Hercule Poirot (Kenneth Branagh), diesmal mit Blick auf die Pyramiden im Einsatz.

Foto: Century Studios

Manche Dinge haben unvermutete Geheimnisse. Hercule Poirots Schnurrbart gehört neuerdings zu dieser Kategorie. Wer hätte gedacht, dass der belgische Meisterdetektiv mit seinem Schnauzer mehr bezweckt, als sein Dandytum mit einem drolligen Detail zu vervollständigen? In der Neuverfilmung von "Tod auf dem Nil" kann man an solch kleinen Ergänzungen die modernisierende Hand erkennen. Es bleibt zwar vieles beim Alten, doch eben nicht ganz. Populären Figuren durch neue Hintergründe einen anderen Drall zu verleihen, gehört mittlerweile zum Einmaleins solcher Aktualisierungen.

20th Century Studios

Kenneth Branagh hat sichtlich Gefallen an dem Schnüffler gefunden, dessen Ruf nur noch von seiner Eitelkeit übertroffen wird. Nach "Mord im Orientexpress" von 2017, der weltweit 350 Millionen Dollar einspielte, kehrt er nun als Regisseur und Hauptdarsteller eines weiteren Klassikers von Agatha Christie zurück. Auch bei diesem handelt es sich um ein mobiles "locked room mystery", trägt sich der Großteil der Handlung doch auf einem Raddampfer auf dem Nil zu. Ausblicke sind inklusive, sogar die Pyramiden wurden für die digital nachgebesserte Produktion nähergerückt.

Der Reiz des Sonntagnachmittagsklassikers von 1978 lag freilich neben der All-Star-Besetzung mit David Niven, Bette Davis, Mia Farrow und Peter Ustinov als Poirot auch in den realen Landschaften des alten Ägypten. Stumm und erhaben säumten sie die Eifersuchtsdramen der oberen Gesellschaft. Für die neue Produktion entschied man sich, die Exotik im Studio und mit Computern zu beschwören. Doch den glatt polierten Bildern eignet trotz ausladender Panoramen – es wurde im 65-mm-Format gedreht – etwas Artifizielles. Das ohnehin entrückte Treiben auf dem Nil spielt quasi auf dem Holodeck, wirkt wie eine pompöse Simulation.

Hochkochende Gefühle

Straffungen und Änderungen gibt es auch bei den Figuren. Nach dem Hochzeitsempfang der reichen Linnet (Wonder-Woman-Darstellerin Gal Gadot) und des Lebemanns Simon (Armie Hammer) will sich die Gesellschaft an Bord eines Schiffes erholen – eine manische Nebenbuhlerin (Emma Mackey) versucht nämlich, dem Paar die Flitterwochen zu verderben. Poirot soll helfen, die Gefühle abzukühlen, kann aber Linnets Tod nicht verhindern.

Motive hat fast jeder in der Gästeschar: Sei es Annette Benings schmallippige Malerin, für deren Sohn (Tom Bateman) der Detektiv fast väterliche Gefühle hegt; oder Russell Brands Arzt, dessen Liebe zu Linnet unbelohnt blieb. Oder ein neu hinzugeschriebenes schwarzes Mutter-Tochter-Gespann (Letitia Wright und Sophie Okonedo) mit offenen Rechnungen.

Poirot, der Mansplainer

Trotz des diverseren Casts legt es diese Nilfahrt auf keine große Kursänderungen an: Das Geschehen dreht sich gediegen im Krimitakt – nichts soll die Nostalgie überschatten. Am deutlichsten zeigt sich der Zeitgeist noch an Poirot selbst: Abgesehen vom Bart ist es seine Autorität, die nicht mehr ganz unangefochten ist. Mehrmals wird dem Detektiv vorgeworfen, in seinen Ermittlungen gescheitert zu sein. Kritik wird auch an seiner Überheblichkeit, dem "Mansplaining" laut – die sanfte Revision eines Mannes, der seine Auftritte zu sehr genießt.

Die Leiche im Keller des Films ist indes Armie Hammer, der Anfang 2021 mit Missbrauchsvorwürfen mehrerer Frauen konfrontiert wurde. Der Film kommt auch deshalb verspätet ins Kino, weil das Studio befürchtete, der angeschlagene Ruf des Stars könnte dem Erfolg des Films abträglich sein. Jetzt entschied man sich dazu, darüber kein Wort zu verlieren – kein guter Stil, würde Poirot wohl sagen. (Dominik Kamalzadeh, 8.2.2022)