"Historisch" gilt als eines der abgegriffensten Adjektive, die in journalistischen Schnellschüssen für alle möglichen Anlässe benützt werden. Es gibt aber Situationen, wo man es zu Recht sogar verwenden sollte. Die Phrasen der Heuchler über die friedensstiftenden Olympischen Winterspiele kann man ruhig vergessen, aber der gemeinsame Auftritt von Wladimir Putin und dem Gastgeber Xi Jinping, ihre aggressiv formulierte gemeinsame Erklärung, geschmückt mit weltumspannenden Fernsehbildern der "alten Freunde" (so wörtlich Xi Jinping), vermitteln die drohende Botschaft von dem Schulterschluss der beiden Autokraten.

Die Staatschefs Xi Jinping und Wladimir Putin.
Foto: imago images/Xinhua

Wer erinnert sich noch an die bewaffneten Konflikte 1969 um eine Insel im Ussuri-Fluss an der 4300 Kilometer langen gemeinsamen Grenze oder an die Flut von Büchern über den erbitterten Moskau-Peking-Streit um den rechten Weg zum Kommunismus? Heute könnte man höchstens darüber diskutieren, in welcher Hauptstadt es mehr Dollarmilliardäre gibt.

Dass in China die hundert Jahre alte Kommunistische Partei mit 95 Millionen Mitgliedern formell das Machtmonopol hat, während in Russland die KP der Russischen Föderation formell die Rolle einer ambivalenten und schwachen Opposition gegen Putins Staatspartei darstellt, spielt bei der neuen weltpolitischen Weichenstellung keine Rolle. Die Entscheidungen treffen die beiden alternden Alleinherrscher, der 68-jährige Xi Jinping und der um ein Jahr ältere Putin, solange sie, gesundheitlich bedingt, an der Spitze bleiben können.

Hüter der Unabhängigkeit

Die gemeinsame Erklärung der beiden Staatschefs, die sich seit 2013 38-mal getroffen haben, spiegelt ihr Streben nach der Ablöse des US-geführten Westens durch eine neue Weltordnung. Die Diktaturen präsentieren sich unverschämt als Vertreter des "universellen Wertes der Demokratie" und Hüter der Unabhängigkeit der Länder vor der Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten mit Ruf an die Nato, "ihre ideologisierten Kalter-Krieg-Ansätze" aufzugeben. In ihren Augen ist der Westen zerstritten und dekadent, die USA innenpolitisch gelähmt. Ein günstiger Moment, ihre großen geopolitischen Projekte Taiwan und die Ukraine, in welcher Form immer, in ihre Einflusssphären wieder einzugliedern.

Vor genau fünfzig Jahren symbolisierte die China-Reise des US-Präsidenten Richard Nixon einen Durchbruch in der Weltpolitik und einen taktischen Sieg gegen die Sowjetunion. Heute erlebt die Welt eine besorgniserregende Kehrtwende. Auch viele westliche Geschäftsleute bewundern die von bestochenen Ex-Politikern, publizistischen und akademischen Helfern geförderte Attraktion des Autoritären.

Inzwischen hat allerdings ein Rollenwechsel zwischen den beiden Partnern stattgefunden. Als Präsident Michail Gorbatschow 1989 Peking besuchte, war die sowjetische Wirtschaft noch stärker als die chinesische. Dreißig Jahre später ist die russische Wirtschaft, gemessen am BIP und nach Kaufkraftparität, nur noch ein Sechstel der chinesischen! In der gefeierten strategischen Partnerschaft ist Russland heute nur ein "Juniorpartner". Das vermindert aber keineswegs die Gefährlichkeit der doppelten weltweiten Herausforderung durch China und Russland. (Paul Lendvai, 8.2.2022)