Die Verordnung zum Impfpflichtgesetz ist Montagnachmittag im Hauptausschuss des Nationalrats mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen beschlossen worden. Ebenfalls am Montag ging der erste Antrag zum Gesetz beim Verfassungsgerichtshof ein.

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Fast auf den Tag genau auf dem Höhepunkt der Delta-Welle verkündete die Regierung die Impfpflicht: Beinahe 16.000 Neuinfektionen wurden da gezählt, die Intensivstationen waren mit mehr als 500 belegten Corona-Betten übervoll. Heute ist die Lage anders: Zwar waren die Infektionszahlen am Montag mit 27.299 fast doppelt so hoch wie damals, in den Covid-Intensivstationen liegen aber deutlich weniger Menschen: 202.

Zu spät oder zu früh

Das entfacht eine Diskussion nun wieder neu: Ist die Impfpflicht angesichts dieser vorsichtigen Zeichen der Entspannung noch angebracht? Einer, der die Debatte erneut anfachte, ist der Virologe Norbert Nowotny. Im Gespräch mit dem ORF sagte er, die Impfpflicht wäre in Zeiten von Omikron "nicht mehr wirklich in dieser Form notwendig". Strafen, sagt er, solle man "auf Eis legen".

Die Impfpflicht ist nur dann zulässig, wenn sie dafür sorgt, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung entlastet wird. Sind wegen einer Genesung oder aus dem Grund, weil sie ohnehin schon geimpft sind, so viele Personen immun, dass eine Impfpflicht die Lage nicht mehr merklich verbessern würde, dann wäre sie nicht mehr mit der Verfassung vereinbar.

Momentan hatten, das steht im aktuellen Gecko-Bericht, 93 Prozent aller Menschen in Österreich bereits Kontakt mit dem Virus oder wurden bereits geimpft – inklusive der Dunkelziffer jener, die nicht im EMS erfasst sind. Nur: Das gilt seit Beginn der Pandemie. Tatsächlich sind, wie Daten von Simulationsforscher Niki Popper zeigen, momentan nur 86 Prozent gegen Delta und 66 Prozent gegen Omikron geschützt. Wobei Popper betont: Anstieg und Abfall seien da extrem dynamisch.

Es ist zudem völlig unklar, welche Varianten noch kommen werden, zumindest momentan gilt aber: Die Impfung schützt besser und umfassender als das Genesensein von nur einer Variante. So argumentierte man das auch in der Politik, wo man längst davon abrückte, die Impfpflicht als Akutmaßnahme darzustellen. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es auf die Anfrage des STANDARD, ob man darüber nachdenke, mit der Impfpflicht doch noch zuzuwarten: "Da aus aktueller Sicht anzunehmen ist, dass sich das Virus auch nach der Omikron-Variante noch weiterentwickeln wird, ist die Impfpflicht selbstverständlich weiterhin das beste Werkzeug, das wir in der Hand haben, um die Pandemie nachhaltig zu beenden."

Juristerei uneins

Nun sind politische Vorhaben das eine, die gesetzlichen Voraussetzungen das andere. Maria Kletečka-Pulker ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizinabteilung der Uni Wien und sieht zumindest den Punkt, den Virologe Nowotny vorbringt. Wenn sich die Lage weiter entspannt, dann könne schon in zwei Wochen eine Impfpflicht nicht mehr gerechtfertigt sein, sagt die Juristin. Und: "Man darf dann nicht den Fehler machen und sagen: ‚Wir wollen partout eine Impfpflicht.‘ Es geht um den Schutz der Bevölkerung, und den muss man evaluieren." Sollte der eben durch die Impfpflicht nicht in Aussicht sein, müsse man das Gesetz novellieren und doch nicht schon ab Mitte März strafen.

Doch auch Rechtsmeinungen gehen auseinander. Jurist Andreas Kletečka hat einen Schwerpunkt auf Medizinrecht und lässt das Argument, die Impfpflicht komme für Omikron zu spät, nicht gelten: "Wir sind immer eine Welle zu spät", sagt er, "wenn wir auf die Welle warten, können wir nur zu spät sein."

Er ist der Ansicht, es sei rechtlich vertretbar, eine Impfpflicht auch vorbeugend für etwaige nächste Wellen in Kraft treten zu lassen. Verfassungsjurist Benjamin Kneihs formulierte das kürzlich in einem Podcast mit Kletečka so: Solange man nicht wisse, wie gefährlich die nächste Variante sei, "darf der Staat auf der vorsichtigen Seite sein".

In der Praxis ist das Gesetz dabei sich selbst überlassen: Es muss alle drei Monate evaluiert werden. Mindestens zwei Juristinnen oder Juristen und zwei Medizinerinnen oder Mediziner müssen dann prüfen, ob es noch taugt, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten. (Gabriele Scherndl, 7.2.2022)