Mit dem Durchbruch von Homeoffice und Remote Work hat sich das starre Gerüst des Nine-to-five-Jobs gelockert. Aus Sicht der Schlafforscherinnen und Arbeitsmediziner eine gute Nachricht: Seit Jahren prangern Wissenschafter die wenig flexiblen Arbeitszeitmodelle an, die allen Beschäftigten den gleichen Rhythmus aufzwingen. Sie raten auch, das Acht-Uhr-Dogma des Schulbeginns zu überdenken.

Denn viele Menschen – vom Kindes- bis zum Rentenalter – leiden unter dem sogenannten "sozialen Jetlag". Diese Diskrepanz zwischen sozialer und innerer Uhr führt im Alltag zu einem Schlafdefizit, das meist in der Freizeit ausgeglichen werden muss. "Kurzschläfer werden in unserer Leistungsgesellschaft eindeutig bevorzugt. So wie auch die Frühaufsteher", sagt der IBG-Arbeitsmediziner Helmut Stadlbauer.

Genetisch bedingt

Immer noch herrscht das Narrativ vor: Erfolgreich ist, wer wenig schläft und früh aufsteht. Nicht aus Zufall brüsten sich die Vorstandschefs der großen Weltkonzerne damit, dass sie bereits um fünf Uhr morgens eine halbe Stunde Sport hinter sich haben. Langes Schlafen und spätes Aufstehen werden hingegen als vergeudete Zeit betrachtet. Hinzu kommen Apps und elektronische Hilfen, die bei der Optimierung des Schlafs helfen sollen. "Dabei sind Schlafgewohnheiten in erster Linie genetisch bedingt", erklärt Stadlbauer. Wann wir am besten schlafen und aufstehen können, hängt vom persönlichen Chronotyp ab und kann nur begrenzt durch Gewöhnung verändert werden.

Rund 40 Prozent der Menschen sind demnach bereits frühmorgens fit und ausgeschlafen, sogenannte Lerchen. Etwa 30 Prozent sind Eulen, gehen also erst später ins Bett und bevorzugen es, länger zu schlafen. Die restlichen 30 Prozent liegen irgendwo dazwischen. Warum ist das so? Evolutionär ergeben die unterschiedlichen Chronotypen durchaus Sinn: Im Schlaf sind Menschen besonders angreifbar. Leben Personen mit unterschiedlichen Schlaf-Wach-Rhythmen in einer Gemeinschaft zusammen, kann diese kritische Zeitspanne deutlich verkürzt werden.

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Eine einheitliche Vorgabe, wie viel Schlaf jeder Mensch braucht, gebe es nicht, sagt IBG-Arbeitsmediziner Helmut Stadlbauer.
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Keine einheitliche Vorgabe

Die empfohlene Schlafdauer richte sich laut dem Arbeitsmediziner nach vielen Faktoren. So ist das Schlafbedürfnis vom Lebensalter abhängig. Säuglinge schlafen sehr viel, Senioren wiederum werden von der "senilen Bettflucht" getrieben. Aber auch das Geschlecht spiele eine Rolle: Frauen benötigen für das subjektive Gefühl des Ausgeschlafenseins etwa eine Stunde längeren Schlaf als Männer.

Ebenso sorgen körperliche und psychische Anstrengungen subjektiv für mehr Müdigkeit. Und auch die Umstände beeinflussen das Schlafbedürfnis: Schlafmangel in der Nacht davor erhöht die Schlaftiefe und teilweise auch die Schlafdauer in der Folgenacht.

Eine einheitliche Vorgabe, wie viel Schlaf jeder Mensch braucht, gebe es daher laut Stadlbauer nicht. Man könne sich die Schlafdauer von Erwachsenen wie eine Verteilungskurve vorstellen, die bei etwa drei bis vier Schlafstunden beginnt und bei elf bis zwölf Stunden endet. Alles dazwischen sei laut dem Arbeitsmediziner im Normalbereich, solange man sich dabei ausgeschlafen und fit fühle.

Vereinbarkeit

Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice würden dabei helfen, besser auf die individuellen Schlafbedürfnisse einzugehen. Vor allem Nachteulen könnten nun länger wach bleiben und später aufstehen. Einen weiteren Vorteil sieht der Arbeitsmediziner darin, sich auch mittags ausruhen zu können. "Es gibt gute Belege dafür, dass ein Power-Nap die Wachheit und Leistungsfähigkeit für einige Stunden verbessert", sagt er. Unter Power-Nap ist allerdings ein sehr kurzes Schläfchen zu verstehen, das nicht länger als etwa 15 Minuten dauert. Sonst läuft man Gefahr, in eine Tiefschlafphase zu verfallen.

"Wenn länger, dann gleich eineinhalb Stunden – dann bin ich in einer seichten Schlafphase und sicher auch erholter als vorher", sagt Stadlbauer. Das gelte zum Beispiel für Personen nach einer Frühschicht: am (frühen) Nachmittag richtig zu schlafen, also eineinhalb Stunden oder länger, um den durch zu frühes Aufstehen versäumten Schlaf aufzuholen. Schichtarbeitern sei generell zu empfehlen, ihre Schlafdefizite wann immer sie können zu reduzieren – also zu schlafen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.

Denn die Folgen von zu wenig Schlaf reichen von Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, verringerter Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen bis hin zu weniger Motivation. Langfristig kann Schlafmangel außerdem zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen führen.

Gerade deshalb sei es laut Stadlbauer wichtig, einen Arbeitsplatz zu finden, der mit den eigenen Schlafbedürfnissen vereinbar ist. Wer Jahre oder gar Jahrzehnte lang gegen die innere Uhr ankämpft, laufe Gefahr, Schlafstörungen und damit negative Auswirkungen auf die Gesundheit zu riskieren. (Anika Dang, 11.2.2022)