. Dieser Logik folgend müssten auch die Armen schuld daran sein, dass sie immer ärmer werden.

Dramatische Folgen

Tatsache ist allerdings, dass, wer die Macht hat, auch die Verantwortung trägt. Etwa für die schon so lange bekannte Krise im Bildungssystem, das fast ein Drittel der Kinder abhängt. Was da an dramatischen Folgen erwächst, hat die Pandemie nun sichtbar gemacht.

Die Märchen mancher Vertreter der älteren Generation, wonach früher alle leistungsbereiter, gebildeter und strebender gewesen wären, sind schlichtweg falsch. Das Bildungsniveau war nachweislich nie höher als heute. Nicht nur gemessen an Akademikerquoten, sondern betrachtet nach Berufsinhalten. Kein einziger Lehrberuf kommt heute ohne digitales Know-how aus. Aufnahmeprüfungen und Exmatrikulation bei mangelndem Studienerfolg waren den heute Älteren nicht so vorgegeben wie den heutigen Jungen.

Überall perfekt zu sein – vom Körperbild bis zum Freundeskreis, in aller Öffentlichkeit gepostet: Diese Vorgaben hat es noch nie gegeben, um überhaupt ein kleines Plätzchen in der Gesellschaft zu ergattern. Junge müssen und wollen überall optimiert sein. Ihr Leistungsbegriff dehnt sich weit über den Job hinaus aus. Junge Männer haben beispielsweise auch den Anspruch, wirklich präsente, gute Väter zu sein und nicht den Frauen die ganze unbezahlte Arbeit zu überlassen. Jungen Frauen reicht es nicht, nur im Hintergrund zu dienen.

Respektvolles Miteinander ist keine Einbahnstraße. Wenn wir Junge in die Verweigerung verlieren, dann sollten wir, die das Sagen haben, uns viele unangenehme Fragen stellen.(Karin Bauer, 8.2.2022)