Die Zunahme von Hitzetagen, Dürren und Überflutungen könnte das Wahlverhalten in Europa zunehmend beeinflussen, berichtet ein Forschungsteam.
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Heute schon die Klimakrise gespürt? Ziemlich wahrscheinlich ja. Tausende Studien liefern den Beleg dafür, dass sich das Klima in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Doch die Krux am Klimawandel ist auch, dass die Veränderungen so langsam und schleichend passieren, dass sie die meisten kaum als akute Gefahr wahrnehmen.

Bewusstsein für die Klimakrise können persönliche Erlebnisse mit Hitze oder extremen Wetterereignissen schaffen – das hat die Forschung bereits in der Vergangenheit gezeigt. Je mehr Wetterextreme jemand erlebt, desto höher ist das Umweltbewusstsein. Laut Eurobarometer-Umfrage sahen im Jahr 2002 noch weniger als fünf Prozent der Menschen in Europa Umweltfragen als Top-Priorität für ihr Land an, im Jahr 2019 waren es dreimal so viele. Nur: Schlägt sich dieser Sinneswandel auch im Wahlverhalten nieder? Dafür fehlte es bislang an stichhaltigen Belegen.

Ein internationales Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung hat nun eine Antwort gefunden. Es ist die bislang umfangreichste Analyse, um Korrelationen zwischen Wetterdaten und Wahlverhalten in Europa festzustellen. Konkret haben die Forschenden 42 Eurobarometer-Umfragen mit über einer Million Befragten zwischen 2002 und 2019 für europäische Länder herangezogen sowie die Wahlergebnisse der sechs Europawahlen von 1994 bis 2019 für 28 Länder.

Umfangreiche Daten

"Die Wahldaten kann man erstaunlicherweise nicht einfach für ganz Europa auf regionaler Ebene herunterladen", sagt Co-Autor Jonas Peisker vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. Das Forschungsteam musste die Daten erst einzeln bei den Behörden erfragen und aufbereiten.

Genau dieser Teil war laut Peisker auch die zeitaufwendigste Aufgabe der Studie, an der die Forschenden insgesamt rund zwei Jahre gearbeitet haben und die in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature Climate Change" publiziert wurde.

Das umfangreiche Zahlenmaterial mache deutlich: Die unmittelbare Erfahrung von extremen Temperaturen und Dürren habe zu einer Stärkung des Umweltbewusstseins geführt, sagt Studienautor Roman Hoffmann vom ?Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Das wiederum trage dazu bei, dass mehr Menschen grüne Parteien wählten.

0,8 Prozentpunkte pro Hitzetag

Korrelation entspricht freilich nicht automatisch Kausalität. Die Forschenden sehen im konkreten Fall aber trotzdem einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Wetterdaten und Wahlverhalten. Bei der Analyse hat das Team nämlich andere Faktoren herausgerechnet. Dazu zählten etwa das durchschnittliche Umweltbewusstsein einer Region oder europaweite Trends.

Vermehrte Hitzetage korrelieren mit höherem Umweltbewusstsein.
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Der Einfluss von Klimaextremen auf das Wahlverhalten ist beträchtlich: Ein zusätzlicher ungewöhnlich warmer Tag in jedem Monat lässt die Umweltbesorgnis sowie die Zustimmung zu grünen Parteien um jeweils 0,8 Prozentpunkte steigen. "Angesichts der erheblichen Temperaturanomalien, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, kann dies kommende Wahlergebnisse zunehmend beeinflussen", sagt Hoffmann.

Ein weiteres überraschendes Ergebnis der Studie ist, dass die Sorge um den Klimawandel alles andere als einheitlich in Europa verteilt ist. "Wir stellen fest, dass das Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren hauptsächlich in West- und Nordeuropa angestiegen ist, während wir in Süd- und Osteuropa zwar auch einen leichten Anstieg verzeichnen, allerdings weniger deutlich und auf einem niedrigeren Niveau", sagt Peisker.

Nord-Süd-Diskrepanz

Die Forschenden ziehen daraus den Schluss, dass etwa südeuropäische Länder bereits besser an Dürre angepasst sind als nördliche Länder. Ungewöhnliche Temperaturen beeinflussen den Urnengang daher in wärmeren Regionen weniger stark als in solchen mit moderatem Klima.

Auch ökonomische und demografische Faktoren scheinen eine Rolle in Sachen Klimabewusstsein zu spielen. Wohngegenden mit höherem Einkommen reagieren sensibler auf Dürre und Temperaturanomalien als einkommensschwache Gebiete. Zudem stellten die Forschenden fest, dass Regionen mit mehr Landwirtschaft, einer besser gebildeten Bevölkerung sowie einem höheren Anteil junger Menschen stärker von den Weltereignissen beeinflusst werden.?

"Die Idee kam uns bei den letzten Europawahlen, wo grüne Parteien sehr gut abgeschnitten haben", sagt Peisker, "wir haben uns gefragt, woran das liegen könnte." Dabei hat die Forschenden auch die Frage umgetrieben, welche Faktoren die Priorisierung von Umwelt- und Klimapolitik antreiben können. "Diese Erkenntnisse haben wichtige Auswirkungen auf die aktuellen Bemühungen, Klimaschutz im Einklang mit dem Pariser Abkommen zu fördern. Sie unterstreichen die Notwendigkeit für inklusivere und besser illustrierte Kommunikation von Klimapolitik."

Erfahrung wirkt besser als Wissen

Letztlich legt die Arbeit auch ein wenig frei, wie wir ticken, wenn es um die Einschätzung langfristiger Gefahren geht. Für Peisker stellt sich etwa die Frage, warum es überhaupt außergewöhnlicher Wetterereignisse bedarf, um das Wahlverhalten zu beeinflussen. "Rein rational betrachtet wissen wir ja alle, dass der Klimawandel stattfindet."

Die Ebene der Rationalität ist allerdings nicht allein ausschlaggebend beim Abwägen von Alternativen. "Emotionale Erfahrungen sind wesentlich präsenter als das rationale Zur-Kenntnis-Nehmen einer Statistik", sagt Peisker.

Auch aus diesem Grund scheint unsere Spezies nicht sehr begabt darin zu sein, präventive Maßnahmen zu treffen, um Gefahren vorzubeugen, die uns in der Zukunft bevorstehen.

Stärken könnten Wetterextreme also ausgerechnet jene Parteien, die solche mit ihrer Politik eigentlich verhindern wollen. Zumindest wenn es am Wahltag nicht regnet. Frühere, wenn auch kleinere Studien hätten nämlich gezeigt, dass sich vor allem konservative Wählerinnen und Wähler trotz Schlechtwetters an die Urne begeben. (Tanja Traxler, Philip Pramer, 7.2.2022)